Das Prisma war die erste richtige Disko, in der unsere Autorin gefeiert hat. Eine Erinnerung an den Partyort ihrer Jugend und an die Zeit, als Großraumdiskos noch cool waren.
Ich war gerade 17, als ich meinen ersten Schritt in eine richtige Disko machte. Das Prisma. In Dortmund. Das war eine große Sache damals. Mit dem Ausweis meiner Freundin in der Hand, die zumindest so blonde Haare hatte wie ich und – das war das Wichtigste – schon 18 war, stellte ich mich in die Schlange vor dem roten Backsteingebäude in Eving. Und lernte eine neue Welt kennen.
Bis dahin kannte ich nur das, was meine kleine Heimatstadt im Sauerland so zu bieten hatte und wo wir hingingen, weil’s eben nichts anderes gab: Eine schäbige Kellerkneipe, wo den ganzen Abend Rockmusik lief und wo man für 6 Euro einen Bierkrug bekam, gefüllt mit einem Mix so ziemlich aller alkoholischer Getränke, die die Kneipe gerade so da hatte. Und einen Laden, der dem, was eine Disko ist, noch am nächsten kam, in dem das In-Getränk Salitos Ice war und immer um Mitternacht das Lied „Denkmal“ von Wir Sind Helden lief, weil der Laden Denkmal hieß.
Das wahre Nachtleben
Und dann, als die Ersten im Freundeskreis 18 wurden und Auto fahren durften, konnten wir endlich das wahre Nachtleben kennenlernen. Und Dortmund bedeutete für uns Kleinstädter damals, im Jahr der Fußball-WM in Deutschland, die große weite Welt. 35 Minuten Autofahrt – und endlich würden wir erfahren, wie es ist, wirklich feiern zu gehen. Vom Soundgarden hatten meine Freundinnen und ich gehört, der schloss aber, bevor wir alt genug waren, um dort hingehen zu können. Die meisten, die wir kannten, gingen zu dieser Zeit ins Prisma. Also taten wir das auch.
Die Sache mit dem geliehenen Personalausweis hat problemlos funktioniert (übrigens nicht nur im Prisma, der Trick ist ja ein alter Hut). Und das Prisma war für mich und meine Freundinnen das absolute Nonplusultra. Ein Ort, an dem wir stundenlang tanzen konnten, wo wir einfach nur den Raum wechseln mussten, wenn uns die Musik nicht mehr gefiel.
Die Probleme mit dem Großstadtverkehr
Meine Eltern gaben, als ich noch nicht volljährig war, ihr Okay, solange sie wussten, wer der Fahrer des Abends sein würde und wir pünktlich zu Hause waren. Bis 1 Uhr konnten wir meistens rausschlagen. Später, als wir alle einen Führerschein hatten, losten wir aus, wer fahren musste. Fahren wollte keine von uns gerne, nicht, weil sie dann nichts trinken konnte, sondern weil jede von uns Respekt vor dem Dortmunder Großstadtverkehr hatte. In meiner Heimatstadt gibt es eine einzige zweispurige Straße und wir Fahranfänger waren zu Beginn ziemlich überfordert. Aber heil angekommen sind wir immer.

Dieses Bild entstand kurz vor der Eröffnung, als die große Halle noch im Aufbau war. © Knut Vahlensieck
2001 hatte das Prisma an der Deutschen Straße in Eving eröffnet. Abseits des Nachtleben-Trubels in der City hatte Dortmund nun also eine Großraumdisko im Vorort im Norden. Auf 5000 Quadratmetern und zwei Etagen gab‘s fünf Tanzflächen, zwei große Barsäle und ein Restaurant. Viele Disko-Welten in einer. Das war etwas Neues. Und die damaligen Betreiber geizten nicht. Im Prisma war alles eine Nummer größer, pompöser, aufwendiger. Das Prisma war nicht nur eine Disko. Es war eine Nachterlebniswelt. Schnell machte sie sich einen Namen; wer reinkommen wollte, musste oft Schlange stehen – obwohl Platz für 4000 Menschen war.
Auch ich habe mir dort einige Stunden meines Lebens in den Bauch gestanden. Am schlimmsten war’s im Winter – und in meiner Erinnerung war es irgendwie immer kalt draußen, wenn ich im Prisma war. Unter der halbwegs wärmenden Winterjacke trugen wir meistens Kleid und dünne Strumpfhose, hohe Schuhe dazu und viel zu viel Kajal um die Augen, damit wir älter aussahen.

Der Eingang zum Prisma © Oliver Schaper
Im Prisma machten sich die Leute schick – und das fanden wir damals unfassbar toll. Rein kam nur, wer sich rausgeputzt hatte. „Dress to impress“ hieß die Parole. Mit weißen Turnschuhen kamst du nicht rein. Das war, anders als heute, ein ungeschriebenes Gesetz und die Leute hielten sich dran.
Das berühmte Buffet
Sobald wir drinnen waren, war es wie in einer anderen Welt. Wir gaben unsere Jacken ab, zahlten unsere 10 Euro Eintritt, gingen die Stufen hoch und landeten erstmal im Restaurant. Bis 22 Uhr war im Eintritt das Buffet enthalten – entsprechend leer war’s zu der Zeit meistens auf der Tanzfläche und voll an den Tischen. Wenn wir mit Jungs unterwegs waren, waren sie meistens die Ersten, die sich die Mägen vollstopften.
Wir Freundinnen haben dort so gut wie nie etwas gegessen. Wir waren viel zu aufgekratzt, Hunger hatten wir erst, wenn wir wieder im Auto saßen und heimfuhren. Wie praktisch, dass direkt um die Ecke ein „Mecces“ war. Einmal durch den McDrive und dann ab nach Hause.

Im Prisma-Restaurant gab es ein Buffet, das bis 22 Uhr im Eintrittspreis inbegriffen und entsprechend beliebt war. © Knut Vahlensieck
Unser Weg führte also üblicherweise ziemlich geradewegs eine Etage höher zu den Tanzflächen. Oben erstreckte sich zunächst eine riesige Bar, von dort gingen die Räume ab. Meistens pendelten wir zwischen der großen Halle, wo House-Musik lief, und der R’n’B-Halle hin und her. In den anderen Hallen liefen Techno, Charts und Klassiker sowie Latino-Sounds.
Die große Halle war vor allem dann interessant, wenn auf der Bühne Stars auftraten. Und damals waren fast jedes Wochenende irgendwelche Stars zu Gast. Ich erinnere mich an Auftritte von Cascada und den Disco Boys, auch Scooter und die Atzen waren mal da – mit viel Nebel, viel Laserlicht, viel Show und vielen aneinander gedrängten Körpern.
Geliebt habe ich die R’n’B-Halle, „Lüstern“ hieß sie. Sie war nicht so groß, immer voll, die Musik (aus damaliger Sicht) immer gut. In der Mitte gab’s, wie in der großen Halle, ein Podest, und wenn wir mutig waren, dann kletterten wir drauf, sodass uns alle anderen beim Tanzen zusehen konnten. 2007, das Jahr, in dem ich 18 wurde, war es, als Culcha Candela „Hamma“ rausbrachten.
Und immer wenn dieses Lied heute irgendwo läuft, muss ich daran denken, wie ich mit meinen Freundinnen im Prisma in dieser R’n’B-Halle tanzte, die klitschnassen Haare klebten im Gesicht, und wir schrien uns gegenseitig zu: „Du bist hamma, wie du dich bewegst in dei‘m Outfit, hamma.“
Alles, war wir wollten, war zu tanzen
Für meine Freundinnen und mich gab es in diesen Momenten nur uns und die Musik. Wir waren nicht im Prisma, um Typen kennenzulernen oder um uns zu betrinken. Alles, was wir wollten, war zu tanzen. Und das Prisma war ein Ort, in dem das ging, in dem man nicht alle fünf Minuten doof von der Seite angequatscht wurde, in dem sich die Zahl der Alkoholleichen zumindest in Grenzen hielt und in dem die Leute halbwegs in Ordnung waren. Die Frauen waren ohnehin in der Mehrheit und die Männer waren entweder die, die richtig gut tanzen konnten oder die, die an der Bar standen und das Geschehen beobachteten.
Playlist: Hören Sie in den Soundtrack des Prisma hinein:
Die Ruhr Nachrichten schrieben 2007 über das Prisma: „Und so trifft man topmodische ,Pussycat Dolls‘, die zu MTV-Choreografie ihre Jugend zelebrieren. Schräge Freaks kommen an den Türstehern nicht vorbei. Hier feiert die bürgerliche Mitte. Schick, jung, amüsierfreudig.“
Und so war es. Wir kauften uns die funkelndsten aller Glitzertops, um sie im Prisma ausführen zu können. Statt Salitos Ice tranken wir jetzt Sekt und Cocktails. Statt Dorf-Rock hörten wir alles, was die Charts gerade so hergaben. Wir fühlten uns, als gehörte die Welt uns. Zumindest für ein paar Stunden.

In der großen Halle wurde zu House-Musik getanzt. © Knut Vahlensieck
Aber in einer Disko, einer Großraumdisko noch dazu, geht eben nicht nur alles friedlich zu. Es gab Drogen, es gab Prügeleien, es gab Kriminalität. Ich habe davon, zum Glück, nie wirklich etwas mitbekommen. Vielleicht waren wir auch so in unserer eigenen Welt, dass wir die Augen davor verschlossen. Einmal habe ich meinen Chip für die Garderobe verloren, meine Winterjacke und mein Führerschein wurden geklaut. Das war doof und teuer. Und mein 18-jähriges Ich hat sich furchtbar darüber echauffiert. Aber letztlich war es eine Lappalie.
Sado-Maso-Partys und zu viel Erotik
Das, was montags in der Zeitung stand, war dafür um Längen dramatischer. Prügeleien waren keine Seltenheit, Autos wurden aufgebrochen. Einmal starb in der Disko ein junger Mann, wahrscheinlich an einer Überdosis. 2013, als der Glanz des Prismas schon deutlich verblasst war, eskalierte eine Sado-Maso-Party. Animateure hatten in der Disco Szenen aus „50 Shades of Grey“ nachgespielt, ein Besucher widersetzte sich einem Fesselspiel, soll dann von Sicherheitsleuten verprügelt worden sein.
Erotik hat im Prisma immer eine Rolle gespielt. Auf dem Podest in der großen Halle tanzten nicht selten braun gebrannte und muskelbepackte Kerle oberkörperfrei. Die Kellnerinnen zogen auch nicht immer besonders viel Kleidung an. Es gab Porno-Karaoke- und „100 Hottest Honeys“-Partys. Besonders anspruchsvoll war das nicht. Aber die Betreiber wollten sich eben aus der Masse hervortun, nicht nur mit der Größe ihrer Disko. Und der Erfolg gab ihnen wohl recht: Voll war’s im Prisma auch bei solchen Partys.
Der schleichende Abschied
Doch spätestens zu Beginn des neuen Jahrzehnts wurde es schwerer. Das Konzept der Großraumdisko hatte an Reiz verloren – auch für mich. Ich studierte, zog später nach Dortmund, konnte zu Fuß zum Silent Sinners an der Möllerbrücke oder zu den Clubs am U laufen. Das Prisma wurde mehr und mehr bekannt für Schüler- und Single-Partys. Der Abschied verlief schleichend. Erst schloss 2014 das Restaurant, dann wurden es weniger Partys und immer häufiger nutzten Fremdveranstalter die Räume. Heute gibt es noch sporadisch Partys dort, meistens sind es welche mit russischer Musik.
Die Großraumdisko Prisma, so, wie sie 2001 eröffnet hat, ist Geschichte – in meinem Herzen hat sie, so wenig ich mich am Ende noch damit identifizieren konnte, trotzdem immer einen Platz. Denn das Prisma hat mir gezeigt, dass Feiern gehen so viel mehr ist, als in der Keller-Kneipe Bier zu trinken und „Teenage Dirtbag“ zu hören.
Liebt geschriebene Worte, wollte deshalb nie etwas anderes als Journalistin werden. 1989 geboren im Schwarzwald, aufgewachsen im Sauerland, heute in Dortmund zu Hause. Erzählt seit 2013 die Geschichten dieser Stadt, ihrer Menschen und ihres schwarzgelben Fußballklubs.
