Dortmunds erste Frau mit Führerschein „Sie liebte den Benzingeruch mehr als jedes Parfüm“

Dortmunds erste Frau mit Führerschein: Luise Feeths Tochter erzählt
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Von der Tischplatte ist kaum noch was zu sehen, so viele Fotos, Fotoalben und Dokumente hat Jutta Uellenbeck darauf ausgelegt. Alles aus einer Zeit, die 100 Jahre zurückliegt. Im Mai 1925 machte ihre Mutter, Luise Feeth, ihre Fahrprüfung und wurde damit zur ersten Frau mit Führerschein in Dortmund. Damals hieß Luise Feeth mit Nachnamen noch Knorr und war 19 Jahre alt. Sie hatte ihr ganzes Leben noch vor sich. Ein Leben, das in Zeiten des Zweiten Weltkriegs kein leichtes war. Doch ihre Lebenslust, sagt ihre Tochter, konnte ihr auch durch schwere Verluste nicht genommen werden. „Meine Mutter hat immer gesagt ‚Ich hab nix‘ und dabei gelacht“, erzählt Jutta Uellenbeck. Dabei muss sie selbst lachen. „Meine Mutter war ein ganz toller Mensch.“

Jutta Uellenbeck sitzt in dem Wohnzimmer, in dem ihre Mutter als junges Mädchen aufwuchs. „Es sah damals anders aus als heute, da es 1943 durch einen Brand fast völlig zerstört wurde.“ Luise Feeth hatte schon zu dieser Zeit ihr eigenes kleines Badezimmer, das sie aber selten als solches benutzte. „Ihr Badezimmer hat sie mit Vorhängen und Tüchern abgedunkelt, um ihre eigenen Fotos zu entwickeln.“ Luise Feeth liebte nämlich neben dem Autofahren auch das Fotografieren. Dieses Foto ihres Vaters Wilhelm Knorr, das vor der Tochter auf dem Tisch liegt, schoss sie mit einer Kamera, die sie von ihrem Vater geschenkt bekam. „Das war das zweite Familienauto. Ein Benz“, erzählt die Dortmunderin Jutta Uellenbeck.

Ein Foto von Wilhelm Knorr in einem frühen Automobil.
Dieses Foto ihres Vaters Wilhelm Knorr schoss Luise Feeth mit einer Kamera, die ihr Vater ihr schenkte. © Louisa Herrera-Schäfer

In einem Benz lernte Luise Feeth auch das Fahren. Fahrstunden bekam sie von einem sogenannten Werkmeister der damaligen Dortmunder „Benz-Vertretung“ an der Märkischen Straße. Weil es damals so gut wie keine Verkehrsschilder gab, beschränkt sich der Theorieteil der Fahrschule auf die Technik eines Autos, so steht es in einem alten Zeitungsartikel, den Jutta Uellenbeck noch aufbewahrt hat. Ihre praktische Prüfung tritt sie nach nur zehn Fahrstunden an, das erzählt sie stolz in einem Presseartikel aus dem Jahr 1985. Luise Feeth bestand ihre Fahrprüfung beim Dampfkesselüberwachungsverein – heute bekannt als TÜV – am 12. Mai 1925.

Jutta Uellenbeck (91) ist stolz auf den Lebensweg ihrer Mutter.
Jutta Uellenbeck (91) ist stolz auf den Lebensweg ihrer Mutter. © Louisa Herrera

Geboren wurde Luise Feeth im Jahr 1905 als Tochter des Dortmunder Bauunternehmers Wilhelm Knorr. Die Familie besaß außer des Unternehmens noch eine Ziegelei. „Mein Großvater war ein sehr moderner Mann“, erzählt Jutta Uellenbeck stolz. Dass eine Frau zur damaligen Zeiten einen Führerschein macht, war für viele unvorstellbar. „Die Frauen durften damals doch nicht einmal einen Beruf erlernen, wenn es die Ehemänner nicht genehmigten. Frauen durften nichts alleine machen“, erzählt die Dortmunderin. Mit ihrer Tochter geht Luise Feeth anders um. „Ich durfte alles alleine machen“, erzählt Uellenbeck.

Auch, wenn sie selbst von solchen Ungerechtigkeiten nichts gemerkt hat, ist ihr bewusst, wie stark eingeschränkt das Leben der meisten Frauen im 20. Jahrhundert war. Davon hält Jutta Uellenbeck bis heute gar nichts. „In dem Krieg ging’s dann nicht mehr anders. Da mussten die Frauen arbeiten.“

„Benzinduft lieber als Parfum“

Luise Feeth war nicht die einzige Frau, die in den 1920er Jahren ihren Führerschein macht. „Aber die waren nicht so scharf aufs Fahren“, glaubt Jutta Uellenbeck verschmitzt. „Nicht so sehr wie meine Mutter. Sie war ganz verrückt nach Autos“, sagt die 91-Jährige und lacht herzhaft. Damit hat sie die Welt vieler Männer ganz schön auf den Kopf gestellt. „Die konnten es gar nicht ertragen, eine Frau hinterm Steuer zu sehen, und haben bei jeder Gelegenheit versucht, sie zu überholen“, berichtet Uellenbeck aus Erzählungen ihrer Mutter.

Doch davon lässt sich Luise Feeth nicht beeindrucken. „Damals gab es ja noch keine Ampeln und Straßenschilder. Damit hatte sie dann genug zu tun“, erzählt Uellenbeck. Danach kramt sie erneut einen alten Zeitungsartikel hervor, diesmal aus dem Jahr 1975. Der Autor Gerd Heymann schrieb darin über Luise Feeth: „Heimlich übte sie an den stehenden Wagen das Schalten, Lenken und Bremsen, Benzinduft war ihr lieber als Parfüm.“

Ein Ausschnitt eines alten Zeitungsberichts über Luise Feeth.
Bereits 1975, 50 Jahre nachdem Luise Feeth ihren Führerschein gemacht hat, wurde in der Zeitung über sie berichtet. © Louisa Herrera-Schäfer

Eine Frau mit Ambitionen

Zwei Weltkriege überlebte Luise Feeth. Einen davon mit ihrer Tochter Jutta Uellenbeck. In diesen Zeiten war an ihre Leidenschaft, das Autofahren, gar nicht mehr zu denken. „Die deutschen Soldaten haben uns alle Autos weggenommen“, erzählt Uellenbeck. Doch das erschien neben allen anderen Geschehnissen im Krieg nur wie eine Kleinigkeit. 1944 starb Luise Feeths Mann Erich bei einem Luftangriff auf Dortmund. „Nun war meine Mutter mit 39 Jahren Witwe. Sie stand ganz alleine da. Das war schrecklich“, erzählt Jutta Uellenbeck, die selbst noch lebhafte Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg hat.

Viel Zeit zum Trauern blieb nicht. Luise Feeth musste sich alleine um das Familienunternehmen kümmern. Nur mit der Hilfe einer Angestellten des Unternehmens, die ein paar Häuser weiter lebte, eignete sie sich Wissen über Buchhaltung und alle anderen geschäftlichen Abläufe an. „Unter Frauen wurde zusammengehalten – und wie“, betont Jutta Uellenbeck.

Ein paar Jahre später musste das Familienunternehmen trotz allem aufgelöst werden. Luise Feeth hatte mittlerweile einen Bauingenieur angestellt, der sie mit der Firma unterstützen sollte. „Diese Zusammenarbeit war alles andere als gewinnbringend“, sagt Jutta Uellenbeck, die damals noch ein Kind war.

Ein altes Foto von Luise Feeth die zwischen vielen aufgestapelten Backsteinen steht.
Luise Feeth hatte sich oft auf dem Gelände der Ziegelei ihres Vaters aufgehalten. © Louisa Herrera-Schäfer

Luise Feeth fuhr Auto, bis sie 64 Jahre alt war. Eine Augenkrankheit ließ sie fast vollständig erblinden, jedoch konnte sie ein paar Jahre später durch eine erfolgreiche Operation wieder sehen. Das Autofahren ließ sie aber trotzdem. „Mit 80 fährt man nicht mehr“, sagte sie 1985 in einem Interview. „Mir schlägt das Herz heute noch höher, wenn ich einen schnittigen Sportwagen sehe“, sagt sie im gleichen Interview.

Eine verantwortungsbewusste Person war sie immer, dafür wurde sie 1957 sogar mit einer Urkunde der Verkehrswacht geehrt. „Frau Luise Feeth hat sich 30 Jahre als verkehrssicherer Kraftfahrer bewährt.“ So steht es auf der Urkunde, die ihre Tochter in einer Klarsichtfolie aufbewahrt. Tatsächlich fuhr Luise Feeth über alle die Jahre stets unfallfrei.

Eine Urkunde der sogenannten Verkehrswacht aus dem Jahr 1957.
30 Jahre Autofahren ohne auch nur einen Unfall zu bauen: Das hat Luise Feeth geschafft und bekam dafür 1957 eine Urkunde. © Louisa Herrera-Schäfer

Die Urkunde kam ihr sogar eines Tages zugute, als sie versehentlich in eine gesperrte Straße fuhr. Uellenbeck berichtet aus Erzählungen ihrer Mutter, dass der Verkehrskontrolleur sie ohne Strafgebühr weiterfahren ließ, nachdem Luise Feeth ihm Führerschein und Urkunde der Verkehrswacht zeigte.

Jutta Uellenbeck in ihrem Wohnzimmer.
Jutta Uellenbeck erinnert sich mit 91 Jahren noch an viele Details und Erzählungen ihrer Mutter. © Louisa Herrera-Schäfer

Jutta Uellenbeck trägt das Vermächtnis ihrer Mutter weiter. „Ich war da genau wie sie. Genauso autoverrückt.“ Mit 20 machte sie selbst ihren Führerschein und bekam dafür einen Opel von ihrer Mutter geschenkt. „So ein Benz ist mir zu groß. Ich mochte lieber die kleinen Autos“, erzählt Uellenbeck, wo ja der Mercedes-Benz das Lieblingsauto ihrer Mutter gewesen sei. Aber nicht nur die Liebe zum Autofahren hat Luise Feeth an ihre Tochter weitergegeben. Auch die unerschütterliche Lebenslust und Fröhlichkeit, die selbst bei schweren Schicksalsschlägen standhaft blieb. Das strahlt Jutta Uellenbeck auch mit ihren 91 Jahren noch aus.