Rund 150 Kinder sind Verdächtige von Gewalttaten in Dortmund Polizeipräsident sieht sinkende Hemmschwelle

Rund 150 Verdächtige von Gewalttaten in Dortmund sind noch Kinder
Lesezeit

Ein erst 13-jähriges Kind soll einen 15-Jährigen in Dortmund zusammengeschlagen und anschließend mit einem Messer lebensgefährlich verletzt haben. Dieser Fall und ähnliche Taten wie die Tötung eines Wohnungslosen durch einen 13-Jährigen am Dortmunder Hafen schockieren die Menschen weit über die Stadtgrenzen hinaus und lassen über Jugendkriminalität und Strafmündigkeit diskutieren.

Erst vor wenigen Wochen hat Dortmunds Polizeipräsident Gregor Lange über junge Kriminelle gesprochen. „Wir finden eine Situation vor, die nicht das Normalmaß vor der Pandemie beschreibt, sondern die mich ein Stück weit befürchten lässt, dass wir es auch mit Verrohungsprozessen innerhalb unserer Gesellschaft zu tun haben“, so Lange am 3. April.

Die Polizei erkenne durchaus ihren Beitrag, den die Behörde bei Strafverfolgung und Prävention zu leisten hat. Doch das sei „im Wesentlichen eine Bekämpfung der Symptomatik“. Zusätzlich sei es dringend nötig, weiter vorne bei Ursachen anzusetzen. „Und da sind weitaus mehrere als nur die Polizei gefragt“, findet der Behördenleiter.

Die Verantwortlichen müssten sich fragen, wie man jungen Menschen rechtzeitig helfen kann, damit sie nicht auf die schiefe Bahn abrutschen. Schulen, Eltern, Jugendfreizeitstätten oder diverse soziale Projekte müssen seiner Ansicht nach Beiträge leisten. Lange empfinde, dass die gesellschaftlichen Krisen wie politische Unruhen und Kriege vor allem die jüngere Generation verunsichere und Orientierungslosigkeit verursache.

„Hemmschwellen sinken“

„Gewaltpotential und Aggressivität nehmen zu und die Hemmschwellen sinken“, stellte Gregor Lange fest. Das zeigt sich durch eine hohe Zahl an Straftaten der Gewaltkriminalität in der Anfang April vorgestellten Polizei-Statistik für 2023 wider.

In diesem Bereich sind knapp 6 Prozent der 2541 Tatverdächtigen als Unter-14-Jährige in der Jahresstatistik verzeichnet, erläuterte Direktionsleiter Jörg Ziegler: Das sind 149 Kinder. Jugendliche (14 bis unter 18 Jahre) machen weitere 16 Prozent aus.

Die Polizei wolle diesen jungen Gewalttätern die Grenzen des Rechtsstaats deutlich aufzeigen: „Wir wollen nochmal einen deutlichen Schwerpunkt legen, wie wir insbesondere an junge Menschen herankommen.“ Die Behörde habe bereits ein „intensiviertes Konzept zur Bekämpfung der Jugendkriminalität“, sagte Lange, man wolle zum Beispiel noch konkreter auf Schulen zugehen.

Ein sehr erfolgreiches Programm stehe beispielsweise unter dem Motto „Frühe Hilfe statt späte Härte“, sagte Jörg Ziegler. 34 Personen seien dort derzeit „in der Bearbeitung“, um die kriminell gewordenen Jugendlichen auf den richtigen Weg zurückzuführen.

Trageverbot für Messer denkbar

Unter anderem prüfe die Polizei Dortmund, wie man Jugendliche stärker für die Gefahr sensibilisieren kann, die von Messern ausgehen kann. Außerdem sei ein Trageverbot von Messern für auffällig gewordene Menschen denkbar, sagte Ziegler.

Kinder unter 14 Jahren sind in Deutschland pauschal „schuldunfähig“. Das Gesetz geht erst ab diesem Alter davon aus, dass jemand die Fähigkeit haben kann „einzusehen, dass er ein Unrecht, eine strafbare Handlung begangen hat“, so die Bundeszentrale für politische Bildung (BPB).

Jugendliche von U-Haft überrascht

Ab dem 14. Geburtstag sind Jugendliche auch nur zum Teil strafmündig. „Sie werden unter bestimmten Voraussetzungen für ihre Taten verantwortlich gemacht und nach dem Jugendstrafrecht verurteilt“, so die BPB. Maßgeblich dafür ist immer der konkrete Tatzeitpunkt. Auch wenn ein Verdächtiger am Tag nach der Tat 14 Jahre alt wird, haben die Ermittler keine Handhabe für einen Prozess, erklärt Staatsanwalt Henner Kruse.

Zur allgemeinen Situation in der Stadt sagte Polizeipräsident Lange am Mittwoch: „Wir haben einige von diesen Jugendlichen zu deren großer Überraschung in Untersuchungshaft bringen können.“ So etwas spreche sich in einer Szene schnell herum und habe abschreckende Wirkung.

Kind tötet Mann (31) im Dortmunder Hafen: 13-Jähriger hat Wohnungslosen erstochen

Tötungsdelikt im Hafen Dortmund: Viele Bilder zeigen den Einsatz von Polizei und Feuerwehr

Polizeisprecher über Tötungsdelikt am Hafen in Dortmund: Rettungskräfte versuchten, zu reanimieren

Dieser Text erschien erstmals am 6. April. Wir haben ihn aufgrund aktueller Ereignisse erneut veröffentlicht.