Seit 44 Jahren arbeitet Norbert Südbröker bei der Autobahnmeisterei. Die Arbeit ist nicht ungefährlich. Der 62-Jährige macht den Job gerne, und er hat eine besondere Bitte an seine Frau..

Dortmund

, 31.12.2018, 04:10 Uhr / Lesedauer: 5 min

Als Norbert Südbröker das Auto auf sich zukommen sah, war ihm klar, dass es knapp werden würde. Denn der Opel, der ihm da in einer Baustelle auf der Autobahn 40 entgegenschleuderte, tat das nicht mehr auf seinen vier Reifen: „Er rutschte auf dem Dach und schlitterte hin und her. Zum Wegrennen war es zu spät, so schnell ging das alles.“

Südbröker hatte Glück. Wenige Meter vor ihm kam das Unfallfahrzeug zum Stehen. Der Fahrer, stellte sich später heraus, hatte am Steuer einen Herzinfarkt erlitten. Es war nicht das erste und auch nicht das letzte Mal, dass es gefährlich wurde für den Mitarbeiter der Autobahnmeisterei Dortmund.

Eigentlich wollte er Friseur werden

Es ist 7 Uhr morgens, und auf dem Betriebshof der Meisterei an der Brennaborstraße nahe des Induparks wird es lebendig. Männer in orangefarbener Signalkleidung huschen in der Kälte hin und her, steigen in ihre Fahrzeuge. Auch Norbert Südbröker nimmt auf dem Fahrersitz seines Klein-Lkw Platz. 62 Jahre alt ist er, Ende nächsten Jahres geht er in Rente. Eigentlich hat der Mann aus dem Dortmunder Westen einen ganz anderen Job gelernt: „Mein Onkel war Friseur, und das wollte ich auch machen“, sagt er. Die Lehre hat er absolviert, dann kam die Liebe und die Erkenntnis, dass es mit dem Geld, das man in diesem Job verdient, knapp werden könnte für eine ganze Familie.

Der frischgebackene Geselle bewarb sich bei der Autobahnmeisterei, die damals dringend Mitarbeiter suchte, und wurde genommen. 44 Jahre ist das jetzt her, Südbröker hat keines davon bereut. Er macht seinen Job gern. Noch lieber aber macht er ihn im Sommer, wenn es hell ist. Denn die dunklen Tage zwischen Oktober und März sind für die Straßenmeister im Land auch die Zeit, „in der es besonders kribbelt, wenn man das Auto verlässt.“

Kontrollfahrt: 140 Kilometer Autobahn

Südbröker ist an diesem Morgen zur Kontrollfahrt unterwegs. 140 Kilometer Autobahn – darunter Teile der A40 und der A45 – und 35 Kilometer Bundes- und 135 Kilometer Landstraße müssen regelmäßig kontrolliert werden. Manche Teilstücke der Autobahn sogar jeden zweiten Tag. Heute ist ein Straßenstück im Bereich Schwerte an der Reihe. Norbert Südbröker fährt von der Autobahn ab, hält auf dem Seitenstreifen und schaltet den „Weihnachtsbaum“ an. Die große Lichttafel auf der Ladefläche gibt die ersten Blinkzeichen von sich, und der Straßenmeister tritt sanft aufs Gaspedal: „Die Dioden sind deutlich heller als früher, da kann man schon nachvollziehen, dass mancher Autofahrer, der längere Zeit hinter uns bleiben muss, irgendwann genervt ist“, sagt der 62-Jährige.

Gehupt werde immer mal wieder, da gelte es, Ruhe zu bewahren: „Ist halt auch Gewöhnungssache.“ Um die Menschen im Berufsverkehr nicht allzu lange aufzuhalten, fährt er immer mal wieder ganz rechts ran und ermöglicht Überholvorgänge. Eines aber ist für ihn klar: „Die Fahrer haben es immer eiliger und sind über die Jahre deutlich aggressiver geworden.“ Besonders deutlich werde das auf den schmalen Überholspuren der Autobahnbaustellen: „Da wurde früher vereinzelt am Nebenmann vorbeigezogen, mittlerweile zwängen sich die immer breiter werdenden Autos in Kolonne an den Wagen auf dem rechten Fahrstreifen vorbei. Da bleiben oft nur ein paar Millimeter zwischen den Außenspiegeln.“

Fahrzeugführer rasen immer schneller

Ein kleiner Schlenker des Lkw nebenan – und es ist passiert. Auch an den Abfahrten merke man deutlich, dass es immer schneller zugehe, auch in den Zonen mit Tempolimits. Auf der A2 kenne er eine Stelle, an der jeden zweiten Tag ein Fahrbahnbegrenzer erneuert werden müsse.

Im Lkw – in dem es inzwischen deutlich wärmer ist als früher – macht sich der 62-Jährige Notizen zu Reparaturen, die anfallen.

Im Lkw – in dem es inzwischen deutlich wärmer ist als früher – macht sich der 62-Jährige Notizen zu Reparaturen, die anfallen. © Uwe Becker

Die ersten Meter sind im Schritttempo absolviert, da muss der Mann auf dem Fahrersitz schon zum ersten Mal aussteigen. Ein Halteverbot-Schild auf der Gegenfahrbahn liegt im Graben, vermutlich nach einer Leitplankenreparatur von der Baufirma nicht wieder richtig angebracht. Norbert Südbröker steigt aus, huscht auf die Gegenfahrbahn: „Man hat mittlerweile ein deutliches Gefühl dafür, wann der richtige Zeitpunkt ist.“ Unfälle gebe es meist, wenn sich Autos mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit näherten. Und das geschehe eben immer öfter.

Hohes Unfallrisiko

13 Mal höher ist für die rund 1900 Mitarbeiter der Straßenmeistereien in NRW das Risiko eines schweren Unfalls, als für andere Bedienstete in der gewerblichen Wirtschaft.

Statistisch gesehen kommt einmal im Jahr einer der Kollegen ums Leben, sagt Südbröker. Natürlich kannte er Opfer persönlich. Einen besonders gut: „Er ist zwischen dem Signalanhänger und dem Zugfahrzeug zerquetscht worden, als ein Lkw beim Anhängevorgang auf das Gespann auffuhr“, berichtet er. 27 Jahre alt war der Mann, er wäre heute ungefähr so alt wie er. Südbröker, mittlerweile zum stellvertretenden Leiter der Dortmunder Meisterei aufgestiegen, vermisst ihn an manchen Tagen immer noch. Den Bruder des 62-Jährigen hat es auch mal erwischt, wie beinahe alle, die täglich auf den Straßen unterwegs sind. Allerdings mit weit weniger dramatischen Folgen: „Ein Autofahrer hat ihn an einer Baustelle bewusstlos geschlagen, weil ihm alles nicht schnell genug ging.“

Ein ganzes Berufsleben auf der Straße

© Uwe Becker

Natürlich verstehe er, dass sich Menschen manchmal ärgerten, wenn sie an einer menschenleeren Baustelle vorbeifahren: „Aber das hat fast nie mit Nachlässigkeit zu tun. Oft müssen Beläge trocknen, oder es müssen sich Materialien langsam setzen, bevor es weitergehen kann“, erklärt Sürbröker.

511 schwere Unfälle

Sein Dienstherr, der am Personal durchaus spare, tue allerdings einiges, um die Zahl der 511 schweren Unfälle, die sich in den vergangenen 15 Jahren im Bereich von Straßen.NRW ereignet hätten, weiter zu verringern. Die Strahlkraft der Sicherheitskleidung werde immer besser, Leuchtmittel immer heller. Dennoch bleibe da der Faktor Mensch. Der ist auch an diesem Morgen wieder unberechenbar. Immer wieder tauchen Fahrradfahrer aus dem Nichts auf, die dunkle Kleidung tragen und deren fahrbare Untersätze nicht im Ansatz beleuchtet sind. „Dinge, die wenig Aufwand erfordern und mit Sicherheit manchen Unfall verhindern würden.“

Einige Meter weiter muss Südbröker wieder aussteigen. Ein gelbes Hinweisschild ist total vermoost, und weil es eh schon in die Jahre gekommen ist, wird der Straßenmeister nun eine Erneuerung veranlassen. Er notiert die Koordinaten und gibt sie an die entsprechende Abteilung weiter, die sich den genauen Standort dann nochmal per „Stradivari“ anschauen kann. Ein Programm, das jeden Meter im Zuständigkeitsbereich von Straßen.NRW nach Google-Maps-Manier abgespeichert hat, damit die Mitarbeiter im Büro genau wissen, von was der Mann auf der Straße spricht.

„Die neuen Schilder reflektieren deutlich heller als die alten. Auch ein Beitrag zur Sicherheit.“ Dann der nächste Halt: „Hier sind Regenabflüsse regelmäßig mit Laub bedeckt. Das entferne ich selbst oder gebe den Kollegen im anderen Fahrzeug einen Hinweis.“

Ein Klassiker sind umgeknickte Leitpfosten, an manchen Tagen ist es nicht nur einer, sondern Dutzende hintereinander. Fotos (3) Becker

Ein Klassiker sind umgeknickte Leitpfosten, an manchen Tagen ist es nicht nur einer, sondern Dutzende hintereinander. Fotos (3) Becker © Uwe Becker

Dann ein Klassiker: Ein Leitpfosten ist umgeknickt, an manchen Tagen ist es nicht nur einer, sondern Dutzende hintereinander: „Betrunkene kommen leider auf die merkwürdigsten Ideen.“ Längst sind die Pfosten mit Scharnieren ausgestattet, damit sich der Schaden in Grenzen hält. Ein Handgriff, und alles ist wie vorher. Teuer wird es, wenn Zählpfosten, die entlang der Straßen installiert sind und die Menschen in Liegestühlen, die sonst die Autos gezählt haben, ersetzen, zerstört werden.

Anstrengender Winterdienst

Derzeit sind die Straßenmeister rund um die Uhr im Streueinsatz. 14 Tage ist Bereitschaft, dann hat man 14 Tage lang frei. Der Dienst auf den Streufahrzeugen ist hart, extreme Konzentration ist gefragt. Los geht es meist mitten in der Nacht, „denn wenn wir erst um 4 Uhr morgens oder noch später starten, wird der Berufsverkehr zu sehr beeinträchtigt. Und das gilt es zu verhindern.“

Norbert Südbröker kann sich an die Zeiten erinnern, als es in den Lkw genauso kalt war wie draußen: „Es gab ja überall nicht abgedichtete Öffnungen, durch die Leitungen und Rohre verlegt werden mussten, um den Salzauflieger zu steuern“, erklärt er. Jede Tour wurde damit zur Tortur. Die Zeiten hätten sich da zugunsten der Mitarbeiter verändert: „Heute hat man es warm in den Fahrerkabinen, und der Auflieger ist in Minutenschnelle gewechselt. Vieles läuft da automatisch.“ Auch beim Streuen fällt der Blick immer wieder auf den Seitenstreifen und die Böschung. Gebisse, Reitgerten, Teleobjektive und immer wieder volle oder leere Portemonnaies – auf dem Autodach vergessen oder geklaut – die Liste der Fundstücke ist lang und kurios. Manches wird sofort entsorgt, die wertvolleren Stücke wandern zur Autobahnpolizei.

Autofahrer sollen Rücksicht nehmen

In diesem Jahr wird Norbert Südbröker zum ersten Mal keinen Streu-Bereitschaftsdienst über Silvester haben: „Wir haben es aber oft so eingerichtet, dass wir von einer Anhöhe aus wenigstens einen kurzen Blick auf das Feuerwerk werfen konnten“, erinnert er sich an besinnliche Minuten auch im größten Stress. Nochmal betont Südbröker, dass er und seine Mitstreiter an den meisten Tagen im Jahr gern zur Arbeit kommen. Er wird sie, trotz aller Gefahren, vermissen. Und bittet an dieser Stelle die Autofahrer noch mal eindringlich um Rücksicht. Denn die Rente wollen er und seine Kollegen schon gern erleben.

Und wenn es mal vorbei sei, wird der eher pragmatische Norbert Südbröker plötzlich melancholisch, hat er seine Frau schon um etwas Wichtiges gebeten: „Ich würde gern nahe der A40 beerdigt werden.“ Denn das ist und bleibt trotz des ganzen Chaos dort seine Lieblingsstrecke.