Früher war das Dating stark von festgelegten Rollenmustern und Erwartungen geprägt: Der Mann wollte erobern, die Frau erobert werden. Er hat den ersten Schritt gemacht und sein Interesse bekundet. Sie ist den Annäherungsversuchen passiv gefolgt und hat sich um die Bedürfnisse des Mannes gekümmert.
Mit dem Aufkommen von Gleichberechtigung und einem breiteren Verständnis für Beziehungen hat sich auch das Dating zwischen Mann und Frau gewandelt. Heutzutage nehmen beide Seiten aktiv am Dating-Prozess teil und zeigen ihr Interesse gleichermaßen.
Dass das nicht immer der Fall ist, habe ich vergangenen Sonntag mit Erschrecken bemerkt. Da saß ich neben Julian an der Bar in einer Dortmunder Kneipe. Wir hatten uns erst kurz zuvor kennengelernt, als wir den BVB beim Spiel gegen Augsburg anfeuerten. Drei Tore und fünf Bier später fühlte es sich aber so an, als wären wir schon seit Jahren vertraut miteinander.
Die Frage nach der Nummer
„Das BVB-Saisonfinale nächstes Wochenende könnten wir auch zusammen schauen. Dafür müsste ich Julian allerdings nach seiner Handynummer fragen. Aber wäre das nicht zu voreilig? Und was wäre, wenn er gar nicht dasselbe Interesse an mir hat und mich abblitzen lässt? Ich warte erstmal ab. Vielleicht fragt er mich ja nach meiner Nummer – und wenn nicht, habe ich eben Pech gehabt." Julians Stimme riss mich plötzlich aus meinen Gedanken.
Der Abend neigte sich dem Ende zu – und ich konnte es immer noch nicht über mich bringen, nach seiner Handynummer zu fragen. Schlussendlich stand ich draußen vor der Kneipe und hoffte darauf, dass was von seiner Seite kommt. In dem Moment hasste ich mich selbst für mein Verhalten, was dem eines hilflosen Mädchens zum Verwechseln ähnlich war.
Die Angst vor Ablehnung
Egal, ob es um die erste Verabredung oder den ersten Kuss geht – ich mache nie den ersten Schritt. Grund dafür ist nicht, dass ich an den traditionellen Geschlechterrollen hänge – ganz im Gegenteil. Vielmehr ist es die Angst vor der Ungewissheit, wie mein Gegenüber reagieren könnte. Die Angst vor einer möglichen Ablehnung und der damit verbundenen Blamage.
Dabei passt dieses Verhalten gar nicht zu meiner Person. In jeglichen anderen Situationen nehme ich mein Leben selbst in die Hand, ohne die Hilfe von anderen. Ich verfolge meine eigenen Ziele und Träume, ohne mich von gesellschaftlichen Erwartungen oder Stereotypen beeinflussen zu lassen. Als ziemlich extrovertierte Person stehe ich zu meinen Ansichten und Überzeugungen, ohne dabei ein Blatt vor dem Mund zu nehmen. Aber wieso schaffe ich all das nicht beim Dating?
Liebe Frauen, traut euch!
Offenbar stehe ich mit meinem Problem nicht alleine dar. Im Rahmen einer Studie hat die Plattform Elite Partner 1.500 heterosexuelle Singles gefragt, wie sie flirten und worauf sie beim Kennenlernen achten. Das Ergebnis finde ich erschreckend: Frauen fallen beim Flirten und Kennenlernen wieder in „alte“ Muster zurück. So erwarten 56 Prozent von ihnen, dass der Mann die Initiative ergreift. Bei den unter 30-Jährigen sind sogar 72 Prozent der Meinung, dass der Mann sie zuerst ansprechen oder anschreiben sollte.
Es ist an der Zeit, dass wir Frauen die Initiative ergreifen und den ersten Schritt beim Dating wagen. Denn nur so können wir die Kontrolle über unser eigenes Liebesleben übernehmen.
Bei Julian konnte ich den allerersten Schritt nicht mehr machen. Das hat er schon, als er mich kurz vor unserer Verabschiedung nach meiner Nummer gefragt hatte. Aber bei den nächsten ersten Schritt habe ich all meinen Mut zusammengenommen. Und ich sage mal so: Ich schaue das BVB-Spiel am Samstag nicht alleine.