Seit Montag (16.10.) sind die Schülerinnen und Schüler zurück aus den Herbstferien in ihren Klassen. Und damit wird der aktuell allseits präsente Krieg im Nahen Osten nach dem terroristischen Angriff der Hamas auch Thema in Dortmunds Schulen. Wie gehen sie mit dem großen Konflikt um, der auch im Kleinen zu Konflikten zwischen den Schülerinnen und Schülern führen kann?
„Wir haben unsere Lehrkräfte ermuntert, das Thema aktiv anzusprechen“, sagte NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) am Montag. „Antisemitismus, Gewalt und Respektlosigkeit haben an unseren Schulen keinen Platz!“
Das Ministerium hat den Schulen deshalb in den Ferien ein Schreiben zukommen lassen und Informationsmaterialien zum Konflikt zur Verfügung gestellt. Es umfasst unter anderem auch Anleitungen zur Prävention und Materialien zur antisemitismuskritischen Bildungsarbeit sowie Kontakte zu schulpsychologischen Beratungsstellen.
„Keine rechtsfreien Räume“
Das Ministerium weist aber auch gezielt darauf hin, dass antisemitische Vorfälle nach dem Strafgesetzbuch (StGB) Straftatbestände darstellen können. „Schulen sind keine rechtsfreien Räume, auch hier gelten die üblichen Gesetze, bei Verstoß muss gehandelt werden.“
Zu solchen ist es an der Gesamtschule Scharnhorst an den ersten beiden Schultagen nicht gekommen, berichtet Schulleiter Nadim Al-Madani. „Sollte die Stimmung in diese Richtung kippen, werden wir das aber nicht tolerieren“, betont er. Die Lehrkräfte seien angehalten, dann sofort einzuschreiten und aufzuklären. „Als Deutsche haben wir eine besondere Verantwortung.“
Gleichzeitig möchte man dem Diskussionsbedarf der Schülerinnen und Schüler aber auch Raum geben. Man spüre, dass das Thema emotional aufgeladen sei. Die Gesamtschule Scharnhorst habe einen „signifikanten Anteil muslimischer Schüler“, die teils auch Verwandte im Gaza-Streifen hätten.
Al-Madani und die Schule sind aber selbst auch von den Ereignissen in Israel betroffen. Am kommenden Montag (23.10.) hätten eigentlich über 20 israelische Schülerinnen und Schüler in einem Austausch zur Gesamtschule Scharnhorst kommen sollen.
Sie hat zwei israelische Partnerschulen im Norden des Landes. Al-Madani selbst war erst im Mai noch dort. Wegen der Lage in Israel ist der Austausch abgesagt worden. „Wir werden den Kontakt aber weiter suchen und eine Videokonferenz planen“, sagt der Schulleiter.
„Drücken das Thema nicht auf“
Al-Madani selbst habe am Dienstag in einer 9. Klasse unterrichtet und dort eine sehr offene Diskussion über den Konflikt erlebt. „Ich hatte befürchtet, dass es deutlich schwieriger wird, sich diesem Thema zu nähern.“ Wie die anderen Lehrkräfte habe er das Thema proaktiv angesprochen, gerade am ersten Tag wollte man dieses Angebot machen.
„Wir werden das nun aber nicht jeden Tag ansprechen. Wir warten erst mal ab, wie es sich entwickelt. Wir drücken das Thema nicht auf. Es muss auch mit anderen Themen weitergehen“, sagt Al-Madani.
Es gehe vor allem darum, Vorurteile abzubauen. Die Lehrkräfte hätten bei den Jugendlichen insgesamt eine „erhebliche Desinformation“, auch was den historischen Kontext angehe, erlebt. „Die Schülerinnen und Schüler sehen kurze Ausschnitte in den sozialen Medien und bilden sich ihre Meinung“, sagt Al-Madani. „Dem wirken wir mit Aufklärung entgegen.“
Das sieht Dr. Gudrun Marci-Boehncke auch als elementare Aufgabe der Lehrkräfte. Sie ist Professorin an der TU Dortmund und leitet die Forschungsstelle Jugend-Medien-Bildung. „Die Schule kann sich nicht wegducken. Sie hat die Verpflichtung, zu diesem Thema Stellung zu beziehen“, sagt Marci-Boehncke.
Besondere Verantwortung Deutschlands
„Die Aufgabe der Lehrkräfte ist es, den Schülern den Konflikt, inhaltlich differenziert auf Basis der Menschenrechte zu beleuchten.“ Dabei müsse historisch aufgearbeitet werden, wie dieser Konflikt entstanden ist und auch die Rolle und die besondere Verantwortung Deutschlands thematisiert werden.
Mit Blick auf kursierende Videos appelliert sie an die Lehrkräfte, Medienkompetenz zu vermitteln und Propaganda als solche zu thematisieren. Aber auch die Schülerinnen und Schüler müssten sich moralisch hinterfragen, welche Motive sie haben, um sich Gewaltvideos aus der Region anzuschauen. „Ist es Voyeurismus, ist es Gruppendruck auf dem Schulhof? Man muss über seine eigenen Nutzungsmotive Rechenschaft ablegen“, sagt Marci-Boehncke.
Um über das Thema zu sprechen, reiche es, zu wissen, dass es solche Gräueltaten gegeben habe. „Man muss sie nicht selbst sehen. Das schwächt einen nur. Das sollten Lehrkräfte auch vermitteln.“
„So still war es in meiner 10. Klasse noch nie. Die Schülerinnen und Schüler sind alle sehr betroffen, das merkt man ihnen an“, sagt Martin Kehse. Gleichzeitig seien sie sehr interessiert. Er unterrichtet Deutsch und Sport am Phoenix-Gymnasium in Hörde.
„Die grundlegende Information der Schülerinnen und Schüler am Phoenix erfolgt über die Fachschaft Sozialwissenschaften, die auch die Lehrkräfte mit Informationen und Materialien vom Ministerium versorgt“, sagt Kehse. Seitdem der Konflikt durch den Angriff der Hamas neu entbrannt ist, arbeitet er mit der Fachschaft zusammen. Seit 2010 ist Martin Kehse für den Israel-Austausch des Gymnasiums verantwortlich.
Einhaltung des Völkerrechts
Der Lehrer hat den Konflikt an der ersten beiden Tagen nach den Herbstferien im Unterricht thematisiert. „Das Thema wurde in allen Klassen angesprochen. Die Schülerinnen und Schüler wissen nicht komplett über die Hintergründe Bescheid“, sagt Kehse. Er habe deshalb bei der biblischen Geschichte angefangen und damit ein Argument für das Existenzrecht Israels erläutert.
Gleichzeitig habe er aber auch die Sichtweise der Palästinenser auf den Konflikt beleuchtet. Erst auf dieser Basis könne man überhaupt eine Einschätzung abgeben, sagt Kehse.
„Für das Phoenix Gymnasium ist aber klar: Wir verurteilen die Gräueltaten und sind solidarisch mit Israel“, sagt Martin Kehse. Er betont aber auch, dass die Einhaltung des Völkerrechts für alle Parteien gelte.
„Sie sind sehr geschockt“
Direkte Konfrontationen zwischen Schülern wegen des Themas seien an der Schule in den ersten beiden Tagen ausgeblieben. Die Betroffenheit der Schülerinnen und Schüler zeige sich aber nach dem Unterricht.
Eine Schülerin habe nach der Schulstunde noch das Gespräch gesucht. „Ein anderer Schüler sagte mir, es sei wichtig für ihn, darüber zu sprechen und das Thema von verschiedenen Seiten zu beleuchten“, berichtet Kehse. „Bei mir sitzen auch zwei jüdische Kinder im Unterricht. Sie sind sehr geschockt. Sie haben Familienmitglieder in Israel. Wie soll man damit klarkommen?“, fragt der Lehrer.
Freunde in Israel
Auch ihn beschäftigte die Situation im Nahen Osten aktuell sehr. Siebenmal ist er mit Schülerinnen und Schülern ins Land gereist. „Ich habe Freunde dort. Einige Familien dort stehen mir sehr nah. Mich macht das sehr betroffen“, sagt Kehse. „Ich bin traurig und schockiert.“
Im nächsten Jahr werde es voraussichtlich keine Fahrt nach Israel geben. „Wir machen keinen Austausch in ein Land mit hoher Gefährdung“, sagt Kehse. Den Kontakt nach Israel werde man aber auf jeden Fall aufrechterhalten. „In den vergangenen Tagen ist der Austausch noch intensiver als zuvor.“
Man wolle den israelischen Schülerinnen und Schülern auch die Möglichkeit geben, aus der Gegend heraus und in ein friedliches Umfeld zu kommen. Im August 2024 sollen sie eigentlich das Gymnasium in Hörde besuchen.