Ein Straßenname ist das, was geblieben ist. Im Dortmunder Süden, in Lücklemberg, liegt der Hans-Wilhelm-Hansen-Weg. Wenn man den Namen hört, stellt man sich vielleicht einen Kapitän vor. Sitzend in seinem Schaukelstuhl, weißer Rauschebart, Mütze auf dem Kopf. Doch Hans-Wilhelm Hansen hatte keinen Bart. Und für weiße Haare keine Zeit. Er wurde nur 26 Jahre alt. Hansen starb im September 1978 in einem Wald, nicht weit entfernt von dem Ort, wo heute eine Straße nach ihm benannt ist.
An jenem 24. September 1978 war Hans-Wilhelm Hansen rausgeschickt worden zu einem, wie es schien, Routineeinsatz. Anwohner hatten sich beschwert, in einem Wald in der Nähe der Autobahn werde rumgeballert. Später sollte der damalige Dortmunder Polizeipräsident Wolfgang Manner zu Protokoll geben: „Schüsse, zu denen die Polizei gerufen wird, gibt es in Dortmund öfter.“

Hansen machte sich mit seinem Kollegen Otto Schneider auf den Weg, eigentlich fuhr er mit einem anderen Kollegen, der hatte aber frei, sein Vater hatte Geburtstag. Ein Zufall, wie so vieles am Tod von Hans-Wilhelm Hansen: Wahrscheinlich hatte der Polizeimeister nicht damit gerechnet, mit der 2. Generation der RAF (Rote Armee Fraktion) in Kontakt zu kommen. Die RAF war 1978 acht Jahre alt. Sie hatte als „Baader-Meinhof-Gruppe“ begonnen. Die Terroristen glaubten, den bewaffneten Kampf gegen den US-Imperialismus in Europa führen zu müssen, setzten das mit Banküberfällen sowie Fahrzeugdiebstählen um, um das Leben im Untergrund zu finanzieren. Der Fahndungsdruck wurde erhöht, es kam zu ersten Todesopfern bei Schusswechseln, später zu Bombenanschlägen.
Der Staat reagierte mit Straßensperren, Durchsuchungen und Observationen. Im Sommer 1972 war die Führungsriege der 1. RAF-Generation in Haft. Zu ihren Anwälten zählten Klaus Croissant und Siegfried Haag. Unter anderem um diese beiden bildete sich die 2. Generation der RAF, deren wichtigstes Ziel die Befreiung der Inhaftierten der 1. Generation wurde.
Der Deutsche Herbst
1977 kam es zum „Deutschen Herbst“, in dem unter anderem Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer entführt wurde. Dadurch sollten RAF-Terroristen freigepresst werden. Als die Bundesregierung unter Kanzler Helmut Schmidt nicht nachgab, wurde die Lufthansa-Maschine „Landshut“ entführt. Bei der Befreiung der 86 Geiseln in Mogadischu durch die Bundesgrenzschutz-Sondereinheit GSG 9 wurden am 18. Oktober 1977 drei Entführer erschossen. Die in Stuttgart-Stammheim einsitzende RAF-Spitze beging wenige Stunden später kollektiv Selbstmord. Hanns Martin Schleyer wurde von seinen Entführern ermordet.
Als die Anwohner in Löttringhausen am 24. September 1978 die Schüsse hörten und die Polizei anriefen, dachten die Beamten an Jäger. Hansen und Schneider machten sich auf den Weg, gingen in den Wald. Die Schussgeräusche kamen aus der Nähe der A 45, nicht weit entfernt von einem Autobahn-Rastplatz. Hansen ging vor, in der Hand hatte er eine Maschinenpistole, hinter ihm Schneider, dann trafen sie auf Angelika Speitel, Werner Lotze und Michael Knoll. RAF-Terroristen, die eine „Welt am Sonntag“ an einen Baum gehängt hatten und darauf schossen.
Als die Terroristen die Polizisten entdeckten, eröffneten sie sofort das Feuer, zunächst auf Hansen. Der 26-Jährige, der frisch verheiratet war und in Schwerte lebte, wurde von fünf Kugeln getroffen. Er starb sofort. Sein Kollege Schneider wurde ins Bein getroffen. Er stürzte, war kurz benommen, die Terroristen hielten ihn für tot. Dann schoss er liegend zurück. Werner Lotze konnte fliehen, Knoll und Speitel wurden verletzt und konnten später festgenommen werden.
In Dortmund stieg der Polizeihubschrauber auf. Hundertschaften durchsuchten den Wald, später das Stadtgebiet, es kam zu Straßensperren, „an allen Straßenecken in Löttringhausen“ hatten bewaffnete Polizeiposten Stellung bezogen. Es wurden Flugblätter verteilt, Wohnungen durchsucht, Menschen verhaftet. Doch den dritten Täter fanden sie nicht, Lotze sollte erst 1990 in der damaligen DDR verhaftet werden.
Fünf Tage nach der Schießerei gab es im Polizeipräsidium eine große Trauerfeier für Hans-Wilhelm Hansen. Bei der Beisetzung in Iserlohn brach seine Frau zusammen. Hansen war sieben Jahre lang Polizist gewesen, ein ehemaliger Kollege sagt heute über ihn, Hansen sei sein Freund gewesen, ein ruhiger Kollege, zuvorkommend und höflich.
Eine Begnadigung
Otto Schneider wurde in den Innendienst versetzt, die Polizei fürchtete Racheaktionen der immer noch aktiven RAF. Am 5. Oktober 1978 starb infolge der Schussverletzungen Michael Knoll. Angelika Speitel wurde im November 1979 zu lebenslanger Haft verurteilt. 1989 wurde sie vom damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker begnadigt. Speitel arbeitete danach als Schneiderin am Kölner Stadttheater, soll dann ihren Namen geändert haben. Ihre Spur verliert sich im Rheinischen. Hansens Witwe heiratete später erneut, Polizist Otto Schneider ist seit Jahren tot. In Lücklemberg erinnert ein Straßenschild an einen 26-jährigen Polizisten, der am 24. September 1978 starb.
Die RAF, die 1998 ihre Selbstauflösung bekannt gab, verletzte durch ihre Taten über 200 Menschen, ihr werden bis heute 33 Morde zur Last gelegt, eventuell waren es auch 34. Eines ihrer Opfer war Hans-Wilhelm Hansen.
Anmerkung der Redaktion: Diesen Artikel haben wir anlässlich des 40. Jahrestags des Todes von Hans-Wilhelm Hansen zum ersten Mal veröffentlicht. Zum internationalen Gedenktag für die im Einsatz zu Tode gekommenen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten am 7. März 2024 haben wir den Artikel erneut veröffentlicht.