Ein letztes Stück Kirschsahnetorte - oder doch nicht?

© Dieter Menne

Ein letztes Stück Kirschsahnetorte - oder doch nicht?

rnHoffnung für das Café Strickmann

Wenn nicht noch eine Überraschung passiert, schließt Ende August das Café Strickmann - oder „Koehler‘s Café Feinkost“. Wir haben das Café besucht und uns erzählen lassen, was Mitarbeitern und Gästen das Strickmann bedeutet. Eine Geschichte von Weihnachtsstollen, Baumkuchen und treuen Angestellten.

von Dirk Berger

Dortmund

, 08.06.2018, 04:30 Uhr / Lesedauer: 4 min

Die Hochzeitsgesellschaft hinten rechts, am Tisch ganz in der Nähe des alten Tresens von Feinkost Köhler, trauert. Na ja, nicht so richtig, das ultimative „Ja“ des Ehepaars liegt schließlich erst eine Stunde zurück, da sollte schon noch alles in Ordnung sein. Aber seit sie von der anvisierten Schließung von Koehler`s Café gehört haben, das alle nur „Strickmann“ nennen, ahnen Annika und Thomas Pieper: Ein Fixpunkt in der Stadt droht zu verschwinden. Es wäre übertrieben zu sagen, dann hätten sie nur noch sich. Aber ihre Empörung ist echt.

Das eint sie mit Rainer Büscher. Der 61-Jährige, beige Hose, weißes Hemd, Strohhut, beugt sich neben der Kasse über einen DIN A4-Bogen und setzt seinen Namen unter eine Liste von Kunden, die mit ihrer Unterschrift genau dieser Empörung Ausdruck verleihen wollen, vielleicht demnächst auf ihr Café verzichten zu müssen. Sie kennen sich alle nicht, weil Zufallsbegegnungen im süßen Sektor eines Cafés eher die Normalität sind, doch seit der Nachricht vom drohenden Ende zum 31. August sind sie alle – Strickmann!

Interessenten für die Immobilie

Doch wie jetzt bekannt geworden ist, können die protestierenden Kunden nun hoffen. Wie der Leiter der städtischen Stadt-Pressestelle, Frank Bußmann, auf Anfrage sagt, habe die Stadt zwar „keine ganz direkten Eingriffsmöglichkeiten, da es sich um ein Geschäft zwischen zwei Privatparteien handelt“. Es gebe allerdings Interessenten für die Immobilie, die den Weiterbetrieb des 1925 gegründeten Traditionscafés (vormals Strickmann) sichern wollen. Die Wirtschaftsförderung sei dabei, den Kontakt zu den Eigentümern herzustellen. Auf jeden Fall „wäre es zu bedauern, wenn diese Traditionseinrichtung schließen würde“, sagte Bußmann.

Bürgermeister hofft auf eine Lösung

Das findet Bürgermeister Manfred Sauer auch. „Ich kann es einfach nicht glauben, dass dieser Platz mit dem angenehmen Service und der freundlichen Atmosphäre geschlossen werden soll“, schrieb Sauer in einem Brief an unsere Redaktion. Er hoffe, dass sich – ähnlich wie beim Kino „Schauburg“ – noch eine Lösung für einen Weiterbetrieb finde.

Derweil sitzt Heinrich Brandt im historisch wirkenden Mobiliar des im Wiener Caféhausstil eingerichteten Saals und weiß jetzt schon, was er vermissen wird, sollte das Café wirklich schließen. Der Schulbuchautor (71) gibt zu, dass er eine gewisse Abhängigkeit von der ortstypischen Baumkuchentorte verspürt, er hat sie sich in Jahrzehnten kalorienreich erkostet.

Die berühmte Kuchentheke: Gast Heinrich Brandt verspürt eine „gewisse Abhängigkeit“ vom Baumkuchen.

Die berühmte Kuchentheke: Gast Heinrich Brandt verspürt eine „gewisse Abhängigkeit“ vom Baumkuchen. © Dieter Menne

Elchschinken schmeckt wie Hirschschinken - aber nur fast

„Ich war in den 70ern schon hier“, erzählt er. Und auch bei (damals noch in dieser Schreibweise) Feinkost Köhler, wo er seinen Elchschinken kaufte. „Schmeckt wie Hirschschinken – nur feiner.“ Wer solche Unterschiede beim Schinken erschmeckt, der kann natürlich einem Filialbetrieb eines Konditorbäckers nichts abgewinnen. „Die Leute wissen doch gar nicht, was sie verlieren“, stellt er traurig fest. Ein Foto von der Torte hat er übrigens auf dem Handy abgespeichert. Zum Zeigen, zum Nachschmecken, denn Baumkuchentorte gibt es nur in der kalten Jahreszeit. Aber auch sonst ist er regelmäßig zu Gast.

Café 1853 gegründet

Der Unternehmer Dieter Borgmann führte das bereits 1853 gegründete Delikatessengeschäft Köhler und das 1925 gegründete Café Strickmann 2002 zu dem Bistro „Koehler`s“ zusammen. Feinkost wie Original Hamburger Labskaus und Rotwurst sowie Gebackenes wie Zitronenrolle und Rhabarberkuchen ergänzen sich seitdem.

In den 50er- und 60er-Jahren konnte man Köhler übrigens gut und gerne als Bio-Unterrichtsstützpunkt Dortmunder Schüler bezeichnen, denn wo sonst konnte ein Nordstädter Kind ein Wildschwein oder ein Reh aus nächster Nähe betrachten? Zwar tot und im Schaufenster - aber immerhin.

Seit 40 Jahren bei Strickmann tätig

Christiane Neyka arbeitet seit 32 Jahren bei Strickmann, Klaudia Zielke gar seit 40. „Wir bedienen hier schon die vierte Generation einer Familie“, erzählt Zielke, „Uroma, Oma, Mutter und Kind, sie kommen alle.“

Klaudia Zielke arbeitet seit 40 Jahren im Café Strickmann.

Klaudia Zielke arbeitet seit 40 Jahren im Café Strickmann. © Dieter Menne

„Das alles liegt uns schwer im Magen“, meint Neyka, die ihre Lehre im Geschäft an der Wißstraße absolviert hat. „Hier hilft einer dem anderen, ein absoluter Familienbetrieb.“ Konditor Olaf Kruppa zeichnet verantwortlich für den Kuchen, Betriebsleiter und Koch Lukas Bogun beispielsweise für die Reibekuchen mit Lachs, für die er Lob von Monika und Wolfgang Blesken einheimst. Das Paar wohnt in Soest, muss häufiger nach Essen und legt immer bei Strickmann einen Boxenstopp ein. Apropos Interesse von auswärts: „Unser Weihnachtsstollen geht bis nach Australien, der Frankfurter Kranz bis nach London“, zählt Neyka auf.

Für den Kuchen kommen Gäste aus Duisburg

Wegen des Kuchens reisten regelmäßig Gäste aus Duisburg und Lüdenscheid an, die hauseigene Kaffeemischung Maragype wird gern in Köln getrunken und der Striezel in Rheinland-Pfalz von Kunden verköstigt, die sich den Kaffeetisch quasi über die Post von Strickmanns decken lassen. „Das Café gibt der Wißstraße Niveau“, stellt Thomas Bahrenberg fest, „da gibt es in Dortmund keine andere vergleichbare Lokalität. Seit zehn Jahren treffe ich mich dort mit meiner Rentnertruppe. Diese Wohnzimmeratmosphäre findet man doch in den schicken, modernen Cafés nicht mehr.“

Das fällt auf: Es ist besonders die ältere Generation, die das Haus vermissen wird. „Ich will ein Kännchen Kaffee und keinen Pott“, darauf legt die 83-jährige Ursula Ray Wert, die sowieso nicht weiß, wie sie in modernen Cafés auf die Barhocker kommen soll. „Dann kann ich nur hoffen, dass sie in der Nähe eine andere Lokalität finden“, fügt ihre Tochter Brigitte Birk an.

Leben, Lieben und Orte verzahnen sich

Karl-Heinz Gütroff und Lisa Hermes sitzen gegenüber am Tisch. Gütroff muss kurz zeitliche Abfolgen ordnen. „Wir sind seit 30 Jahren zusammen“, sinniert er, „aber ich bin bestimmt schon 20 Jahre früher hier gewesen.“ So verzahnen sich Leben, Lieben und Orte. Eine freundliche Mitarbeiterin geleitet eine sehr alte Dame zu einem Sessel. Sie plauschen. Es ist jetzt nicht so, dass nicht auch andere Mitarbeiterinnen in anderen Cafés freundlich wären. Das große Problem ist, dass sie es ab Ende August in „Koehler`s Café“ vielleicht nicht mehr sein können. „Unbegreiflich“, murmelt Wolfgang Dicke, eine Zitronenrolle und ein Stück Kirschsahnetorte auf dem Teller.