Heinz Kohlmann (72) arbeitet trotz Rente noch im Gerüstbau „Nur zu Hause werde ich verrückt“

Lütgendortmunder Heinz Kohlmann arbeitet mit 72 noch im Gerüstbau
Lesezeit

Heinz Kohlmann wusste schon als 15-Jähriger, wie und wo er arbeiten möchte: als Bauleiter im Gerüstbau. Zehn Jahre später, Ende der 1979er Jahre, hatte der Dortmunder mit gerade mal 25 Jahren dieses Ziel bereits erreicht. „Gerüstbau ist Lego für Erwachsene“, schwärmt er.

Feuer gefangen für die Branche und den Beruf hatte er als Schülerpraktikant. Nach seinem Realschulabschluss begann seine kaufmännische Ausbildung in einer Gerüstbau-Firma. Den praktischen Teil lernte er nebenbei. „Gerüstbauer war damals noch kein Ausbildungsberuf“, so Heinz Kohlmann. Am Ende legte er eine Traumkarriere hin: vom Praktikanten zum Prokuristen.

Rentner seit 2017

49,5 Jahre zahlte der Lütgendortmunder in die Rentenkasse ein. Lange genug, würde wohl fast jeder und jede an dieser Stelle sagen. Nicht so Heinz Kohlmann: Offiziell seit 2017 Rentner, ist der 72-Jährige noch immer berufstätig – angestellt als Oberbauleiter und Kalkulator bei der Dortmunder Firma „Bönninger Gerüstbau Meisterbetrieb“. Einziger Unterschied zu seinem früheren Arbeitgeber: Kohlmann hat keine Vollzeitstelle mit „240 bis 250 Stunden im Monat“ mehr, sondern arbeitet halbtags.

Was ist sein Antrieb? Was ist seine Motivation? Warum genießt er nicht einfach seinen Ruhestand? Warum er schläft er nicht morgens aus und chillt ohne Leistungsdruck durch den Tag? „Nur zu Hause werde ich verrückt“, sagt er geradeheraus. Seine Ehefrau nickt: „Er muss unter Menschen sein, er braucht die Gesellschaft. Sonst wird er hier nervig“, sagt sie und schenkt ihrem Mann ein Lächeln.

Heinz Kohlmann sitzt an seinem Laptop in seinem Wohnzimmer in Lütgendortmund.
Ganz selten arbeitet Heinz Kohlmann aus Lütgendortmund auch mal im Homeoffice. Am liebsten ist er aber unter Kollegen und jungen Leuten. © Beate Dönnewald

Anders als bei Seniorinnen und Senioren, die ihre Rente oftmals mit einem Minijob oder ähnlichem aufstocken müssen, um finanziell über die Runden zu kommen, spielt bei Heinz Kohlmann das Geld nur eine untergeordnete Rolle. „Na klar werde ich für meine Arbeit bezahlt“, sagt er. Aber wichtig seien für ihn ganz andere Dinge: „Der Job macht mich einfach glücklich. Er ist keine Belastung für mich, er ist Hobby, er ist Passion, ich liebe das alles einfach.“

Und während der 1,96 Meter große Mann das sagt, strahlt er wie ein kleines Kind, das gerade ein Eis bekommen hat. Hat rosige Wangen und verdächtig feuchte Augen. Wer ihm zuhört, zweifelt nicht eine Sekunde: Seine Arbeit braucht dieser Mann wie die Luft zum Atmen, wie sein Essen und sein Trinken.

„Eine soziale Aufgabe“

Sein Job sei für beide Seiten eine Win-win-Situation, sagt der Lütgendortmunder: „Der Betrieb ist doch auch glücklich, dass er mich hat und ich mein Wissen und meine Erfahrungen an die jungen Menschen weitergebe.“ Er sei mit Abstand der älteste im Team, seine Kolleginnen und Kollegen seien zwischen 25 und 40 Jahre alt. „Überall fehlen Leute. Deshalb erfülle ich hier auch eine soziale Aufgabe“, sagt er.

Anders als früher mache er mit Blick auf sein Alter keine Bauleitung mehr vor Ort, auch das Klettern überlässt er anderen. „Ich kümmere mich um Angebote, um Kalkulationen und ich weise die Jungs ein“, so Heinz Kohlmann. Netter Nebeneffekt: „So bleibe ich fit in der Birne und auch körperlich beweglich.“ Tatsächlich: Es wäre sicherlich niemand irritiert, wenn sich Heinz Kohlmann etwas jünger machen würde.

Menschen fotografieren den größten Weihnachtsbaum der Welt in Dortmund.
20 Mal hat Heinz Kohlmann als Bauleiter einer Gerüstbau-Firma den „größten Weihnachtsbaum der Welt“ auf- und wieder abgebaut. „Er ist mein Kind“, sagt der Dortmunder. Hier ist der von 2024 zu sehen, für den Kohlmann nicht mehr verantwortlich war. © Stephan Schuetze

Zwischen dem Renteneintritt und der neuen Halbtagsstelle bei Bönninger lag nur eine „kurze Schöpfungspause“, wie es Heinz Kohlmann formuliert. Schon nach wenigen Tagen in der Rente habe er gespürt: „Wenn ich nicht wieder arbeiten kann, gehe ich kaputt.“ Seine Frau nickt noch einmal: „Ihm fällt hier einfach schnell die Decke auf den Kopf, er weiß nichts mit sich anzufangen.“ Wer viel arbeitet, sagt Heinz Kohlmann, finde seine Freunde und Bekannte vor allem über den Beruf. Er sei in der Branche gut und eng vernetzt. „Doch die waren plötzlich alle weg und ich habe sie vermisst.“

Heinz Kohlmann kann von einem erfüllten Berufsleben erzählen: zum Beispiel vom größten Weihnachtsbaum der Welt, „der mein Kind ist“. Zusammen mit dem damaligen Karstadt-Werbechef habe er die „Raketen“-Idee ausgeheckt und den damaligen Oberbürgermeister Günther Samtlebe schnell überzeugt: „20 Mal habe ich den Baum auf- und wieder abgebaut.“ Stolz erinnert sich der 72-Jährige auch an das „riesengroße Buch“ zum 100. Bibliotheks-Geburtstag oder an das nachgebaute Fußballstadion als Fan-Treffpunkt am Hauptbahnhof Dortmund anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 2006. Bei beiden Projekten habe er als verantwortlicher Gerüst-Bauleiter federführend mitgewirkt.

Gerüst am Lanstroper Ei

„Große Fische“ zieht Heinz Kohlmann weiterhin an Land: 2024 hatte die Firma Bönninger beispielsweise das Lanstroper Ei eingerüstet. Auch um Veranstaltungen wie „Kino im Park“ – Auf- und Abbau der Leinwand, Bühnen und Tribünen – bemüht sich der Lütgendortmunder erfolgreich. „Bis 75 mache ich auf jeden Fall weiter, sofern es meine Gesundheit zulässt“, sagt Heinz Kohlmann. Pures Berufsglück in der Verlängerung.

Es gebe aber auch beinahe täglich diesen einen Mini-Moment des Zweifels, räumt Kohlmann ehrlich und gleichzeitig scherzhaft ein. „Wenn ich morgens um 6 Uhr an der Bettkante sitze und mich frage: ,Was tust du dir da an?´“ Doch zwei Kaffeetassen später sei dieser Gedanke weggewischt und er setze sich gut gelaunt in sein Auto. Um 7.30 Uhr beginnt sein Arbeitstag, um „13.30 Uhr lasse ich den Kugelschreiber fallen.“ Mehr als einmal betont er: „Ich habe jeden Tag Spaß.“

Ein Gerüst am Lanstroper Ei in Dortmund.
Die Firma Gerüstbau Bönninger hatte 2024 das Lanstroper Eis für die Sanierung eingerüstet. Anteil daran hatte auch Heinz Kohlmann aus Lütgendortmund. © Bönninger
Ein nachgebautes Fußballstadion anlässlich der WM 2006 am Hauptbahnhof in Dortmund.
An dieses Projekt erinnert sich Heinz Kohlmann gerne: ein nachgebautes Fußballstadion anlässlich der WM 2006 am Hauptbahnhof in Dortmund. © Knut Vahlensieck (A)

Die zweite Tageshälfte, die Wochenenden und die Urlaubszeiten gestalten Heinz Kohlmann und seine Frau dann so, wie man sich einen Bilderbuch-Ruhestand vorstellt: Sie verreisen gerne und viel, sie machen Tagesausflüge und Wochenendtrips und verbringen Zeit mit den Enkelkindern. Zweimal im Jahr geht es beispielsweise nach Gran Canaria, außerdem ist das Lütgendortmunder Ehepaar ein großer Fan von Schiffsreisen. „Langeweile kennen wir nicht.“ Wenn es die Zeit dann noch zulässt, ist der ehemalige Prokurist gerne mit seinem E-Bike unterwegs.

Heinz Kohlmann ist durchaus bewusst, dass seine Frau einen großen Anteil an seiner beruflichen Erfüllung hat. Denn sie hält ihm den Rücken frei, indem sie sich um Haus und Garten kümmert. „Sie ist die Leiterin Innendienst“, sagt er anerkennend und schenkt diesmal seiner Frau ein Lächeln.