Gewalt und Mobbing an Gymnasium in Dortmund Verzweifelte Mutter: „Bestraft wird nur mein Sohn“

Schüler erlebt wiederholt Gewalt, Schule verweist an Bezirksregierung
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Was wird heute wieder passieren? Dieser Gedanke quält eine Huckarderin jeden Morgen, wenn sie ihren Sohn in die Schule schickt. Seit einem Jahr besucht der Elfjährige das Reinoldus-Schiller-Gymnasium (RSG). „Er wird jeden Tag geärgert, geschubst, geschlagen“, schildert seine Mutter.

Namentlich genannt werden möchten Mutter und Sohn nicht. Schon den Schritt, an die Öffentlichkeit zu treten, hat sich die Mutter nicht leicht gemacht. Was sich seit Monaten an der Schule abspielt, schildert die 45-Jährige in langen Gesprächen aber sehr ausführlich.

Sie zeigt Fotos verschiedener Verletzungen, legt Klassenbucheinträge und Schriftwechsel mit der Schule, dem Schulamt und der Bezirksregierung dar. Deutlich wird: Da ist ein Kind, das mit Angst in die Schule geht. Da ist eine Mutter, die an verschiedenen Stellen nach Unterstützung sucht.

Diagnose Asperger-Autismus

Einfach ist die Situation für den Jungen auch deshalb nicht, weil für ihn vor einigen Monaten die vorläufige Diagnose „Asperger Autismus“ gestellt wurde. Dabei handelt es sich um eine Kontakt- und Kommunikationsstörung, die ihn im Alltag zum Teil einschränkt. Und die auch für die Schule eine Herausforderung ist.

Denn die Unterstützung, die der Junge im Schulalltag braucht, können seine Lehrer und Lehrerinnen ihm im Unterrichtsgeschehen nicht bieten. Ein erster Antrag auf eine Schulbegleitung wurde allerdings abgelehnt. „Mein Sohn ist in Therapie und hat deutliche Fortschritte gemacht“, erzählt seine Mutter.

Schürf-, Biss- und Kratzwunden

Für die Mutter ist gar nicht mal die Kommunikations- und Interaktionsstörung ihres Sohnes eine Belastung, sondern der Umgang der Schule damit. „Die Diagnose wurde mit der ganzen Klasse geteilt, so wurde mein Sohn bloßgestellt“, erzählt sie.

Immer dieselben Kinder sind es dem Jungen zufolge, die ihn demütigen und verprügeln. „Im Dezember wurden ihm Schneebälle mit Kieselsteinen ins Gesicht geschmiert, danach war er traumatisiert und fast drei Wochen im Krankenhaus“, schildert seine Mutter ein gravierendes Ereignis. Auch Fotos von Blutergüssen, Schürf-, Biss- und Kratzspuren zeigt sie.

Immer wieder kommt der Schüler mit sichtbaren Verletzungen von der Schule nach Hause.
Immer wieder kommt der Schüler mit sichtbaren Verletzungen von der Schule nach Hause. © Privat

Dass sich ihr Sohn auch nicht immer richtig verhält, gesteht seine Mutter ein. Laut Klassenbucheinträgen hat ihr Sohn seine Mitschülerinnen und Mitschüler immer wieder beleidigt, provoziert und auch den Unterricht gestört. „Aber selbst zugeschlagen hat er nie“, betont seine Mutter. Gegenüber den Kindern hegt die Huckarderin keinen Groll, sie sieht die Schuld vielmehr bei der Schule: „Bestraft wird immer nur mein Sohn. Das bestärkt die anderen Kinder doch in ihrem Verhalten.“

Die Maßnahmen, die die Schule im Umgang mit ihrem Sohn ergreift, findet die 45-Jährige äußerst fragwürdig. Immer wieder werde er für längere Zeit aus dem Unterricht genommen und müsse im Sekretariat bleiben, auch seine Pausenzeiten seien verkürzt. „Anstatt meinem Sohn Schutz zu bieten, wird er vor den Augen der anderen Kinder systematisch ausgegrenzt und zur Zielscheibe gemacht“, sagt sie.

Probleme auch in neuer Klasse

Aufgrund vieler Fehlzeiten im vergangenen Schuljahr, die sich durch die Diagnosestellung und auch aufgrund einiger Verletzungen ergaben, wiederholt der Junge die fünfte Klasse freiwillig. Schulisch komme er bislang gut mit, erhielt in zwei Mathetest die Noten gut und befriedigend. „Alle anderen Probleme sind geblieben“, bedauert seine Mutter, die sich von der Schule im Stich gelassen fühlt.

Erst kürzlich sei er im Sportunterricht von einem anderen Jungen gegen den Kopf getreten worden, er selbst sei daraufhin verbal ausfallend geworden. „Der Lehrer entschied, nur meinen Sohn zu bestrafen, ihn in die Ecke zu stellen und so zu demütigen“, findet die Huckarderin klare Worte.

Auch eine WhatsApp-Gruppe wurde gegründet, mit dem Namen des Jungen und dem Zusatz „ist dumm“. „Und er sitzt jeden zweiten Tag bei der Schulleiterin“, schreibt zum Beispiel ein Mitglied. Von der Existenz dieser Gruppe erfuhr die 45-Jährige, weil ihr Sohn selbst dazu eingeladen wurde.

Mitschülerinnen und Mitschüler haben offenbar eine WhatsApp-Gruppe mit dem Ziel gegründet, sich über den Elfjährigen lustig zu machen.
Mitschülerinnen und Mitschüler haben offenbar eine WhatsApp-Gruppe mit dem Ziel gegründet, sich über den Elfjährigen lustig zu machen. © Privat

Die Schulleitung äußerte sich nicht zu dem Sachverhalt, sondern verwies an die Bezirksregierung Arnsberg. „Situationen und Entwicklungen, wie Sie sie in Ihrer Anfrage beschreiben, können in der schulischen Lebenswirklichkeit eintreten“, heißt es in der schriftlichen Antwort von Pressereferent Christoph Söbbeler. „Vorfälle der beschriebenen Art kommen selten vor und werden intensiv aufgegriffen und begleitet.“

So würden mit den „Konfliktparteien“ Gespräche geführt und gemeinsame Vereinbarungen getroffen, Lehrkräfte und ein Schulsozialpädagoge würden eingebunden. „Selbstverständlich werden Schülerinnen und Schüler, die unterschiedliche Förderschwerpunkte haben, zielgleich am RSG unterrichtet. Erfahrungsgemäß erleben sie dort eine erfolgreiche Schullaufbahn“, schreibt Söbbeler.

Schulwechsel als Ausweg

Für die Mutter ist ein Schulwechsel indes unausweichlich. Bevor sie ihr Kind aber womöglich von einer Schule zur nächsten schickt, möchte sie zunächst herausfinden, welche Schulform für den Elfjährigen die richtige ist. Deshalb möchte sie ein AS-OF-Verfahren einleiten, bei dem geprüft wird, ob ihr Sohn eine besondere Förderung erhalten kann.

„In den ersten Tests hat er gute Noten geschrieben, aber wenn er immer wieder aus dem Unterricht genommen wird, kommt er mit dem Stoff nicht mehr mit“, beschreibt die 45-Jährige. „Mein Sohn soll die Chance haben, zu lernen und zu zeigen, was er kann.“

Hinweis der Redaktion: Diese Geschichte erschien ursprünglich am 26. September 2024.