424 Lkw pro Woche muss eine Straße in der Innenstadt verkraften, darunter Konvoi-Fahrten vom 30 Metern Länge. Dazu 130 Linienbusse und Elternverkehr zu vier Schulen. Anwohner sind verzweifelt.
Neben den Schwerlasttransportern von Thyssen-Krupp Rothe Erde sehen normale Pkw aus wie Spielzeugautos. Die Lkw haben leer bereits ein Gewicht von 25 Tonnen, beladen kommen sie locker auf 40 bis 50 Tonnen. Nicht auf einer Bundesstraße, sondern mitten in einem Dortmunder Wohnviertel gehören diese Riesen mittlerweile zum gewohnten Straßenbild.
Tagsüber holpern die Auflieger bei Leerfahrten über das marode Pflaster der Kreuzstraße, nachts kommen die Sondertransporte mit Begleitfahrzeug.
Seit einem Jahr geht das nun so. Damals wurde die Brücke an der Langen Straße abgelastet. Das bedeutet, sie darf wegen befürchteter Statikprobleme nur noch mit maximal 16 Tonnen befahren werden, was für die Transporter der Rothe Erde GmbH an der Tremoniastraße nicht ausreicht.
Seitdem fahren die schweren Fahrzeuge durch das Kreuzviertel, anfangs noch über mehrere Straßen, mittlerweile nur noch durch die Kreuzstraße – eine sechs Meter breite Straße ohne Mittelmarkierung, Radweg und Zebrastreifen.

Die betroffene Straße ist für derartige Transporte eigentlich nicht ausgelegt. © Schaper
Die völlig entnervten Anwohner suchten jetzt Hilfe bei der Bezirksvertretung (BV) Innenstadt-West. Sie verweisen auf brenzlige Situationen, wenn Busse wegen des schwergewichtigen Gegenverkehrs zurücksetzen müssen; auf die Kinder, die zu vier Schulen in der Nachbarschaft unterwegs sind, auf Lärm, Schadstoffe, die Beeinträchtigung ihrer Nachtruhe und ihrer Lebensqualität.
„Wir finden das unverantwortlich“, sagte Jutta Falk stellvertretend für die Nachbarschaft und fragt die Bezirkspolitiker: „Würden Sie das Ihren Kindern und Enkelkindern zumuten?“
Die Häuser zittern, wenn die Lkw vorbeifahren, erste Risse hätten sich bereits gebildet. „Ist die Straße überhaupt für diese Belastung ausgelegt?“

Zu vier umliegenden Schulen sind Kinder an der Kreuzstraße unterwegs. Gefährdungen oder Unfälle sind bislang weder den Schulleitungen noch der Polizei bekannt. © Schaper
Die Betroffenen fordern, zu prüfen, ob die erteilte Genehmigung mit dem Immissionsschutzgesetz vereinbar ist. Der hohe Leidensdruck der Anwohner ist in der Sitzung am 18. September spürbar. Sie wollen eine Lösung, eine Perspektive, wie es weitergeht mit diesem Problem. „Der Straße droht der Kollaps. Wir werden das so nicht hinnehmen“, trägt Jutta Falk vor.
Kurzfristig wünschen sich die Anwohner wenigstens eine Sanierung des Straßenbelags, damit die Auflieger nicht mehr so lautstark über Schlaglöcher und Flicken poltern. Darauf sagte ein Mitarbeiter des Tiefbauamts: „Wir haben 1.780 Kilometer Straße zu verwalten, darunter welche, die wesentlich schlimmer aussehen.“ Reichlich zynisch finden das BV-Mitglieder und Anwohner.
Eine leichte Verbesserung sähen die leidgeprüften Bewohner des Viertels, wenn die Last wieder auf drei Straßen – Lange Straße, Neuer Graben und Kreuzstraße – verteilt würde. „Wir verstehen nicht, warum nun alles durch unsere Straße fließt.“
Viele weitere Fragen taten sich auf in der BV-Sitzung, an der auch Vertreter des Tiefbauamts und der Rothe Erde GmbH teilnahmen.
Die wichtigsten Fragen und Antworten
? Warum ist die Brücke an der Langen Straße überhaupt schon so lange gesperrt?
Wegen Statikproblemen mit diesem Brückentyp aus den 60er-Jahren wurde das Bauwerk vor etwa einem Jahr untersucht. Die Stadt sperrte die Brücke vorsichtshalber für schwere Lkw, da Zweifel an ihrer Tragkraft bestehen. „Komplett beurteilen kann man das erst, wenn man die Brücke von der Unterseite aus geprüft hat“, erklärte Gerhard Kappert vom Tiefbauamt. Genau da liegt aber das Problem. „Wir wissen bis heute nicht, was mit dieser Brücke wirklich los ist. Darunter liegen Gleisanlagen, und wir bekommen von der Deutschen Bahn keine Sperrzeiten, um unter die Brücke zu schauen.“
Vor etwa einem Jahr habe das Amt die DB angeschrieben, um eine Sperrpause zu erwirken. Eine Reaktion steht bis heute aus.
? Könnte die Brücke nicht einfach verstärkt oder eine neue Brücke gebaut werden?
Das steht nicht zur Diskussion, solange die alte Brücke nicht hinlänglich untersucht wurde.
? Was unternimmt die Rothe Erde GmbH?
„Es war immer unser Bemühen, den Verkehr so zu verteilen, dass eine möglichst geringe Belastung für die Bevölkerung entsteht“, sagte Andreas Artorf von Thyssen-Krupp Rothe Erde. Er bat die Politik, auf eine Lösung hinzuwirken, die Brücke an der Langen Straße wieder befahrbar zu machen.
? Warum nutzt das Werk mit eigenem Gleisanschluss nicht verstärkt die Bahn für ihre Transporte?
Das Werk produziert Großwälzlager und Ringe für die Industrie. Die Dimension der Ringe hat in den letzten Jahren immer mehr zugenommen. Das Verladen auf Waggons sei technisch nicht möglich und die Kapazität viel zu gering.
? Wäre ein direkter B1-Anschluss möglich?
Eine Auffahrt auf die B1 wäre gut, sagte ein Vertreter von Thyssen-Krupp. Die Strecke über die Kuithanstraße auf die B1 wäre der direkte Weg und würde die wenigsten Anwohner belasten. Ein solcher Anschluss sei aber wegen der dortigen Schallschutzwand schwierig.
? Was hat die Politik beschlossen?
Die BV fordert die Verwaltung auf:
1. Alternativen aufzuzeigen, die zu einer Entlastung der Kreuzstraße vom Schwerlastverkehr führen.
2. langfristige Lösungsmaßnahmen zu prüfen, wie eine Direktanbindung an die B1.
3. rechtliche Schritte zu prüfen, die die Deutsche Bahn bewegen, eine abschließende Prüfung der Brücke zu ermöglichen.
4. Alternativen zu suchen, was zu tun ist, wenn die DB nicht reagiert.
5. zu prüfen, ob eine zusätzliche Brücke möglich ist.
Alle Parteien waren sich einig, dass dringend eine Lösung her muss. „Jeder Tag, der die Planungszeit verringert, hilft uns“, sagte eine Anwohner-Vertreterin.
Seit 2001 in der Redaktion Dortmund, mit Interesse für Menschen und ihre Geschichten und einem Faible für Kultur und Wissenschaft. Hat einen Magister in Kunstgeschichte und Germanistik und lebt in Dortmund.
