Gabriel Feltz zeigt, wie Anton Bruckner seinen eigenen Tod komponierte

© Tilman Abegg

Gabriel Feltz zeigt, wie Anton Bruckner seinen eigenen Tod komponierte

rnBruckners Neunte Sinfonie

Gabriel Feltz erklärt seinen Blick auf die neunte Sinfonie von Anton Bruckner. Wenn man einen von Bruckners Liebesbriefen liest, versteht man besser, was Feltz an Bruckner so fasziniert.

Dortmund

, 08.11.2018, 04:50 Uhr / Lesedauer: 4 min

Gabriel Feltz, Generalmusikdirektor der Dortmunder Philharmoniker, hat mit uns in seine Partitur von Anton Bruckners 9. Sinfonie geschaut - im Hinblick auf das Philharmonische Konzert am 13. und 14. November im Konzerthaus.

Gabriel Feltz ist Dortmunder Generalmusikdirektor seit 2013.

Gabriel Feltz ist Dortmunder Generalmusikdirektor seit 2013. © Thomas Jauk

Feltz‘ Gedanken über den Komponisten und dieses Werk, das letzte, an dem Anton Bruckner gearbeitet hat, haben wir hier aufgeschrieben, zusammen mit einem von Anton Bruckners sehr speziellen Liebesbriefen im Wortlaut.

Feltz über Bruckner: „Ein kleiner, kauziger, manischer Mann“

Anton Bruckner lebte von 1824 bis 1896.

Anton Bruckner lebte von 1824 bis 1896. © dpa

In Gabriel Feltz‘ Augen war Anton Bruckner (1824-1896) „ein kleiner, kauziger Mann, der zeitlebens nie eine Beziehung hatte, der zwei oder drei äußerst unglückliche Heiratsformulierungen gemacht hat, die so geschwurbelt geschrieben sind, dass man sich totlachen könnte.“

Ein Liebesbrief von Anton Bruckner

Im August 1866 schrieb Anton Bruckner an Josefine Lang. Er wollte sie, kurz gesagt, fragen, ob sie ihn heiraten möchte. Er fand etwas ausführlichere Worte, hier in voller Länge:

„Sehr verehrtes, liebenswürdiges Fräulein!

Nicht, als ob ich mich mit einer Ihnen befremdlichen Angelegenheit an Sie, verehrtes Fräulein, wenden würde. Nein, in der Überzeugung, dass Ihnen längst mein zwar stilles, aber beständiges Harren auf Sie bekannt ist, ergreife ich die Feder, um Sie zu belästigen.
Meine größte und innigste Bitte, die ich hiermit an Sie, Fräulein Josefine, zu richten wage, ist: Fräulein Josefine wollen mir gütigst offen und aufrichtig Ihre letzte und endgiltige, aber auch ganz entscheidende Antwort schriftlich zu meiner künftigen Beruhigung mitteilen, und zwar über die Frage: Darf ich auf Sie hoffen und bei Ihren lieben Eltern um Ihre Hand werben? Oder ist es Ihnen nicht möglich, aus Mangel an persönlicher Zuneigung, mit mir den ehelichen Schritt zu tun?

Fräulein sehen, dass die Frage ganz entscheidend ist. Das eine oder andere bitte ich inständigst mir so bald als möglich eben zu entscheiden aber gewiss ebenso entschieden zu schreiben.

Bitte sagen Fräulein Josefine doch Ihren lieben Eltern, aber sonst niemandem. (Bitte das strengste Geheimnis bewahren zu wollen.)

Und wählen Sie einen aus den vorgelegten zwei Punkten der Frage im Einverständnisse mit Ihren lieben Eltern.

Mein treuer Freund, Ihr Herr Bruder, hat bereits mich auf alles vorbereitet und wird auch Sie schon seinem Versprechen gemäß verständigt haben.

Noch mal meine Bitte: Wollen Fräulein ganz offen und aufrichtig und ganz entschieden schreiben, entweder ich darf um Sie werben oder gänzliche, ewige Absage. (Kein Mittelding, etwa Vertrösten oder Umschreiben, da bei mir die höchste Zeit bereits vorhanden ist.)

Zudem würde sich Ihr Gefühl nicht leicht verändern, weil Fräulein sehr vernünftig sind. Fräulein dürfen die reine Wahrheit mir unbesorgt sagen, weil selbe in jedem Falle mir Beruhigung gewähren wird.

Mit Handkuss einer möglichst baldigen, entschiedenen Antwort entgegenharrend, Anton Bruckner“
(aus: Leopold Nowak, „Anton Bruckner. Musik und Leben“, Rudolf-Trauner-Verlag, Linz 1973)

Feltz weiter: „Bruckner war jemand, der die Takte in seinen Sinfonien komplett durchnummeriert hat, manisch, das ist unfassbar, niemand würde sich diese Mühe machen. Andere Komponisten und Dirigenten verehrt er bis zum Kniefall, so sehr, dass es manchen richtig peinlich war.“

Feltz über die neunte Sinfonie: „Die Essenz seines Lebens“

Die erste Seite von Bruckners neunter Sinfonie.

Die erste Seite von Bruckners neunter Sinfonie. © Tilman Abegg

„Und dann hört man diese Musik, und die ist dieser Person absolut wesensfremd. Diese Musik hat Größe, Unendlichkeit, zerstört jegliches Zeitgefühl, transportiert riesige Botschaften, Emotionen, Eruptionen. Der Anfang der Neunten, wenn diese Entwicklung zum Tutti kommt, da wackelt die Erde, man hat das Gefühl, da tut sich das Tor zum jüngsten Gericht auf. Ich kenne keinen größeren Unterschied zwischen einer Person und ihrer Musik.

Die siebte ist eine sehr helle Sinfonie, nicht so zerklüftet wie die achte, nicht so rätselhaft wie die sechste und nicht so mysteriös wie die neunte, daher hat die siebte den Zugang zum Publikum am schnellsten geschafft, neben der vierten. Aber die Neunte ist die Essenz dieses Mannes.“

Feltz über den dritten Satz: „Ein schmerzhafter Abschied vom Leben“

„Der Tod“ hat Gabriel Feltz in der Partitur notiert.

„Der Tod“ hat Gabriel Feltz in der Partitur notiert. © Tilman Abegg

„Diese Stelle, da bin ich mir ganz sicher, soll der Tod sein.“ Anton Bruckners eigener Tod, am Ende des dritten Satzes. „Sie ist in h-Moll geschrieben. h-Moll hat oft eine bedrohende Bedeutung in der klassischen Musik. Es fängt sehr feierlich an, mit einer gewaltigen Eruption wie große, heilige Flammen.

Dann kommt der Tubenchoral, eine endlos fallende Linie, sehr wehmütig und düster, unendlich chromatisch. Bruckner selbst hat es ‚Abschied vom Leben‘ genannt. Es ist ein sehr schmerzhafter Abschied, mit sehr kargen Melodiefetzen.“

Feltz über den Höhepunkt: Ein „radikaler Akkord“

Rechts hat Feltz die Töne dieses Akkords notiert.

Rechts hat Feltz die Töne dieses Akkords notiert. © Tilman Abegg

„Dann bäumt sich die erste Geige schmerzhaft auf, auf der tiefen G-Saite. Das ist sehr schwer zu spielen, denn sie spielt auf ein und derselben Saite eine None, das heißt, die 16 Finger der 16 Geiger müssen auf derselben Saite weit hochrutschen und den Ton sauber treffen.

Dieser Ton braucht Tiefe, er braucht die Freiheit eines großen Tones. Dann kommt dieser dissonante Akkord (Foto), vielleicht einer der interessanten Akkorde der gesamten Musikgeschichte, weltweit. Er verweigert jegliche Auflösung. Das ist radikale, moderne Musik.“

Feltz über diese Sinfonie: „Es fehlt nichts“

Feltz‘ Notiz unten rechts auf der letzten Seite der Partitur.

Feltz‘ Notiz unten rechts auf der letzten Seite der Partitur. © Tilman Abegg

Anton Bruckner hat seine Neunte dem lieben Gott gewidmet. Möglicherweise, weil er sehr krank war und hoffte, dass Gott ihm genug Zeit gibt, sie zu vollenden. Doch Bruckner starb, bevor er den vierten Satz beenden konnte, außerdem gingen bereits komponierte Teile davon verloren.

Mehrere Komponisten haben den vierten Satz vollendet, aber Feltz spielt keine dieser Versionen: „Ich habe daran kein Interesse. Für mich ist das Werk fertig, so wie es ist. Da fehlt nichts. Im Gegenteil: Was hätte nach diesem dritten Satz noch kommen sollen?“

Der Dirigent Nikolaus Hanouncourt, sagt Feltz, habe „etwas sehr Schönes gesagt über den dritten Satz: dass er eine Antenne ins 20. Jahrhundert ist. Weil er so kühn ist. So chromatisch, dass man teilweise die Akkorde gar nicht genau benennen kann.“

Feltz über Bruckners Art zu komponieren: „Eine religiöse Komponente“

Eine vom Schriftbild her besonders eindrucksvolle Doppelseite der Partitur.

Eine vom Schriftbild her besonders eindrucksvolle Doppelseite der Partitur. © Tilman Abegg

Seine Partitur der neunten Sinfonie von Anton Bruckner stammt aus den 1920er-Jahren, schätzt Gabriel Feltz: „Eine Rarität.“

Feltz: „Die Partitur hat eine symbolhafte, fast kalligrafisch-symmetrische Schönheit, weil sie so periodisch komponiert ist. Ich sehe eine Ähnlichkeit mit gotischer Architektur: Diese Musik ist unglaublich hoch komponiert, sowohl was den Klang angeht, als auch den Gehalt. Ich sehe immer eine religiöse Komponente in dieser Musik.“

Der Dirigent Roger Norrington habe mal gesagt, ein Scherzo von Bruckner müsse man sich vorstellen wie ein mittelalterliches Fest, wo auf der einen Seite der Kirche die Sonne scheint und die Menschen ein Fest feiern, und auf der anderen Seite darben die Menschen und sterben an der Lepra. Feltz: „Ich kann das nicht vollständig unterschreiben, aber ich finde es zumindest bedenkenswert.“

Das Philharmonische Konzert „Letzte Dinge“ führt Gabriel Feltz mit den Dortmunder Philharmonikern am 13. und 14. November (Dienstag und Mittwoch) im Konzerthaus, Brückstraße 21, auf, jeweils um 20 Uhr. Vor Bruckners 9. Sinfonie in d-Moll spielen die Philharmoniker das Scherzo triste op. 5 von Pavel Haas und das 3. Klavierkonzert Sz 119 von Béla Bartók mit Gerhard Oppitz am Klavier. Karten für 19 bis 42 Euro gibt es an der Tageskasse im Opernhaus, unter Tel. 5 02 72 22 und auf www.theaterdo.de