Modebranche unter Druck Warum setzen Marken wie H&M, Only und Deichmann dennoch auf zwei Filialen?

Filial-Analyse in Dortmund: Manche Marken gibt es in der City doppelt
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Wirtschaftliche Unsicherheiten, steigende Mieten und ein verändertes Verbraucherverhalten: Der deutsche Einzelhandel steckt in der Krise. Immer mehr Modehändler ziehen sich aus dem klassischen Filialgeschäft zurück und richten ihren Fokus auf das Onlinegeschäft. Andere Textil- und Modeunternehmen unterhalten aber gleich zwei Filialen in der City von Dortmund.

Der Braunschweiger Modeanbieter New Yorker zum Beispiel hat sein Geschäft in der Thier-Galerie gerade erst aufgefrischt und ist gleichzeitig mit einer großen Filiale am Westenhellweg vertreten. Only, eine Marke der dänischen Bestseller Group, unterhält seit Frühjahr 2023 ein ganzes Modehaus auf zwei Etagen am Westenhellweg (ehemals Hema) und hat sich in der Thier-Galerie ebenfalls gerade enorm vergrößert. Sowohl in dem Shoppingcenter als auch an der Einkaufsmeile sind außerdem H&M, Vero Moda, Jack & Jones und der Schuhhändler Deichmann vertreten. Eine Kultmarke wie Esprit wird dagegen in diesem Monat ganz aus Dortmund und Deutschland verschwinden. Und große Modehändler wie P&C Düsseldorf, Appelrath Cüpper oder Wormland waren aufgrund der Corona-Pandemie in solch wirtschaftlichen Schwierigkeiten, dass sie Insolvenz anmelden und sich in nervenaufreibenden Schutzschirm- und Sanierungsverfahren wieder aufrappeln mussten. Wie erklärt sich dieser Kontrast?

Fragt man bei den Unternehmen an, warum sie in Großstädten wie Dortmund eine „Doppelstrategie“ fahren, so erhält man vielfach gar keine oder nur eine unzureichende Antwort. Von New Yorker etwa heißt es: „Vor dem Hintergrund, dass New Yorker stetig expandiert und das Produktsortiment immer vielfältiger wird, wird das Filialnetz kontinuierlich ausgebaut und angepasst. Entscheidungen über Eröffnungen von Filialen werden stets unter Berücksichtigung unterschiedlicher Faktoren getroffen.“

Deichmann zieht 2025 um

Man kann davon ausgehen, dass umfassende Analysen darüber erstellt werden, welches Potenzial ein Standort wie Dortmund hat. Die Kaufkraft der Bevölkerung, die Passantenfrequenz, die Erreichbarkeit und die Attraktivität der Lage - all das wird untersucht. Diese Faktoren, so erklärt Christian Hinkel, Leiter der Unternehmenskommunikation beim Essener Schuheinzelhändler Deichmann, „beeinflussen, wie viel Umsatz eine Filiale potenziell erzielen kann. Daher prüfen und analysieren wir die Aspekte wie Lage, Räumlichkeiten, Kosten, Nachfragepotenzial, Umfeld und Konkurrenzsituation und verschaffen uns so ein umfassendes Bild, ob Standorte für unsere Filialen sinnvoll sind.“ Deichmann betreibt in der City ein Geschäft am Westenhellweg 60 und eines im Basement der Thier-Galerie. Im nächsten Jahr wird man am Westenhellweg umziehen und am ehemaligen Appelrath-Cüpper-Standort ein großes Schuhhaus eröffnen. „Wir glauben weiter an den stationären Handel“, sagt Christian Hinkel.

Passanten gehen an der Filiale von Only am Westenhellweg in Dortmund vorbei.
Das Damenmode-Haus Only eröffnete im Frühjahr 2023 auf zwei Etagen an dem Standort am Westenhellweg, an dem das Hema-Kaufhaus kurz zuvor ausgezogen war. © Peter Wulle

Nur ungern, das wird deutlich, lassen sich die großen Filialisten in Deutschland in die Karten schauen. Hilfreicher bei der Suche nach Erklärungsansätzen sind Branchenexperten wie Martin Kremming (Cima Beratung + Management), der gerade die Deutschlandstudie Innenstadt 2024 erstellt hat. Er verweist auf eine Marktbereinigung in den vergangenen Jahren und sagt: „Wer es nicht verstanden hat, Kunden für sich zu begeistern, ist vom Markt verschwunden. Doppelte Filialen in einer City sind ein Zeichen der zurückgehenden Vielfalt. Früher waren Top-Lagen überhaupt nicht zu bekommen. Das ist jetzt einfacher - zumal auch die Mieten zum Teil gesunken sind. Für die kapitalstarken Unternehmen, die derzeit einen Lauf haben, ist es eine Strategie, die jeweilige Lage zu testen und auch herauszufinden, wie viel Verkaufsfläche eine Innenstadt verträgt.“

Die Online-Plattform Localyzer hat zum Stichtag 1. Februar 2024 erhoben, wie oft die 20 führenden Textilunternehmen in den 20 größten deutschen Städten vertreten sind. Dabei geht es nicht nur um Innenstädte. Kik ist mit 245 Filialen am häufigsten vertreten. Gefolgt von Ernsting's Family (226), Deichmann (151), Tchibo (129) und H&M (92). Ein Unternehmen wie New Yorker, das es in der Regel nur in Citylagen gibt, rangiert mit 60 Filialen auf Rang 8. Allein im Stadtgebiet von Berlin hat New Yorker 10 Filialen, in Köln 5. Dass man in Dortmund am Westenhellweg und in der Thier-Galerie zu finden ist, ist also gar nicht so überraschend. Schließlich ist der Westenhellweg nach wie vor eine der stärksten Handelszonen in Deutschland.

Unterschiedliche Kundengruppen

Thomas Schäfer, Geschäftsführer des Handelsverbandes Westfalen-Münsterland in Dortmund, nennt mehrere Gründe dafür, warum sich Filialen desselben Unternehmens einmal in einer Fußgängerzone und einmal in einem Einkaufszentrum befinden: „Zum einen gibt es immer noch teils unterschiedliche Kundengruppen in einem Einkaufscenter und in einer Fußgängerzone. Zum anderen können die angebotenen Warengruppen variieren, um seitens des Unternehmens festzustellen, was der Kunde/die Kundin wo einkauft. Zudem kann das Konkurrenzangebot dazu beitragen, dass ein Unternehmen sich und sein Angebot mehrfach präsentiert, gerade dort, wo sich auch andere vergleichbare Angebote finden.“

Passanten gehen an der Filiale von New Yorker am Westenhellweg in Dortmund vorbei.
Mit dieser großen Filiale ist das Modeunternehmen New Yorker hier am Westenhellweg 18 vertreten. Ein weiteres Geschäft, das gerade auch erweitert wurde, gibt es in der Thier-Galerie. © Peter Wulle

Jörg Lehnerdt, in Köln tätig bei BBE, einer Unternehmensberatung für den Handel, unterstreicht, dass sich die großen Mode-Filialisten gut überlegen, ob sie in einem Shoppingcenter richtig sind oder direkt an einer Fußgängerzone. „Man guckt, welcher Standort der bessere ist“, sagt er und führt außerdem an, dass es sich bei den in Dortmund doppelt vorhandenen Filialisten um sogenannte „Voll-Vertikale“ handelt.

Damit ist gemeint, dass sie die gesamte Wertschöpfungskette von der Herstellung bis zum Verkauf abdecken und entsprechend höhere Gewinnmargen erzielen als Multi-Label-Stores, die die Waren mehrerer Produzenten nur vertreiben. „Voll-Vertikale“, das sagt er übereinstimmend mit Thomas Schäfer, „sind eher als Inhaber-geführte Betriebe in der Lage, die vergleichsweise hohen Mieten in den guten Innenstadtlagen zu tragen.“ Und sie schaffen es, so Jörg Lehnerdt, gute Preise zu bieten: „Das ist wichtig in einer Zeit, in der es wieder den Trend hin zu einer Discount-Orientierung gibt.“

Jörg Lehnerdt von der Unternehmensberatung BBE.
Jörg Lehnerdt von BBE, einer Unternehmensberatung für den Handel, glaubt nicht, dass die großen Mode-Filialisten dauerhaft zwei Standorte in der City betreiben werden. © BBE

Thomas Schäfer sagt: „Es gelingt vielen Unternehmen, sich mit dem aus Kundensicht ansprechenden Sortiment, einer gelungenen Kundenansprache und einem aus Kundensicht attraktiven Konzept auch in Innenstädten stationär zu behaupten. Daher verwundert es nicht, wenn sich Unternehmen in einer Einkaufsstraße gleich zweimal niederlassen.“ Und Jörg Lehnerdt fügt an: „Es verschafft den Händlern außerdem eine bessere Verhandlungsposition bei der Verlängerung des Mietverhältnisses, wenn man in einer City noch einen zweiten Standort sicher hat.“

Während Thomas Schäfer darauf hinweist, dass die Kunden, die Innenstadt und auch der gesamte Handel von den namhaften Modeunternehmen profitieren, die zwei oder mehrere Standorte in einer City betreiben und so „für Frequenz und dafür sorgen, dass Dortmund als Einkaufsstadt attraktiv bleibt“, ist Jörg Lehnerdt skeptisch, ob das auf Dauer so bleiben wird. „Die meisten“, sagt er, „werden gucken, wo sie am besten fahren und sich dann in den nächsten Jahren auf einen Standort in Dortmund festlegen.“ Der Experte rechnet damit, dass die Zahl der Textilgeschäfte insgesamt weiter schrumpfen wird. „Textil wird aber die dominierende Branche auch in der Dortmunder City bleiben. Dortmund wird auch in zehn Jahren noch Textilkompetenz haben.“