Saliha zeigt, wie sie sich aus diesem Würgegriff befreien kann. Mit ihren Knien umklammert sie die Schultern des Gegenübers. Richtig angewendet, lässt jeder Täter die Hände vom Hals. Sonst trüge er kaputte Ellbogen davon. Aber zum Glück kann Saliha jederzeit „Stopp“ rufen. Und zum Glück sind es nur Sparringspartner, die mit ihr einen Angriff simulieren. An diesem Mittwochabend ist Saliha eine von zwei Frauen, die am Krav-Maga-Kurs in der Fight Lounge in der Ritterstraße in Dortmund teilnehmen.
Seit eineinhalb Jahren trainiert Saliha bereits zweimal die Woche Krav Maga. Dabei schickte sie zuerst ihren Sohn in die Kampfschule. „Aber ich war begeistert und wollte selbst mitmachen.“ Dadurch fühle sich die Mutter sicherer, obwohl sie betont: „Ich war noch nie ein ängstlicher Typ.“
Trotzdem kennt sie die Situationen an Bahnhöfen oder in der City, wo Männer oft auch aggressiv auftreten. „Ich gehe da jetzt anders vorbei“, sagt Saliha. „Ich bin da sicherer.“
„Es ist kein Kampfsport"
Gerade dieses Sicherheitsgefühl, die Gefahr vor Übergriffen, gar Femiziden, sei der Grund, warum auch zunehmend Frauen solche Kurse aufsuchen. Marc Meier betreut an diesem Abend das Training, er vermittelt seit zehn Jahren Kampfsport, seit sechs Jahren Krav Maga.
Seine Einschätzung: „Gefühlt sind es 80 bis 90 Prozent, die hier Selbstvertrauen aufbauen wollen“, so Meier. „Viele nehmen teil, um ein sicheres Gefühl aufzubauen.“
Gegen die Gefahren da draußen, die Aggressionen von Männern, könne Krav Maga praktisch sein. „Es ist kein Kampfsport, sondern reine Selbstverteidigung“, sagt Meier. Deswegen werden Szenarien durchtrainiert, die im Kampfsport verboten sind, aber in der Realität geschehen: Würgegriffe oder ein Ziehen an den Haaren.

Das lässt sich auch an diesem Abend beobachten: Die Kursteilnehmer und -teilnehmerinnen lernen, wie sie sich mit gewissen Techniken aus der Bedrängnis und Gefahrensituation befreien können. Mal ist es ein Tritt, mal ein Kinnhaken. Die Hauptsache ist, den Aggressor kurz außer Gefecht zu setzen.
Damit können sie sich in der Verteidigung Zeit verschaffen, um das Wichtigste umzusetzen: die Flucht. „Es ist das erste, was ich hier beibringe: wegrennen“, erzählt Meier. Übungen mit Waffen gebe es daher nicht, Gewaltprävention werde betont. Meier: „Selbst der ausgebildetste Kampfsportler hat immer ein Restrisiko.“
„Wir sind nicht die Lösung"
Auch Leonid Chraga vom Verein Kamikaze Krav Maga an der Kleinen Kielstraße betont präventive Beratungsangebote – gerade wenn es um Gewalt gegen Frauen gehe. „Femizide passieren nicht von heute auf gleich“, erläutert Chraga. „Wir sind nicht die Lösung, sondern die letzte Bastion.“
Und viele Frauen suchen zunehmend diese letzte Bastion auf. „Die Frauenquote ist größer geworden“, berichtet Chraga, der Krav Maga im Kontext der jüdischen Gemeinde lernte und diese Selbstverteidigung ehrenamtlich anbietet. Auch als Fachtrainer für Frauenselbstverteidigung.

Deswegen weiß Chraga auch um die Grenzen von Selbstverteidigungskursen, wenn Frauen die Gewalterfahrung mitbringen: „Körperkontakt kann problematisch sein, manche werden in Form von toxischer Männlichkeit zweittraumatisiert.“
Keine reinen Frauenkurse
Bei seinem letzten Probetraining bewegte sich das Geschlechterverhältnis bei 50:50. Reine Frauenkurse seien für ihn „höchstproblematisch“. Denn das befördere ein falsches Sicherheitsgefühl, so Chraga: „Man muss mit dem potenziellen Aggressor üben, das sind zu fast einhundert Prozent Männer.“
Das lässt sich an diesem Mittwochabend an der Trainingseinheit von Saliha ablesen. Sie stemmt sich erfolgreich gegen männliche Sparringspartner. „Wenn ich mit Männern kämpfe, lerne ich besser", sagt Saliha. Und empfiehlt auch anderen Frauen, mal einen Selbstverteidigungskurs zu wagen: „Damit sie nicht so ängstlich durch das Bahnhofsviertel laufen, die Angst wird genommen.“

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