Über 100 Patientinnen hat ein Frauenarzt aus Dortmund bei Untersuchungen heimlich im Intimbereich gefilmt. Die Kameras versteckte er perfide: in einem Kugelschreiber, der Auffangschale des Behandlungsstuhls oder in einer Uhr. Mindestens zwei Jahre lang soll der Arzt aus sexuellen Beweggründen Material gesammelt haben.

Der Skandal machte die Runde. Allerdings nicht nur wegen des Vorfalls selbst, sondern auch, weil dem Gynäkologen noch drei Jahre nach der Tat nicht der Prozess gemacht wurde. Und als es dann so weit war, ist der erste Prozess wegen juristischer Probleme geplatzt. Beim zweiten Prozess waren seine Taten teils verjährt: Der Arzt bekam für 50-fachen sexuellen Missbrauch eine Bewährungsstrafe.
Erwischt durch eine Auszubildende
Die heimlich erstellten Filme aus dem Behandlungszimmer des Gynäkologen mit Praxis in der Dortmunder-Innenstadt entstanden schätzungsweise in den Jahren 2010 und 2011. Er filmte meist Vorsorgeuntersuchungen, die – das berichtete eine Frau später – immer ungewöhnlich lange dauerten.
Aufgeflogen ist die Geschichte erst, als eine Auszubildende im Jahr 2012 eine Kamera im Behandlungszimmer in der Praxis entdeckt. Sofort sagte sie der Ärztekammer Bescheid und kontaktierte die Polizei. Diese kam dann an einem Mittwochnachmittag im Juni 2012 in die Praxis des – damals noch – Verdächtigen.
Gynäkologe nicht kooperativ
Die Polizei wählte für die erste Durchsuchung mit Absicht einen Mittwoch. Sie hatte die Hoffnung, dass sich nur noch wenige Patienten in der Praxis befinden würden. Der Plan ging allerdings nicht auf. Das Wartezimmer war gut gefüllt. Zusammen mit Mitarbeitern hat eine Polizistin die Wartenden vertröstet, noch ohne einen Grund zu nennen.
Dem Arzt wiederum sagte ein anderer Polizist sehr wohl, wieso er und seine Kollegin in der Praxis sind. Sie verlangten Zutritt zum Behandlungszimmer, den ihnen der Arzt auch gewährte. Doch von dem Punkt an, so die spätere Aussage der Polizei, war der Mann äußerst unkooperativ.
Es wird später beschrieben, dass er sofort beim Betreten der Räume wohl absichtlich seinen Laptop vom Schreibtisch gestoßen hat. Der war daraufhin kaputt. Als die Beamten den Mann zurechtweisen wollten, bemerkten sie, dass er verdächtig intensiv mit einem Kugelschreiber spielte. Er verweigerte die Herausgabe, wurde aber mit einem Schmerzgriff am Daumen dazu gezwungen, den Kuli auszuhändigen. Er ging dabei kaputt, doch es war schnell klar, dass es sich nicht um einen Stift, sondern eine Kamera handelte.
Um nicht weiter die Ermittlungen zu stören, mussten die Beamten den Mann irgendwann auffordern, auf einem Stuhl vor einem Regal Platz zu nehmen. Die Suche ging weiter. Als sie beendet war, haben die Polizisten noch deutlich mehr Elektronik gefunden. Einen Videorekorder, eine Armbanduhr, mit der man filmen konnte, Lautsprecher und mehr. Später sagten die Polizisten aus, sie haben unüblich viel Elektronik im Zimmer gefunden.
Die Odyssee der Datenauswertung
Die Sache hätte kaum klarer sein können. Man fand die Kameras, sowie einige Speichermedien mit Bildern und Videos diverser Intimbereiche darauf. Doch die Auswertung der großen Datenmenge sollte lange dauern.
Auf den Videos sollen keine Gesichter gewesen sein. Die einzige Zuordnung zu den gefilmten Patientinnen war über die Zeitstempel der Videos und mit dem Abgleich mit dem Terminkalender des Arztes möglich. Und selbst dann hatte man das Problem, dass ein Terminkalender eines Arztes oft nur wenig mit den tatsächlichen Sprechzeiten zu tun hat.
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Ein anderes Problem war, dass der Verdächtige auch dabei unkooperativ war. Er hat seine Daten zum großen Teil verschlüsselt und kein Passwort herausgegeben. Bis heute haben Ermittler einige Datenträger nicht auswerten können – der Verdacht, dass viel mehr Frauen gefilmt wurden, bleibt daher bestehen.
Neben dem Zuordnen der Daten zu den Geschädigten blieb eine weitere Frage offen: Was ist der Straftatbestand in einer solchen Situation? Die eine Hälfte der Antwort schien damals klar: Verletzung der Persönlichkeitsrechte durch Bildaufnahmen ohne Erlaubnis. Aber hier wurde nicht einfach jemand normal gefilmt, sondern explizit Sexualorgane und Intimbereiche aufgenommen.
Ein Gutachter musste her. In diesem Fall ein Frauenarzt, der die Frage beantworten sollte, ob es sich bei den Untersuchungen um normales Vorgehen handelte, oder ob bestimmte Griffe unnötig sexuell waren, weil sie sehr lange andauern oder bei einer Untersuchung einfach nicht notwendig sind. Bei etwa 50 Fällen sagte dieser Gutachter: Ja. Das, was man da sieht, gehört nicht zu einer gynäkologischen Untersuchung. Die Anklage erweiterte sich um sexuellen Missbrauch durch Ausnutzen einer ärztlichen Behandlungssituation.
Der erste Prozess platzt
Seine Approbation hatte die Ärztekammer dem Gynäkologen bereits 2012 entzogen. Zum Prozess kam es aber erst drei Jahre später; am 30. Dezember 2015. Der Grund war, dass es so viele Nebenklägerinnen gab, dass eine Weitergabe der Gerichtsakten an ihre Anwälte extrem lange dauerte. Als dann der erste Prozesstag anstand, war der Andrang groß. Der Fall hat für großes Aufsehen in der Dortmunder Bevölkerung gesorgt. Viele wollten wissen, ob sie oder Angehörige Opfer des Arztes geworden sind. Der Gerichtssaal war voll. Viele Frauen waren vertreten – ehemalige Patientinnen.
Als der Prozess begann, war schnell deutlich, dass der Angeklagte schweigen wird. Es folgten die ersten Zeugenaussagen der Polizisten, die ihre Ergebnisse der Durchsuchungen mitteilten. Sie machten deutlich, der Angeklagte sei unkooperativ und berichteten über die vielen Fälle, in denen er versuchte, die Ermittlungen zu behindern.
Nach diesen ersten Aussagen der Polizei folgte die Aussage des Gutachters, der maßgeblich verantwortlich war für die Anklage des sexuellen Missbrauchs. Dieser machte in seiner Aussage allerdings einen Fehler, der den ganzen Prozess zum Platzen bringen sollte: Auf die Frage nach seinem Herangehen an den Fall, sagte er, er wolle nach Punkten suchen, die die Anklage verwenden könne. Es folgte ein Befangenheitsurteil der Verteidigung – es war erfolgreich. Der Prozess war beendet.
Im Laufe des Prozesses verjährt
Ein neuer Gutachter musste her. Einer, der bei all dem Medientrubel nichts vom Fall mitbekommen hat. Diesmal musste es stimmen, er musste unvoreingenommen sein, um die Klatsche aus dem ersten Prozess nicht zu wiederholen. Und dann kommt noch hinzu, dass der neue Gutachter ja auch die Masse an Material sichten muss, die vorliegt. Am Ende war man erfolgreich – das ganze dauerte aber weitere drei Jahre.
Mittlerweile war 2018, der zweite Prozess um den Gynäkologen, der heimlich seine Patientinnen filmte, beginnt mit einem Paukenschlag. Der Verteidiger des Arztes beruft sich auf Verjährung. Seit die Taten bekannt sind, sind über sechs Jahre vergangen. Die Tat wäre normal nach drei Jahren verjährt, doch wurde die Verjährungsfrist auf ruhend gestellt. Doch existiert neben der normalen die sogenannte absolute Verjährungsfrist. Die besagt, dass eine Tat nach der doppelten Verjährungsfrist nicht mehr verfolgt werden kann, auch wenn bereits verhandelt wird und wurde.
Die Richter mussten dem teilweise recht geben. Die Verletzung der Persönlichkeitsrechte durfte nicht mehr bestraft werden. Wohl aber der sexuelle Missbrauch. Denn der neue Gutachter kam zum selben Ergebnis wie der erste: Bei den Untersuchungen handelte es sich um eine Straftat. Jedoch ist die Strafe nicht mehr so hoch, wie wenn beide Anklagepunkte noch aktuell gewesen wären.
Der angeklagte Frauenarzt nutzte die Gelegenheit und handelte einen Deal aus. Er gesteht, und kommt mit Bewährung raus. Er gab also zu, dass er diese Videos seiner Patientinnen aus sexuellem Antrieb gemacht hat, gab zu, dass es ihn erregt hat – und bekam dafür 22 Monate auf Bewährung. Ein Urteil, gegen das er sogar Revision einlegte. Es war ihm zu streng, dabei handelte es sich ja nicht um Behandlungen, sondern um Vorsorgeuntersuchungen. Den Schlussstrich unter diesen Fall setzte der Bundesgerichtshof im Jahr 2021: Eine Vorsorgeuntersuchung gilt als Behandlung, das Urteil bleibt.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 25. August 2024.
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