Verwaiste Tische und Stühle: Dortmunds Restaurants, Cafés und Kneipen dürfen seit November keine Gäste mehr bei sich bewirten - bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr.

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Gastro-Pleitewelle in Dortmund: „Für viele werden Hilfen zu spät kommen“

rnSzene-Kenner im Interview

Dortmunds Gastronomie durchlebt ein Katastrophen-Jahr: Zwei Lockdowns, dazu fällt das umsatzstarke Weihnachtsgeschäft flach. Was wird aus der Branche? Zwei Kenner sagen, was sie erwarten.

Dortmund

, 11.12.2020, 11:50 Uhr / Lesedauer: 5 min

Ein 75-prozentiger Schadensersatz durch den Staat für entgangene Umsätze während des aktuellen Lockdowns für die Gastronomie, dazu die Erträge durch den Außer-Haus-Verkauf - kommen Dortmunds Gastronomen also gut durch die Krise?

Eher nicht, sagen im Doppel-Interview zwei Kenner der hiesigen Gastro-Szene. Der erfahrene Dortmunder Gastronom Detlef Lotte betreibt das Hotel und Restaurant Dieckmann‘s in Syburg und das Bistro und Restaurant Schönes Leben im Kreuzviertel, Lars Martin ist stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) Westfalen.

Beide wagen einen Blick ins nächste Jahr und wie Dortmunds Gastronomie nach der Pandemie aussehen könnte.


Welcher Lockdown war bzw. ist schlimmer: der vom Frühjahr oder der jetzt?

Detlef Lotte: Den zweiten Lockdown halte ich für gravierender. Die jetzige Schließung trifft das gesamte Weihnachtsgeschäft, das deutlich über den Umsätzen während des ersten Lockdowns liegt. Angemerkt sei, dass das Außer-Haus-Geschäft die verlorenen Umsätze in keinster Weise ersetzen kann. Und die in Aussicht gestellten Förderungen kommen für viele Gastronomen zu spät, da sie ihre Ausgaben vorfinanzieren müssen.

Der Dortmunder Gastronom Detlef Lotte ist bundesweit tätig. In Dortmund betreibt er das Restaurant Dieckmann’s in Syburg und das Bistro-Restaurant Schönes Leben im Kreuzviertel. Er sagt: „So mancher wird dies nicht überleben.“

Der Dortmunder Gastronom Detlef Lotte ist bundesweit tätig. In Dortmund betreibt er das Restaurant Dieckmann’s in Syburg und das Bistro-Restaurant Schönes Leben im Kreuzviertel. Er sagt: „So mancher wird dies nicht überleben.“ © Oliver Schaper

Lars Martin: Der jetzige Lockdown dauert ja schon deutlich länger als der Frühjahrs-Lockdown. Und der November und der Dezember sind gerade für die Gastronomie in aller Regel die umsatzstärksten Monate des Jahres.

Nun muss man dazu sagen, dass die versprochenen November- und Dezemberhilfen diese Umsatzverluste in Teilen kompensieren könnten. Dafür müssen sie allerdings auf den Konten der Hoteliers und Gastronomen ankommen – das sind sie bisher nicht. Wie schlimm der Winter dann wirklich gewesen ist, wissen wir wahrscheinlich erst im Frühjahr, wenn wir die Gewerbeabmeldungen zählen müssen.

Lars Martin ist stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbandes Westfalen und ein Kenner der Dortmunder Gastro-Szene.

Lars Martin ist stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbandes Westfalen und ein Kenner der Dortmunder Gastro-Szene. Er beobachtet, „dass nach und nach ein Betrieb nach dem nächsten schließt.“ © Dehoga Westfalen/Lichtrevier

Wie empfinden Sie gerade die aktuelle Lage?

Detlef Lotte: Der erste Lockdown war bereits hart, aber es herrschte doch Optimismus, dass es danach vernünftig weitergehen würde. Von Optimismus kann jetzt keine Rede mehr sein. Niemand kann sagen, ob die Gastronomie im Januar 2021 oder gar noch später wieder öffnen darf. Wir befinden uns alle im „Sichtflug“.

Lars Martin: Die Situation ist extrem frustrierend. Unsere Betriebe haben im letzten dreiviertel Jahr alles dafür getan, um eine Ausbreitung des Virus zu verhindern. Teilweise wurden fünfstellige Summen in die Hand genommen, um in Hygienekonzepte, Abtrennungen und Luftfilter zu investieren – von der Man-Power, die in diese Umstrukturierungsmaßnahmen gesteckt wurde, mal ganz abgesehen. Das alles nun offensichtlich für nichts.

Es scheint wissenschaftlich belegt zu sein, dass das Gastgewerbe keinen Infektionsherd darstellt. Daher begreifen wir uns selbst ja auch nicht als das Problem, sondern als Teil der Lösung. Die Politik sieht das offensichtlich anders und das ist, insbesondere vor dem Hintergrund, dass man uns keine Perspektive gibt, sondern nur sagt: „Das mit dem Hilfen kann so nicht ewig weitergehen“, natürlich ausgesprochen unbefriedigend.

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Wenn Sie einen Blick in die Zukunft wagen: Wie wird es mit der Gastronomie weitergehen? Die Auszahlung der versprochenen Staatshilfen stockt, die Abschlagszahlungen reichen vielfach nicht aus. Muss man befürchten, dass viele Restaurants oder Kneipen in Dortmund nach dem Teil-Lockdown gar nicht mehr öffnen?

Detlef Lotte: Es ist so, dass Gastronomiebetriebe durchweg eine geringe Gewinnspanne haben und dadurch in der Regel auch kaum Rücklagen bilden können. Jetzt in der Pandemie sind die wenigen Rücklagen schnell verbraucht und so mancher wird dies nicht überleben.

Außerdem sind Banken bei der Kreditvergabe für die Gastronomie zurückhaltend. Die zu erwartende Pleitewelle geht über eine Marktbereinigung hinaus und wird auch gesunde Betriebe in Schwierigkeiten bringen.

Lars Martin: Für viele Betriebe werden die Hilfen zu spät kommen. Wenn man sich überlegt, dass in einer Stadt wie Dortmund, deren Hotels und Gastronomiebetriebe in weiten Teilen vom Veranstaltungsgeschäft leben, seit einem dreiviertel Jahr keine nennenswerte Veranstaltungen stattfinden, ist es kein Wunder, dass man beobachten kann, dass nach und nach ein Betrieb nach dem nächsten schließt.


Dieser Rückgang ist noch nicht so aufgefallen, weil es bis jetzt ein schleichender Prozess gewesen ist – und sicherlich ist die jeweilige Situation immer auch abhängig davon, wie viele private Rücklagen man noch hatte oder bereit war, in den Betrieb zu stecken.

Fakt ist: die Rücklagen sind aufgebraucht, die allermeisten Betriebe stehen mit dem Rücken zur Wand. Ich persönlich erwarte eine größere Pleitewelle Anfang des Jahres, denn da kommen häufig größere Rechnungen auf unsere Betriebe zu.

Außerdem tritt das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Corona-Pandemie zum 31.12.2020 außer Kraft. Allein deshalb werden viele Unternehmerinnen und Unternehmer gezwungen sein, Insolvenz anzumelden, wenn sie sich nicht wegen Insolvenzverschleppung strafbar machen wollen.

Gehen die Lichter für viele Restaurants und Kneipen in Dortmund irgendwann ganz aus? Unser Foto zeigt hier das Hotel und Restaurant Dieckmann‘s an der Wittbräucker Straße in Dortmund

Gehen die Lichter für viele Restaurants und Kneipen in Dortmund irgendwann ganz aus? Unser Foto zeigt hier das Hotel und Restaurant Dieckmann‘s an der Wittbräucker Straße, das Detlef Lotte gerne möglichst bald öffnen würde. Zurzeit sei aber überhaupt nicht abzusehen, wann das der Fall sein kann. © Schaper

Das hört sich alles gar nicht gut an. Deshalb nochmal die Frage: Wie viel Gastronomie wird in Dortmund noch da sein, wenn wieder geöffnet werden darf? Für Düsseldorf rechnet ein Kenner der dortigen Gastro-Szene damit, dass 50 Prozent der Gastronomen Konkurs anmelden werden.

Detlef Lotte: Wir können alle nicht in die Glaskugel gucken. Aber dass die Hälfte der Gastronomiebetriebe pleite geht, halte ich für deutlich übertrieben.

Lars Martin: Ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung, wie sich die Inzidenzzahlen in den kommenden Monaten entwickeln, welche Maßnahmen die Politik plant und inwieweit unsere Betriebe hiervon betroffen sein werden. Am Anfang der Krise bin ich mal davon ausgegangen, dass es 30 Prozent unserer Betriebe erwischt. Mittlerweile ertappe mich selbst dabei, dass ich mir denke: Hoffentlich bleibt es dabei!

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Ist es richtig, dass das Land NRW jetzt Schreiben zur Rückzahlung der Soforthilfe aus dem ersten Lockdown verschickt? Wenn ja, was bedeutet das?

Detlef Lotte: Bei uns ist da nichts eingegangen. Das liegt möglicherweise an unserer Unternehmensstruktur. Wir können als Kettenbetrieb mit vielen Gastronomien bundesweit jede Zahl greifen und haben deshalb die Anträge wohl formvollendet gestellt.

Lars Martin: Ja, unsere Mitglieder haben in den letzten Tagen vermehrt diesbezüglich bei uns angerufen. Dass die Schreiben ausgerechnet in einer Phase kommen, in der die November- und Dezemberhilfe zwar versprochen, aber bis auf eventuelle Abschläge nicht ausgezahlt wurde, ist natürlich etwas unglücklich. Aber die Rückmeldung muss ja nicht in diesem Jahr erfolgen, da haben unsere Betriebe also ein noch ein wenig Zeit.

Mehr Sorge macht uns, dass uns vermehrt gemeldet wird, dass die Rückzahlungen höher ausfallen als zunächst gedacht. Dies hängt sicherlich mit den zwischenzeitlichen, nachträglichen Änderungen der Förderbedingungen zusammen, die wir immer wieder kritisiert haben. Es kann nicht sein, dass für viele Betriebe aus der vielgepriesenen Soforthilfe ein kurzfristiger Kredit wird.

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Was erwarten Sie, wenn wieder geöffnet werden darf? Wird es dann eine große Aufbruchsstimmung geben? Und gibt es dann überhaupt noch Personal dafür? Man hört, dass viele Kellner jetzt Pakete ausfahren. Hat die Existenzangst die Leute aus der Gastronomie getrieben?

Detlef Lotte: Wir stehen in den Startlöchern und warten sehnsüchtig darauf, dass es wieder los geht. Aber dass das ab dem 11. Januar 2021 sein wird, halte ich für total unwahrscheinlich. Und wenn wieder geöffnet werden darf, glaube ich, dass der Aufschwung langsam vonstattengehen wird.

Es wird keine Wiedereröffnung ohne entsprechende Auflagen geben. Eine neue Normalität mit der Möglichkeit von kleinen und großen Veranstaltungen wird es erst nach erfolgreicher Umsetzung der Impfungen geben.

Zum Personal: Auch vor der Pandemie gab es bereits einen enormen Fachkräftemangel. Hier werden die Gastronomiebetriebe neue Ideen entwickeln müssen. Da sind stärkere Geldanreize nur ein Thema, es geht auch darum, Leute aus anderen Bereichen zu gewinnen und für den Job zu trainieren, oder auch um gutes Betriebsklima.

Lars Martin: Natürlich sind uns Mitarbeiter abgesprungen – das ist aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten ja auch verständlich, schließlich müssen Familien versorgt oder das Studium irgendwie finanziert werden. Allein mit dem Kurzarbeitergeld wird das oft schwierig.

Wir sind aber guter Hoffnung, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch wieder zurückkommen. Die meisten sind ja „Überzeugungstäter“ und schätzen die ganz besondere Atmosphäre unserer Branche und genießen es einfach, Teil eines Teams von Gastgebern zu sein.


Was erwarten Sie im nächsten Jahr vom Staat, um wieder auf die Beine zu kommen?

Detlef Lotte: Was wir jetzt dringend brauchen, ist eine Öffnungsperspektive. Wir fliegen derzeit auf Sicht, aber wir müssen wissen, unter welchen Bedingungen wir wann wieder arbeiten dürfen.

Lars Martin: Und es ist wohl auch klar, dass wir zunächst zwischen den einzelnen Betriebstypen differenzieren müssen und dass für diese unterschiedliche Öffnungskonzepte erarbeitet werden müssen.

Während in Speisegaststätten die bisherigen AHA+L-Regeln - also Atemmaske, Hygiene, Abstand und Lüften - ausreichen dürften und aus unserer Sicht von diesen Betrieben kein höheres Infektionsgeschehen als beispielsweise vom Einzelhandel ausgeht, muss man für Betriebstypen, bei denen mehr Leute auf engen Raum zusammenkommen, wie etwa den seit nunmehr neun Monaten geschlossenen Clubs, über andere Maßnahmen, wie beispielsweise Corona-Schnelltests am Eingang, nachdenken.

Wir sind da grundsätzlich für alles offen und stehen der Politik gerne mit unseren Vorschlägen zur Seite. Aber eines ist sicher: Wenn Betriebe zum Wohle der Gesellschaft geschlossen bleiben müssen, müssen sie für dieses Sonderopfer weiter angemessen entschädigt werden.

Detlef Lotte: Uns hat die Pandemie nicht nur wirtschaftlich hart getroffen, sie hat uns auch gezeigt, wie schnell sich alles ändern kann. Aber: Es wird auch wieder aufwärts gehen!