Geflüchtete Syrerinnen Marina und Kholod In Aleppo Schulleiterin, in Dortmund Niedriglohn

Geflüchtete Frauen: In Aleppo Schulleiterin, in Dortmund Niedriglohn
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Marina Mohammed (36) und Kholod Arab (58) sitzen im „Haus der Vielfalt“ in Dortmund. Ihre Geschichten zeigen beispielhaft, wie schwierig es gerade für weibliche Geflüchtete ist, in der neuen Heimat so etwas wie eine Job-Perspektive auszubauen.

Ihre Geschichten zeigen aber auch, dass es trotz sehr unterschiedlicher Bildungsbiografien die Möglichkeit gibt, die Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Nicht im kapitalistisch-esoterischen „Jeder kann es schaffen“-Sinne, sondern als echte Chance, eigenes Geld zu verdienen und das Selbstwertgefühl zu steigern.

Aleppo und Afrin: Die Orte, an denen Kholod Arab ihren Schul- und Universitätsabschluss gemacht hat, sind in Europa als Schauplätze des Bürgerkriegs in Syrien bekannt geworden. In Afrin hat sie studiert, in Aleppo mehr als 20 Jahre lang als Schulleiterin gearbeitet. Heute ist ein erheblicher Teil dieser Städte zerstört.

In den schweren Kriegswirren des Jahres 2015 verließ sie Syrien wie mehrere Millionen ihrer Landsleute. Statt in der Verantwortung für Hunderte Schülerinnen und Schüler fand sie sich vor sieben Jahren in einem fremden Land mit einer fremden Sprache wieder.

Der schwierige Weg zur Sprache

„Eine neue Sprache zu lernen, war in meinem Alter nicht so einfach“, sagt die 58-Jährige lachend. Ihr Deutsch ist stabil, obwohl ihr nach eigener Aussage etwas die Praxis fehle und es sind komplexe Themen, über die sie redet. „Schriftlich bin ich noch besser“, betont sie.

Es habe einige Zeit gedauert, bis sie einen Weg gefunden habe, sich auf die neue Situation einzustellen. Dabei geholfen habe ihr der Kontakt mit dem VMDO.

„Für junge Menschen gibt es viele Angebote. Aber für Frauen in meinem Alter gibt es nicht viel Auswahl“, sagt sie.

Ihr Abschluss aus Syrien wurde in Deutschland zunächst nicht anerkannt. Um das zu ändern, legte Kholod Arab 2020 erfolgreich eine Sprachprüfung auf B2-Niveau ab.

Problem der Anerkennung

Ihre Zertifikate aus der Heimat sind seitdem gleichbedeutend mit einem Bachelor-Abschluss. Eine Rückkehr in ihren erlernten Beruf als Lehrerin ist für die Syrerin aber keine Option. So wie ihr geht es vielen zugewanderten Frauen und Männern.

Laut dem Bundesministerium für Familie, Senioren und Jugend (BFSJ) haben 60 Prozent der nachziehenden Partnerinnen und Partner Schulabschluss, der mit dem deutschen Abitur vergleichbar ist. Ein Drittel besitze einen Hochschulabschluss. „Aber: Nur etwas mehr als die Hälfte von ihnen ist erwerbstätig“, so das BFSJ in einer Analyse.

Kholod Arab macht aktuell eine Fortbildung zur Sprach- und Kulturmittlerin. In dieser Rolle hilft sie anderen geflüchteten Menschen mit bei der Bewältigung ihres Alltags, von Fragen der Partnerschaft bis zur Gesundheit.

Außerdem lässt sie zur Alltagshelferin umschulen. In dieser Funktion begleitet sie alte oder demenzkranke Menschen.

Sie erzählt von der akademischen Ausbildung ihrer Kinder. Eine Tochter ist Medizinerin, ein Sohn Pharmazeut, eine Tochter studierte Informatik in Düsseldorf, der jüngste Sohn hat gerade in Dortmund Abitur gemacht.

„Für mich fühlt es sich gut an, etwas zu tun“, sagt die Frau mit rund 30 Jahren Berufserfahrung. Sie fügt hinzu: „Ich würde gern noch ehrenamtlich arbeiten.“

Kholod Arab gehört mittlerweile zu denjenigen, die den Gedanken eines selbstbestimmten Arbeitsleben auch an andere weiterträgt.

Neben ihr sitzt Marina Mohammed, ebenfalls eine Syrerin mit kurdischem Hintergrund. Ihre Bildungsgeschichte ist komplett gegensätzlich. Mit 17 heiratete sie und bekam das erste Kind. Ihre schulische Bildung endete nach der Grundschule.

2015 kam sie allein mit ihren Kindern nach Dortmund. „Am Anfang war es schwierig“, sagt sie. Sieben Jahre später erzählt sie strahlend von ihren Plänen für die Zukunft.

Frau holt Schulabschluss nach

Sie beginnt mit einem Kurs, um ihren Schulabschluss nachzuholen und möchte danach eine Ausbildung zur Altenpflegerin beginnen.

Über ehrenamtliche Arbeit bei der Diakonie hat sie Kontakt in den ersten Jahren nach der Flucht Kontakt in die „neue“ Gesellschaft geknüpft. Ihre Kinder sind hier groß geworden.

Sie selbst steht am Beginn eines neuen Kapitels in ihrem Leben. „Es ist mein Traum mit älteren Leuten zu arbeiten“, sagt die 36-Jährige.

Um die beiden Frauen herum herrscht an diesem Tag eine geschäftige Messe-Atmosphäre in den Räumen des VMDO, dem Verband der Migrantenselbstorganisationen in Dortmund in der westlichen Innenstadt.

In den Räumen des VMDO konnten sich Frauen mit Migrationsgeschichte über Jobperspektiven informieren - ein Veranstaltungsformat, das es so in Dortmund noch nicht gab.
In den Räumen des VMDO konnten sich Frauen mit Migrationsgeschichte über Jobperspektiven informieren - ein Veranstaltungsformat, das es so in Dortmund noch nicht gab. © Felix Guth

Jobinfos für Frauen

Es geht an vielen Ständen auf zwei Etagen um Job-Perspektiven für Frauen mit einer Migrationsgeschichte.

Eine Gruppe, die aus Sicht von Gülcan Boran vom VMDO „häufig nicht berücksichtigt wird“, wenn es um Berufsperspektiven von Migranten gehe. Es ist das erste Mal, das der Infotag mit vielen Dortmunder Einrichtungen in Zusammenarbeit mit dem Jobcenter speziell für Frauen stattfindet.

Seit vier Jahren gibt es im VMDO das Arbeitsmarktprojekt „SOFIE“ („Stärkung und Orientierung für Frauen in Erwerbsleben und Integration“), über das auch Kholod Arab und Marina Mohammed den Wiedereinstieg in das Berufsleben gefunden haben.

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