Die Beschwerden über kaputte Straßen kommen aus allen Stadtteilen. Seit Jahren. Mal ist der Asphalt gerissen oder gleich ganz aufgeplatzt. In anderen Fällen haben sich Schlaglöcher gebildet, die bereits so tief sind, dass die Geschwindigkeit auf 10 km/h gedrosselt werden muss. Fast jeder Autofahrer kennt solche Buckelpisten – die Misere macht weder vor Haupt- noch vor Nebenstraßen halt.
Dortmunds Straßennetz ist über etliche Jahre sträflich vernachlässigt worden – die regelmäßig aufflammenden Diskussionen in der Politik haben daran nichts geändert. Die Beschwerden der Bürger haben auch OB Thomas Westphal erreicht: Anfang Mai hatte er im Gespräch mit dieser Redaktion erklärt, er erwarte „binnen zwei Wochen“ eine Auswertung der städtischen Tiefbauer über den Zustand aller Dortmunder Straßen.

Diese Auswertung liegt nun vor. Das Ergebnis bekamen vor Kurzem die Spitzen der Ratsfraktionen hinter verschlossenen Türen im Sonderältestenrat präsentiert – und es hat bei einigen für Fassungslosigkeit gesorgt: Nach umfassender Analyse des Tiefbauamtes sind rund 70 Prozent der Dortmunder Straßen marode; einige Straßen mehr, andere weniger. Sie alle müssen repariert, teilweise sogar grundlegend erneuert werden – „Rot“ ist die dominierende Farbe auf den Karten der Tiefbauer.
Kostenschock: 573 Mio. Euro
Die Kosten präsentiert das Tiefbauamt gleich mit: Um das Straßennetz in Ordnung zu bringen, muss Dortmund die Megasumme von 573 Millionen Euro investieren. Das ist mehr Geld, als die Stadt im laufenden Jahr 2023 für all ihre Bauprojekte zusammen im Haushalt eingespeist hat; insgesamt 411,1 Millionen Euro. Mit anderen Worten: Würde das gesamte Geld innerhalb eines Jahres einzig und allein in die Straßenreparatur fließen, könnte die Stadt 2023 weder eine einzige Schule, noch eine Sport- oder Gymnastikhallen oder auch nur eine Kita neu bauen – und selbst dann würde es nicht reichen.

„Wir werden das Straßen-Programm natürlich strecken und Prioritäten setzen“, sagt OB Westphal. Aber: Selbst bei einem Zehn-Jahres-Zeitraum müssten jährlich immer noch rund 57 Mio. Euro bereitgestellt werden. Bislang waren dafür rund 18 Mio. Euro im Haushalt vorgesehen. Und selbst die sind oft nur zu einem Bruchteil ausgegeben worden, wie die Politik gebetsmühlenartig kritisiert hat. Die Gründe sind vielfältig: Mal führten die Tiefbauer „zu geringe Personalkapazitäten“ ins Feld – ein anderes Mal verwiesen sie auf die hohe Auslastung der Tiefbaufirmen.
Umstrittene Anliegerbeiträge
Ein weiterer, wichtiger Grund für die jahrelange, vornehme Zurückhaltung wird weniger gern öffentlich diskutiert: In vielen Fällen hätte die Stadt auch die Anwohner mit eigenen Beiträgen zur Kasse bitten müssen – den Ärger wollten sich Politik und Verwaltung sparen. Also ließen sie die Arbeiten sein, solange es irgendwie ging. Inzwischen ist das Problem der Anwohnerbeiträge entschärft: Das Land NRW stellt nunmehr Fördertöpfe bereit, aus denen sich die Kommunen bedienen können, anstatt Anlieger mit oft mehreren Tausend Euro zu belasten.
Soll das „Straßen-Programm“ tatsächlich in Fahrt kommen, „müssen wir diskutieren, wie wir die Mittel für Erneuerung und Reparatur neu verteilen“, sagt Westphal. Wie angekündigt, will er den Fokus auf Neben- und Stichstraßen legen. „Das sind die Straßen vor den Haustüren der Bürger“, so der OB. Wie das Tiefbauamt dabei vorgeht, soll sich im Herbst zeigen: „Ich erwarte noch keine fertige Prioritätenliste“, stellt Westphal klar, „wohl aber ein durchdachtes Konzept, nach welchem Muster man verfahren will.“ Eine Prioritätenliste mit „jeder einzelnen reparatur- oder erneuerungsbedürftigen Straße“ solle im Anschluss folgen. Spätestens dann schlägt die Stunde der Vor-Ort-Politiker in den Bezirksvertretungen: Sie werden ein gehöriges Wort mitreden wollen.