
© Dieter Menne
Dortmunds mittelalterliche Stadtmauer erblickt das 21. Jahrhundert
Fund am Ostwall
Die Bauarbeiten am Ostwall dauern schon den ganzen Sommer an. Doch was Autofahrer inzwischen nervt, ist für Stadthistoriker eine Freude: eine Stadtmauer aus dem Mittelalter wurde freigelegt.
Am Ostwall ist es laut. Zusätzlich zum Berufsverkehr fahren am Donnerstagmorgen im Abschnitt zwischen dem Ostenhellweg und der Olpe links und rechts Bagger und andere Baumaschinen, die seit Juni an der Straßenerneuerung arbeiten. Doch mitten in der aufgebrochenen Straße wird in einem kurzen Abschnitt nur per Hand gearbeitet, mit kleinen Besen und Spachteln. Die Helfer des archäologischen Zentrums legen so eine alte Stadtmauer von Dortmund frei, die über 800 Jahre alt ist.
„Die Mauer ist überraschend gut erhalten“, sagt der Stadtarchäologe von Dortmund, Igmar Luther. Bis zu 2,60 Meter Höhe misst das Fundament, welches die Helfer aus dem Boden gearbeitet haben. „Die vollständige Mauer war acht bis neun Meter hoch“, sagt Luther. Sie diente als Befestigungsanlage im Mittelalter, entstanden um das Jahr 1200. Ihr Fundament lag jahrhundertelang nur 50 Zentimeter unter der alten Straßendecke.
Die Stadtmauer wird vermessen
„Uns war bekannt, dass dort die Stadtmauer ist“, sagt der Stadtarchäologe. Allerdings sei dies die erste Ausgrabung des Mauerabschnitts überhaupt. Von ihr erfahren hat die Denkmalbehörde unter anderem durch preußische Dokumentationen, die über die Abtragung der Mauer berichteten. Der Abriss der alten Stadtbefestigung habe Anfang des 19. Jahrhunderts begonnen und endete ungefähr Mitte der 1870er. Sie war eine Folge der Industrialisierung und des enormen Wachstums der Stadt.
„Dann wurde damit angefangen, einen Boulevard zu bauen – der heute noch als Form des Ostwalls existiert“, sagt Luther. Allerdings konnten damals noch keine modernen Messungen der Mauer vorgenommen werden, daher sind die Dokumentationen ungenau. Das ändert Luther mit seinem Team jetzt: Der Mauerabschnitt, der ungefähr 70 Meter misst, wird freigelegt, vermessen und die Ergebnisse werden professionell dokumentiert.
Nicht nur die Mauer wurde ausgegraben. „Wir haben noch ein paar Gegenstände gefunden, ein wenig Porzellan, Pfeifenköpfe und eine Bierflasche“, sagt Luther. Diese seien allerdings so jung, dass sie auch „von unseren Großeltern“ stammen könnten, so der Stadtarchäologe. Wichtig sind diese Funde für die Archäologie trotzdem: „So können wir nachvollziehen, wie und wann die Erdschichten um die Mauer, unter anderem auch der Befestigungswall, bewegt wurden“, sagt Luther.
Die Verzögerung ist eingerechnet
Fünf Personen bearbeiten am Donnerstagmorgen die Mauer. Die Ausmessungen werden im großen Umfang vorgenommen. Doch so hilfreich die Ergebnisse für seine Arbeit auch sind: „Eigentlich ist es für uns immer besser, wenn die Funde im Boden bleiben. Dort passiert ihnen nichts“, sagt Luther.
Durch die Baustelle geht es den Überresten der alten Mauer ans Fundament. „Für die Versorgungsabschlüsse der Kanalbauarbeiten müssen wir Teile der Mauer abtragen“, sagt Franz-Josef Heimann vom städtischen Tiefbauamt. Er ist Projektleiter für die Baumaßnahmen am Ostwall und sagt, dass das Tiefbauamt bei jeder Öffnung des Dortmunder Bodens mit der Denkmalbehörde zusammenarbeite.
Auch bei der Baustelle am Ostwall arbeiten beide Behörden parallel. Ohne die Baustelle hätte also keine archäologische Ausgrabung stattgefunden. Die Bauverzögerungen, die durch die Ausgrabungen entstehen, sind sowohl im Zeit- als auch im Kostenplan eingerechnet.
Das alte Stadtbild wird nachgebildet
Bei der Abtragung der Mauer sind jedoch nur die oberen 20 Zentimeter des Fundaments betroffen. „Es ist natürlich auf der einen Seite ein Verlust“, sagt Luther. „Auf der anderen Seite freue ich mich aber über die Freilegung. Es ist ein weiteres ‚Puzzelteil‘ des alten Stadtbildes, das gewonnen wird“, sagt er. Für die Zukunft hofft er, mit den an den vielen anderen Baustellen in Dortmund gesammelten Informationen ein 3D-Modell herstellen zu können, welches das alte Stadtbild rekonstruiert.
Luther sagt: „Die Mauerreste werden wirklich nur da, wo es nötig ist, vom Tiefbauamt bearbeitet.“ Zugunsten der Stadtentwicklung wird das von der Denkmalbehörde in Kauf genommen. Außerdem blieben nach der Abtragung immer noch über zwei Meter Fundament.
70-80 Jahre im geschützten Boden
Solche Kompromisse würden an jeder Baustelle in Dortmund zwischen der Denkmalbehörde und dem Tiefbauamt beschlossen. „Wenn wir das nicht tun würden, würde sich die Stadt Dortmund nicht entwickeln. So können wir die Baustellen zu unseren Gunsten nutzen“, sagt Luther. Auch Franz Josef Heimann sagt: „Ich würde es schade finden, wenn die Teile der alten Stadt verloren gehen.“
Bis spätestens zum 16. November wird der Boden am Ostwall wieder geschlossen sein. Dann beginnen nämlich die Vorbereitungsmaßnahmen für den Dortmunder Weihnachtsmarkt. Unter den Autoreifen der diesjährigen Besucher wird sich dann am Ostwall ein breiterer Abwasserkanal mit neuer Fahrbahndecke befinden – und eine alte Stadtmauer, die dann wahrscheinlich für die nächsten 70-80 Jahre wieder im geschützt im Boden liegt. Das schätzt zumindest Luther.
- Der Mauerabschnitt am Ostwall ist nicht der erste, der in Dortmund freigelegt wurde. Das Fundament der Mauer zieht sich – mehr oder weniger gut erhalten – rund um den gesamten Wallring.
- Am Fuß des Adlerturms und daneben wurden originale Fundamentreste der Stadtmauer freigelegt und können dauerhaft besichtigt werden.
- Der Adlerturm selber ist eine Nachbildung der alten Befestigungsanlage und wurde 1992 errichtet. Im Turm selbst befindet sich ein Kindermuseum, in dem ausführlich von dem mittelalterlichen Stadtleben und der Stadtbefestigung berichtet wird.