
© Dana Sophie Schmidt
Umarmen und Halten als Dienstleistung: „Ich will ein Kuschelhaus für Dortmund“
Ungewöhnliche Geschäftsidee
Wem es fehlt, umarmt und festgehalten zu werden, muss nicht länger darauf verzichten. Eine Dortmunderin bietet diese Art der Nähe als Dienstleistung an - und hat noch Größeres im Sinn.
Die Dortmunderin Britta Schmuck steht mitten auf dem Westenhellweg und breitet die Arme aus. Ihre Augen sind verbunden, auf einem Schild ist zu lesen, dass man sie doch umarmen möchte. Eine Geste des Vertrauens, eine Öffnung für die Menschen.
Kommen tatsächlich Menschen und umarmen sie? Nutzt jemand die Situation aus? Britta Schmuck hat das häufiger gemacht und nur gute Erfahrungen gesammelt. Die Leute kommen, drücken sie kurz oder länger und bedanken sich für die Offenheit.
Diese Offenheit ist es, die der Dortmunderin auch in ihrer neuen Unternehmung helfen wird: Britta Schmuck umarmt Menschen. Als Dienstleistung, für die sie Geld verlangt.
Fehlt dem Menschen die Nähe, wird er krank
Eine Berührung geschieht häufig beiläufig. Im Alltag. Wir geben uns die Hand, fassen unser gegenüber an den Arm, drücken uns kurz zur Begrüßung. Im engeren Kreis schaffen Berührungen zusätzliche Intimität. Ein Kuss, kuscheln oder gar Sex schaffen eine Nähe, die uns unbestritten guttut. Die wir sogar brauchen. Wird sie uns entzogen, fehlt etwas, der Mensch wird krank.
Schon zu Zeiten des griechischen Philosophen Herodots im fünften Jahrhundert vor Christus gab es einen grausamen Versuch, Kinder ohne soziale Kontakte aufwachsen zu lassen.
Die Kinder sollen gestorben sein, so die Überlieferung. Tierversuche aus neuerer Zeit bestätigen dieses Ergebnis. Wie viel Nähe braucht also ein Mensch? Doch wie kann er Nähe bekommen, wenn sie ihm versagt ist? Oder es nicht die Nähe ist, die er sucht?
Auf der Suche nach Geborgenheit
Britta Schmuck setzt hier an. Sie bietet Nähe als Dienstleistung an. „Einfach gehalten sein“ heißt dieses Angebot, das doch viel mehr als bloß ein Geschäft ist. „Es gibt Menschen, Männer wie Frauen, die wünschen sich, in den Arm genommen und gehalten zu werden“, sagt Schmuck.
Diese Menschen seien auf der Suche nach Geborgenheit, einer Vertrautheit, die sie in ihrem Leben vermissen, die sie anders vielleicht auch nicht bekommen könnten. „Ich will ihnen dann das Gefühl geben: Ich bin für dich da, du musst gar nichts machen.“ Der Wunsch nach dieser Nähe sei wie Essen und Trinken - die Menschen haben ein Bedürfnis, sie werden gehalten, dann sind sie wieder satt.

Britta Schmuck will Menschen mit ihrer ungewöhnlichen Dienstleistung helfen. © Dana Sophie Schmidt
Ein typischer Kontakt entsteht wie folgt: „Menschen erfahren von meinem Angebot und rufen mich an“, sagt Schmuck. Es folge ein längeres oder manchmal auch kurzes Gespräch, Schmuck erfährt etwas über die konkreten Bedürfnisse der Person, dann vereinbart sie einen Termin - in einem angemieteten Studio oder bei den Menschen zuhause - je nach Wunsch.
So läuft ein Treffen ab
Doch wie ist der genaue Ablauf eines Treffens? Einen genauen Plan gibt es nicht. „Ich merke, wenn ein Mensch angespannt ist oder nicht.“ Wichtig sei, dass klar werde, dass alles sein dürfe und der Mensch mit allem willkommen sei. „Das ist ein heiliger Raum!“
Mit diese Öffnung wandelt sich die Energie. Meistens, so etwa nach zehn Minuten, löse sich diese Anspannung, und erst dann beginnt das Wohlfühlen. Britta Schmuck legt sich mit dem Mann oder der Frau auf eine Matte, eine Liege oder setzt sich in einen bequemen Sessel, umarmt sie, hält sie genau so fest, wie die Person es gerade für sich richtig empfindet.
Oder wie Britta es für sich gut findet. „Auch ich muss in mich hineinhorchen und prüfen: Gefällt mir die Berührung?“
Wie immer, wenn man mit Menschen arbeitet, ist der Kontakt sehr persönlich und individuell. „Es gibt einen gewissen Pegel an Nervosität. Vielleicht wird auch in der zweiten Sitzung erst etwas aus der Sache, damit es sich richtig anfühlt.“ Manche können die ganze Zeit so in der Umarmung verweilen, andere halten sie nur schwer aus. „Das ist dann aber okay. Niemand soll Druck spüren.“
Keine Hemmungen bei körperlicher Nähe
Sie selbst habe da, das zeigt auch ihr Experiment auf dem Westenhellweg, keine natürliche Grenze, sie spüre keine Hemmungen bei körperlicher Nähe. „Ich habe nicht das Gefühl, etwas von mir wegzugeben. Es tut mir ja auch gut.“ Mehr als zwanzig Sitzungen im Monat will Schmuck aber doch nicht anbieten, dann werde es zu anstrengend.
Vor dem Treffen vereinbart Britta Schmuck ein paar Regeln. Bei so viel Nähe ist es etwa wichtig, dass beide nicht zu stark parfümiert sind. Knoblauch wäre sicher auch schwierig, und Ungepflegtsein sowieso. „Wir sind uns ganz nahe, da muss man den anderen auch riechen können.“
Und eine Sache klärt sie auch bei jedem Gespräch. „Es geht hier ums Gehalten sein, um Nähe - nicht um Sex“, sagt sie und will einem Missverständnis vorbeugen, dass sich bei so viel Körperkontakt doch einstellen könnte.
Tatsächlich drängt sich der Vergleich zu der Dienstleistung in der Prostitution auf. Wird dort nicht auch Nähe verkauft? Oder stärker noch: Ist die Nähe, die Britta Schmuck anbietet, nicht sogar viel intimer als die häufig nur wenige Minuten währende schnelle käufliche Liebe?
Es gibt keine Grauzone
„Ich prüfe vorher und in der Sitzung ganz genau: Taxiert mein Gegenüber mich, will er oder sie mehr? Dann ist sofort Feierabend, da gibt es auch nicht einmal eine Grauzone.“ Schmuck gehe es um den menschlichen Kontakt, sie will anderen helfen. Ein, wenn man so will, unschuldiges Bedürfnis stillen. „Einfach gehalten sein“ sei eine Gesundheitspflege - und grenzt sich von daher von einem Geschäft, das auf schnelle Befriedigung - oft auch erkauft durch Ausbeutung - zielt, klar ab.
„Sich halten, sich umarmen ist häufig stark thematisch behaftet. Es wird auf Liebespaare oder Sex reduziert. Dieses Tabu muss man mal aufbrechen und deutlich machen: Berührung tut allen gut“, sagt sie.
Hilfe für Senioren im Heim
So zielt Britta Schmucks Angebot auch auf Seniorenheime, in denen Menschen zu vereinsamen drohen, weil sie krank sind, ihren Partner verloren haben oder nicht genügend Zeit vorhanden ist, die Menschen über die lebensnotwendigen Bedürfnisse hinaus zu betreuen.
Dort könne sie Menschen umarmen, einfach Händchen halten oder auch Workshops anbieten, in denen die Menschen lernen, sich gegenseitig Nähe zu spenden. „Das würde die Bewohner so glücklich machen, wenn man sich trauen würde, sich gegenseitig zu geben, was man selbst auch gern hätte.“
Tatsächlich gibt es Angebote, den Senioren neben Essen und Pflege auch mehr Liebe zu spenden. Therapie-Tiere besuchen die Heime, oder in Japan ist es eine künstliche flauschige Roboter-Robbe, die auf Berührung reagiert, die die Seniorenheim-Bewohner glücklicher machen soll. „Hier setzt meine Idee an.“

Händchenhalten würde auch den Bewohnern im Seniorenheim helfen. © Dana Sophie Schmidt
Auch bietet Schmuck Workshops für Gruppen an. Verschiedene Menschen kommen zu einem Termin zusammen, nähern sich einander an und halten sich gegenseitig. Einige dieser Workshops hat sie bereits erfolgreich angeboten. Doch Britta Schmuck wäre nicht sie selbst, wenn sie nicht noch größer denken würde: „Mein Traum ist es, ein ganzes Kuschelhaus in Dortmund zu errichten.“
Dort will sie dann Sitzungen von „Einfach gehalten sein“ abhalten, oder Kuschelworkshops anbieten - Gruppenkuscheln für ganz Dortmund. „Es kommen einfach alle, die ein liebevolles Bedürfnis nach Nähe haben“, hofft sie. Dazu sucht sie Kontakt zu Pflegeheimen und will auch gezielt mit Psychotherapeuten zusammenarbeiten.
Einfach gehalten sein
Weitere Informationen zum Angebot gibt es im Internet auf www.einfach-gehalten-sein.deLeitender Redakteur, seit 2010 in der Stadtredaktion Dortmund, seit 2007 bei den Ruhr Nachrichten.
