Das Wichtigste in Kürze:
- Die DEW-Tochter „stadtenergie“ wird beschuldigt, Tausende von Strom- und Gaskunden betrogen zu haben.
- Kunden beschweren sich über fehlerhafte Abrechnungen, zu hohe Abbuchungen und schlechten Kundenservice.
- DEW21 lässt durch Wirtschaftsprüfer die Vorfälle aufklären und hat Kontakt zur Staatsanwaltschaft aufgenommen.
- Bis zu 30.000 Kunden bundesweit könnten betroffen sein; der Schaden könnte sich auf einen zweistelligen Millionenbetrag belaufen.
- DEW21 versichert, dass den betroffenen Kunden kein Schaden entstehen wird und falsche Abrechnungen korrigiert werden.
Es ist gar nicht lange her, da konnten sich die Mitarbeiter der „stadtenergie GmbH“ noch auf die Schultern klopfen: Die Billig-Tochter von DEW21 durfte sich rühmen, im Jahr 2022 in einer Ranking-Liste zu einem der bundesweit „12 Top-Anbieter für Erneuerbare Energien“ aufgestiegen zu sein. Grundlage dafür war eine Auswertung von „Deutschland Test & Focus Money“: Sie wollen eigenen Angaben zufolge über ein Jahr mehr als 272.000 Online-Beiträge auf Kundenzufriedenheit geprüft haben.
Das war einmal: Bei einer vergleichbaren Aktion in 2023 hätten sie wohl die Hände über die Köpfe zusammengeschlagen. Das einst hochgelobte Unternehmen „stadtenergie“ steht aktuell am Abgrund.
Die Bewertungen auf den einschlägigen Internet-Portalen lassen nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig. „Auf keinen Fall einen Vertrag abschließen!!!“, wird dort gewarnt. Andere sprechen unverblümt von „Betrug“ und schreiben: „Vorsicht, Abzocke“. „Dieser Anbieter ist das Letzte“, heißt in einer der schier endlosen Beschwerden. Einige kündigen erbost an, die Schlichtungsstelle aufzusuchen oder sogar einen Rechtsanwalt einzuschalten.
Neben „miserablem Kundenservice“ ärgern sich Menschen immer wieder über „fehlerhafte Abrechnungen“ und viel zu hohe Abbuchungen. Die Userin „Tina Karmas“ beispielsweise beklagt, bei ihr seien „statt 190 Euro, wie vertraglich bei check24 angegeben, 720 Euro seit Anfang des Jahres abgebucht“ worden. „Zahlreiche Anrufe, email verliefen ins Leere…“, schreibt sie. So geht das seitenweise.

Vernichtende Kritiken im Netz
Noch am 5. Mai 2024 fragt die Userin „Darja“ in ihrem Eintrag „Was stimmt mit denen nicht?“ Nicht ahnend, dass sie den Nagel unfreiwillig auf den Kopf trifft: Denn bei „stadtenergie“ stimmte einiges nicht. Der bundesweit tätige „Billig-Anbieter“ von Ökogas und Ökostrom soll seine Kunden mit teilweise falschen Rechnungen und teils viel zu hohen Tarifen in großem Umfang über den Tisch gezogen haben. Betroffen sein sollen die Jahre 2022 und 2023.
Bei DEW21 herrscht Entsetzen und Kopfschütteln über das Vorgehen der Unternehmenstochter. Wie zu erfahren war, hat DEW21 umgehend dafür gesorgt, die Fälle mit Hilfe von Wirtschaftsprüfern restlos aufzuarbeiten. Die geben sich dieser Tage bei DEW21 die Klinke in die Hand. Die Aufsichtsräte von DEW21 sind inzwischen ebenfalls im Bilde. Sie wurden Anfang Mai in einer eigens einberufenen Sondersitzung über die Vorgänge informiert.

Nach Informationen dieser Redaktion könnten bundesweit bis zu 30.000 Kunden betroffen sein; eine Bestätigung war aber nicht zu bekommen. Eine zuständige Führungskraft von „stadtenergie“ wurde umgehend freigestellt. DEW21 hat inzwischen Kontakt zur Staatsanwaltschaft aufgenommen. Eine Strafanzeige ist bislang nicht erstattet worden. Nach aktuellen Informationen, die der Redaktion vorliegen, ist derzeit noch nicht klar, ob Mitarbeiter in die eigene Tasche gewirtschaftet haben, ob es darum ging, die Bilanz der „Billig-Tochter“ aufzuhübschen - oder ob am Ende noch andere Motive die Triebfeder waren.
Schaden in Millionenhöhe
Hintergrund: Der Versorger „stadtenergie“ hatte zuletzt zehn Mitarbeiter. Der Energielieferant ist eine 100 Prozent-Tochter von DEW21 und war 2020 als Start-up an den Energiemarkt gegangen, um zunächst ausschließlich bundesweit Kunden für Ökostrom und Ökogas zu gewinnen. Vor Monaten erst hat sich „stadtenergie“ auch für Dortmunder Kunden geöffnet. Im Gegensatz zur Mutter DEW21 läuft die Kommunikation mit den Kunden in der Regel rein digital: Es gibt keinen Briefverkehr und beispielsweise auch kein Kundencenter. Für den Energieeinkauf war „stadtenergie“ in eigener Regie zuständig; unabhängig von der Muttergesellschaft DEW21.
Genaue Details, wie der Schwindel aufflog, waren noch nicht zu bekommen: Angeblich sollen im Rahmen des Jahresabschluss 2023 „erste Unregelmäßigkeiten“ aufgefallen sein. Weitere Prüfungen ergaben: Da kommt noch mehr ans Tageslicht.

Eine Stellungnahme, wie genau es zu den Betrügereien kommen konnte, war von DEW21 zurzeit nicht zu erhalten. Auch nicht zur möglichen Höhe des Schadens. Aus gut informierten Kreisen hingegen wird kolportiert, er könne sich auf einen „zweistelligen Millionenbetrag in unterer bis mittlerer Höhe“ summieren. Da das Jahresergebnis von „stadtenergie“ natürlich auf das Ergebnis der Muttergesellschaft durchschlägt, muss auch das vorläufige Jahresergebnis von DEW21 geprüft werden – was aktuell geschieht. Voraussichtlich Ende Juni, so wird kolportiert, sollen die Zahlen auf den Tisch kommen. Dann soll das gesamte Ausmaß des Schadens klar sein - zumal auch DSW21 als Hauptgesellschafter von DEW21 betroffen sein könnte.
DEW21 schreibt Kunden an
DEW21 will geprellten Kunden den Schaden ersetzen. „Falsche Abrechnungen werden selbstverständlich umgehend korrigiert. Den Kunden wird kein Schaden entstehen“, versichert Dr. Gerhard Holtmeier, Vorsitzender der DEW21-Geschäftsführung, auf Anfrage. Dieser Prozess wird laut DEW21 "so schnell wie möglich umgesetzt". Die Kunden würden „aktiv informiert“.
Seit Bekanntwerden der Unregelmäßigkeiten im Frühjahr 2024 seien zudem sofort Maßnahmen zur Klärung und Behebung des Sachverhalts eingeleitet worden. So werde beispielsweise ein neues, qualitätssicherndes Verfahren zur Prüfung sämtlicher Abrechnungen eingeleitet. „Wir bei DEW21 haben Null Toleranz für unrechtmäßiges Handeln“, betont Holtmeier. „Ehrlichkeit ist einer unserer fünf Werte, die unser tägliches Handeln, die Entscheidungen und die Zusammenarbeit im Unternehmen prägen – wir akzeptieren kein unrechtmäßiges Vorgehen“, unterstreicht Holtmeier, der Anfang Oktober 2023 sein Amt als offizieller Vorsitzender der DEW21-Geschäftsführung antrat.
Das Ladenlokal von „stadtenergie“ an der Kleppingstraße ist geschlossen, die Schriftzüge sind entfernt. DEW prüft jetzt, wie und ob es in Zukunft mit dem Unternehmen „stadtenergie“ weitergehen kann.
Hotline geschaltet
Kunden von „stadtenergie", die Fragen bzw. Probleme mit ihren Rechnungen haben, können sich unter Tel. (0231) 700 1212 jederzeit an die bestehende Kundenhotline von „stadtenergie“ wenden.
Etwaige Neuverträge können aktuell nicht abgeschlossen werden.