Matthias Hilgering ist während des Lockdowns so etwas wie ein Exot unter den Einzelhändlern des Westenhellwegs. Im Gegensatz zu den allermeisten Geschäften auf der Einkaufsmeile darf er seinen Weinhandel öffnen. © Johannes Bauer
Corona-Krise
Einsamer Händler auf dem Westenhellweg: „Man kommt sich verloren vor“
Matthias Hilgering ist mit seinem Weinhandel nicht im Lockdown - und ist es doch. Er verkauft Lebensmittel und darf öffnen. Aber: Was bringt ihm das, als Exot auf dem leeren Westenhellweg?
Er muss sich vorkommen, wie ein König ohne Land. Schaut Matthias Hilgering durch seine Schaufensterscheiben auf den Westenhellweg, sieht er minutenlang keinen einzigen Menschen. Nur ab und zu huscht mal jemand durch das trübe und triste Grau an diesem Freitagvormittag.
Gleich ist es zwölf Uhr – und in seine Kasse guckt der alteingesessene Weinhändler besser nicht. „Da fehlt natürlich eine Menge Geld. Der Januar ist sowieso eine ruhige Zeit für uns, weil die Leute nach den Feiertagen erstmal wieder weniger Wein trinken. Aber jetzt machen wir zudem nur ein Drittel des Umsatzes, den wir in den Vorjahren um diese Zeit gemacht haben“, sagt Matthias Hilgering.
Zwei Kunden hat er seit der Geschäftsöffnung um zehn Uhr bedient. „Die haben auch etwas gekauft. Klar, wer jetzt kommt, der kommt gezielt“, sagt er. Laufkundschaft, die beim Einkaufsbummel einfach mal in den Laden kommt und das eine oder andere entdeckt, gibt es nicht.
Nur 400 Passanten in der Stunde
Logisch, das Weinhaus Hilgering steht allein auf weiter Flur. Wein, der hier in tausenden Flaschen abgefüllt mit vielen Spirituosen in den Regalen präsentiert wird, ist ein Lebensmittel. Und als Lebensmittelhändler darf Matthias Hilgering – anders als die Boutiquen, Woolworth oder viele Läden in der Thier-Galerie um ihn herum – sein Geschäft öffnen. Lebensmittel verkaufen sonst am oberen Westenhellweg nur das Reformhaus Kimm, der Bioladen Basic, das Süßwarengeschäft „Lecker, lecker“ im früheren Vorwerk-Ladenlokal und wenige Bäckereien.
Direkt im Lockdown ist Matthias Hilgering also nicht, indirekt aber schon - ein Händler ohne Kunden halt. Das Datenportal Hystreet, das per Laserscanner an mehreren Stellen auf dem Westenhellweg die Passantenfrequenz misst, zählt an diesem Freitagmorgen zwischen 10 und 11 Uhr gerade mal 400 Leute. Normalerweise wären es 2000. Bis 14 Uhr wurden insgesamt 2462 Menschen gezählt, vor dem Lockdown waren es bis mittags über 40.000.
Die gähnende Leere auf Dortmunds sonst so quirliger Einkaufsmeile ist für Matthias Hilgering zwar gewöhnungsbedürftig, aber jammern will er auf keinen Fall. „Man kommt sich zwar etwas verloren vor“, sagt er, „aber ich stehe voll hinter diesem Lockdown. Wir müssen unbedingt in die Spur kommen und erreichen, dass die Infektionszahlen sinken.“
Wie ausgestorben ist der Westenhellweg im aktuellen Lockdown. Das Datenportal Hystreet zählt am Freitag bis mittags nur einen Bruchteil der sonst üblichen Passanten. © Oliver Schaper
Seine fünf Mitarbeiter hat der Geschäftsinhaber in Kurzarbeit schicken müssen. Die Beratung von Kunden am Telefon sowie einen Abhol- und Lieferservice erledigt er fast allein. So will Matthias Hilgering über die Runden kommen. Was ihm auch hilft, ist die Tatsache, dass ihm die Wohn- und Gewerbeimmobilie mit seinem Weinhandel selbst gehört. Ihn drücken also keine Mietkosten.
„Ab 16 Uhr bricht es total ab“
Als es dunkel wird an diesem Freitag, an dem es bis dahin noch gar nicht richtig hell werden wollte, bereitet sich Matthias Hilgering schon langsam auf den Geschäftsschluss vor. „Es ist abends so dunkel und einsam hier, deshalb schließe ich statt um 19 Uhr schon um 18 Uhr“, sagt er.
Ähnlich handhabt es auch Sebastian Kimm, der Geschäftsführer des Reformhauses am Westenhellweg 121. „Auch bei uns sind die Umsätze stark zurückgegangen. Und ab 16 Uhr bricht es total ab, dann kommt kaum noch jemand. Deshalb schließen wir um 18 Uhr statt um 18.30 Uhr.“ Auch Kimm bietet seinen Kunden einen Lieferservice und ist überzeugt, die Krise zu überstehen: „Wir sind gut aufgestellt, wir schaffen das.“
Den Optimismus teilt Matthias Hilgering. Gleichwohl wird er nachdenklich, als er um 18 Uhr seine Ladentür abschließt und auf den ausgestorbenen Westenhellweg blickt: „Man fragt sich schon, wie es nach der Corona-Pandemie hier weitergehen wird. Wenn die Leute sich umgewöhnen und alles online einkaufen, würden wir mit dem stationären Handel ein Kulturgut verlieren.“
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