Horst Hanke-Lindemanns Liebe zum Theater „Die haben mich nicht mehr von der Bühne gekriegt“

Theatermacher Horst Hanke-Lindemann erhält den Cityring 2025
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Eigentlich wollte er Fotograf werden. Dann machte er eine Ausbildung zum Chemielaboranten – und wurde schließlich Schauspieler. Horst Hanke-Lindemanns Lebenslauf wirkt auf den ersten Blick fast unstet. Das ist er aber nicht. Denn letztlich vertraute der Dortmunder immer seinem Gefühl, tat das, was ihn erfüllte. Und genau diese Kraft der Überzeugung war es wohl, die sein Spiel auf Bühnen im ganzen Land erfolgreich machte, ebenso wie sein Schaffen hinter der Bühne als Theatermacher. Heute, im Alter von 71 Jahren gilt Hanke-Lindemann als das Gesicht der freien Kulturszene in Dortmund.

Für sein Lebenswerk wird er nun ausgezeichnet. Am Mittwoch (15. Januar) erhält er im Westfälischen Industrieklub den Cityring. Einmal im Jahr verleiht die gleichnamige Gemeinschaft von Dortmunder Kaufleuten diese Auszeichnung einer Person, die sich um Dortmund verdient gemacht hat.

Horst Hanke-Lindemann auf der Premiere des "Geierabend" im Jahr 2018
Horst Hanke-Lindemann auf der Premiere des "Geierabend" im Jahr 2018: Hanke-Lindemann initiierte das alternative Karnevalsprogramm in Dortmund 1992. © Ekkehart Bussenius/Tania Reinick

Er habe lange darüber nachgedacht, ob er stolz darauf sei, den Ring zu bekommen, ob das Wort seinem Gefühl gerecht würde. Wird es nicht. „Ich freue mich, den Ring zu bekommen“, sagt Hanke-Lindemann im Interview mit unserer Redaktion. „Stolz bin ich auf die Kulturlandschaft, die wir hier in Dortmund haben.“

„Kultur zu fördern, heißt, Wirtschaft zu fördern“

Die Attraktivität einer Stadt als Wirtschaftsstandort hänge nämlich auch von ihrem kulturellen Angebot ab. „Egal, ob es die Hochschulen sind, die etablierten Unternehmen oder die Start-ups: Menschen in einer Stadt brauchen Kultur, die anspruchsvoll ist. Das kostet Geld. Und dieses Geld bringen die Menschen, die hier leben und arbeiten. Kultur zu fördern, heißt deshalb auch immer, die Wirtschaft zu fördern.“

Aus diesem Blickwinkel betrachtet, ist Horst Hanke-Lindemann wohl einer der größten Wirtschaftsförderer der Stadt. Er gründete das Theater Fletch Bizzel, initiierte die Theaternächte sowie den Geierabend und zog 2011, als die Metropole Ruhr Europäische Kulturhauptstadt war, das Kleinkunst-Festival „Ruhrhochdeutsch“ auf. Bis heute folgen die Großen der deutschen Comedy-Szene Hanke-Lindemanns Ruf ins Spiegelzelt: Ingo Appelt, Mirja Bös und Jochen Malmsheimer sowie aus Dortmund natürlich Bruno „Günna“ Knust und Fritz Eckenga.

Bruno Knust und Tochter Nicoletta
Nicht nur auf der Bühne, auch im Publikum des Spiegelzelts ist Bruno Knust regelmäßig anzutreffen. Hier mit Tochter Nicoletta im Jahr 2020. (Archiv) © Schütze

Fotos von ihnen mit Hanke-Lindemann, dem Mann mit dem Vollbart mit dem welligen, grau melierten Haar, gibt es so gut wie nicht. Dass die Künstler auftraten, sei ihm stets am wichtigsten gewesen. Nicht, dass er sie nach Dortmund geholt habe. Ohnehin sei es immer eine Gruppenleistung, ein Festival zu organisieren. Das gelte auch für das Theatermachen im Allgemeinen.

Sein erstes Stück war „Die Zauberflöte“

Horst Hanke-Lindemann verliebte sich ins Theater, als er noch ein kleiner Junge war. Damals sah er sich im Opernhaus Dortmund „Die Zauberflöte“ an. Keine zehn Jahre sei er damals gewesen. „Das war natürlich nicht meine Musik und nicht meine Geschichte, aber es war ein großes Theater. Dass die Darsteller nicht nur den Text aufsagten und letztlich sich selbst spielten, sondern zu einer Figur wurden, war faszinierend.“

Diese Faszination, so scheint es, hat Horst Hanke-Lindemann nie losgelassen. In den 70er-Jahren war er häufig in den Niederlanden, schaute sich unter anderem in Amsterdam progressive Theater-Formate an. „Das waren kleine Bühnen, Zimmertheater im Grunde genommen. Dort wurden dann immer Zehn-Minuten-Stücke gespielt und wir könnten von einem Theaterchen zum nächsten gehen.“

Tabaluga und Peter Maffay vor dem Theater Fletch Bizzel
2012 traten Tabaluga und Peter Maffay im Theater Fletch Bizzel auf. (Archiv) © Schütze

Trotzdem ging Hanke-Lindemann, der jüngste von drei Söhnen eines Bergingenieurs, zunächst nicht ans Theater, um aus einer Faszination einen Beruf zu machen. Nachdem er in Dortmund keinen Platz für eine Ausbildung zum Fotografen bekommen hatte, lernte er etwas, was die meisten wohl etwas Vernünftiges nennen würden: Er wurde Chemielaborant in Frankfurt an Main.

Die Arbeit aber erfüllte ihn nicht. Hanke-Lindemann blieb ein Suchender. Kaum ein Jahr nachdem er seine Ausbildung beendet hatte, eröffnete er mit Freunden eine Zoohandlung, kam zurück nach Dortmund, fuhr hier Taxi.

Erst in den 80er-Jahren fand Hanke-Lindemann den Weg zurück ins Theater. Er hatte Liebeskummer. Um ihn abzulenken, fragte eine Freundin, ob er in ihrem Theater-Ensemble – dem Fletch Bizzel – aushelfen wolle. Sie suchten dort einen Techniker. Eine Aufgabe wie geschaffen für Hanke-Lindemann, denn Vater Wilhelm hatte ihm damals, als die Familie das Haus in Westerfilde gebaut hatte, beigebracht, wie man ein Haus elektrifiziert. „Wenn man als Schauspieler auf der Bühne steht und der Techniker behauptet ‚Das geht nicht. Das können wir nicht machen‘, ist es praktisch, antworten zu können ‚Doch, das geht. Und wir machen es‘.“

Dann fiel im Fletch Bizzel ein Sprecher aus. Hanke-Lindemann sprang ein. 1984 war das. „Ich bin auf die Bühne, habe die Texte eingelesen – und dann war es vorbei. Die haben mich nicht mehr heruntergekriegt.“

Auf der Suche nach dem Neuen

Ein Jahr später errichtete das Ensemble Fletch Bizzel sein eigenes Theater im Klinikviertel. Bis 1992 spielte Hanke-Lindemann, danach wechselte er zum Theater Scharlatan nach Hamburg, trat dort vor allem als Improvisationskünstler auf. Mit diesem Engagement konnte er seiner Arbeit im Fletch Bizzel weiterhin gerecht werden, wo er im Laufe der Jahre immer mehr in die Rolle des Managers gerutscht war. „Ich musste fürs Scharlatan kaum proben. Das war toll, weil ich so spielen und weiterhin im Fletch Bizzel bleiben konnte.“

Hanke-Lindemann ist jemand, der die Herausforderung, das Neue sucht. Ebenfalls im Jahr 1992 entstand der „Geierabend“, das alternative Karnevalsprogramm in Dortmund. Es folgten die Theaternächte und 2011 schließlich „Ruhrhochdeutsch“ als Nachfolger des Sommer-Kabaretts. Zwei Jahre später hörte Hanke-Lindemann auf zu spielen, aus gesundheitlichen Gründen. Sein Herz sei zu schwach geworden.

Theater Fletch Bizzel in Dortmund
1985 Jahr später errichtete das Ensemble Fletch Bizzel sein eigenes Theater im Klinikviertel. (Archiv) © Schütze

Ob man als Theatermacher auch Schauspieler gewesen sein müsse. „Ich denke, das ist das A und O“, sagt der Dortmunder. „Als Veranstalter muss ich begreifen, welche Bedürfnisse die Künstler haben, dass sie ein Catering brauchen und sich nicht in einem Stuhllager umziehen müssen. Ich habe mich immer ein bisschen als Anwalt der Künstler verstanden.“ Vielleicht kommen sie auch deshalb immer wieder nach Dortmund – weil Hanke-Lindemann sie versteht.

Nun zieht er sich zurück. 2021 gab Hanke-Lindemann die Geschäftsführung des Theaters Fletch Bizzel ab, in dieser Saison folgt „Ruhrhochdeutsch“, das er den neuen Geschäftsführern, Iris und Helmut Sanftenschneider vom Quabaret Queue, sukzessive übergeben will. Er bleibe der Kulturszene erhalten, versichert Hanke-Lindemann. Bei „Dortbunt“, dem Stadtfest, zum Beispiel gestalte er nach wie vor zwei Bühnen. Aber, wie immer, braucht er die Herausforderung, das Neue. „Ich möchte noch in Ruhe andere Dinge machen und schauen, ob es Felder gibt, die ich besetzen kann.“