Anna lebt seit einigen Wochen mit ihrer Hündin Stella in ihrem 19 Quadratmeter großen Tiny House. © Thomas Thiel

Neue Wohnform

Dortmunds einzige Tiny-House-Besitzerin wohnt illegal

Bis zu Dortmunds erstem Tiny-House-Wohngebiet dauert es noch ein paar Jahre, doch schon jetzt gibt eine junge Frau in der Stadt, die in einem Mini-Eigenheim lebt – illegal. Ein Besuch.

Dortmund

, 03.04.2019 / Lesedauer: 4 min

In der britischen Kult-Science-Fiction-Serie „Doctor Who“ gibt es einen Running Gag: Wann immer jemand zum ersten Mal die Tardis – die Zeitmaschine des wunderlichen Doktors – betritt, fällt der ungläubige Satz: „Sie ist von innen viel größer als von außen!“ Zurecht, schließlich ist die Tardis von außen nur eine winzige, blaue Polizei-Notrufzelle, von innen aber riesig, inklusive Swimmingpool und Bibliothek.

Mit solchen Wundern kann Annas (Name geändert) Zuhause zwar nicht aufwarten, doch der Effekt ist ähnlich, wenn man durch die Eingangstür tritt. Während man eben noch vor einer überdimensionierten Schuhschachtel auf einem Anhänger stand, ist man nun in einem hellen, luftigen Raum mit hohen Decken.

Annas Tiny House kostete rund 50.000 Euro

Anna ist Dortmunds einzige Tiny-House-Bewohnerin. Seit einigen Wochen ist die 22 Jahre alte Frau stolze Besitzerin eines nur 19 Quadratmeter großen Eigenheims. Anna hat es selbst geplant und einen Kredit aufgenommen, um den Bau ihres neuen Zuhauses zu finanzieren.

Rund 50.000 Euro kostete es – viel Geld für Anna, die im sozialen Bereich arbeitet und nebenbei noch ihr Abi macht. Ein knappes Jahr dauerte es von der ersten Idee bis zur Übergabe des fertigen Hauses. „Als es da war, hab‘ ich geweint“, erzählt sie bei einem Kaffee an ihrem kleinen Küchentisch.

Von außen wirkt Annas Tiny House wie ein überdimensionierter Schuhkarton. © Thomas Thiel

Annas Tiny House hat alles, was man zum Leben braucht: Eine Küche mit Arbeitsplatte, ein Bad mit Toilette und Dusche, einen Wohnbereich mit Sofa und Fernseher, ein 1,40-Meter-breites Bett und einen Arbeitstisch. Wegen der winzigen Grundfläche sind einige Quadratmeter doppelt genutzt.

So liegt das „Schlafzimmer“ auf einer Zwischenetage über Küche und Bad, erreichbar über eine Treppen-Konstruktion, in die wiederum der Kühlschrank und der Ofen verbaut sind. Das „Arbeitszimmer“ funktioniert nach dem gleichen Prinzip am anderen Ende des länglichen Raums. Hier hat sich Anna zwei stabile Querstreben unter die Decke ziehen lassen, eine als Arbeitsfläche, die andere etwas tiefer und versetzt als Sitzbank. Wenn Anna an ihrem Schreibtisch sitzt, baumeln ihre Beine also über ihrer Eingangstür.

Über der Eingangstür ist Annas "Arbeitszimmer". Die hintere Querstrebe dient als Arbeitsfläche, die vordere, etwas tiefer angebrachte als Sitzbank. © Thomas Thiel

Bevor sie ihr Tiny House bekam, wohnte Anna ganz normal zur Miete. Zuletzt hatte sie eine 77-Quadratmeter-Wohnung. „Doch ich war nicht glücklich: Je größer die Wohnung war, desto belastender war es.“ Das ständige Aufräumen, dazu der ganze Kram, mit dem sie im Laufe der Zeit ihre Wohnungen vollstellte. Sie wollte mit weniger auskommen, gleichzeitig aber etwas Eigenes, das ihr gehört. Doch klassische kleine Wohnungen konnte sie sich nicht leisten. Irgendwann stieß sie im Internet auf die Tiny-House-Bewegung.

Für ihre Anhänger sind winzige Häuser in vielerlei Hinsicht verlockend: Tiny Houses seien nachhaltiger und ressourcenschonender, dazu bezahlbar und gleichzeitig platzsparend in Zeiten von Wohnungsnot und Bauland-Knappheit. Für Anna war es von allem ein bisschen, was sie überzeugte. Sie sieht sich aber nicht als ökobewegten Hippie, sondern vor allem als normale Eigenheim-Besitzerin: „Ich bin keine Minimalistin: Ich hab sogar einen Thermomix!“

Ein Blick durch die Terrassentür auf Annas Küche. © Thomas Thiel

Was Anna bei der Planung ihres Tiny Houses wichtig war, ist dessen Mobilität: Mit seinem Gewicht von 3,4 Tonnen ist es gerade noch leicht genug, um auf einem normalen Anhänger transportiert werden zu können. „Rechtlich gesehen ist mein Haus ein Anhänger mit Ladung. Wenn ich jetzt für einen Job umziehen muss, nehme ich mein Haus einfach mit.“

Doch die Tiny-House-Bewegung – und damit Anna – haben ein großes Problem: Das Baurecht kennt kein Sonderrecht für rollende Häuser, die dauerhaft bewohnt werden. Also müssen diese die gleichen Kriterien erfüllen wie „normale“ Häuser. Das Grundstück, auf dem sie stehen, muss Wohnbauland sein, es muss erschlossen sein und über Strom-, Wasser- und Abwasser-Anschlüsse verfügen. Und selbst wenn all das vorliegt, dürfen die geplanten Häuser nicht gegen den Bebauungsplan verstoßen. Um all diese Kriterien zu erfüllen, wird derzeit in Sölde ein spezielles Tiny-House-Wohngebiet geplant.

Annas Haus erfüllt keines dieser Kriterien. Es steht auf einem Schotterplatz im Dortmunder Süden. Der Wasseranschluss besteht aus einem Gartenschlauch, der Elektro-Anschluss aus einer Rolle Verlängerungskabel. Ihr Abwasser leitet Anna mit Plastikrohren zum Abfluss eines Bauwagens, der auch auf dem Privatgelände steht, das haben ihr die Besitzer erlaubt.

Tiny House braucht dringend neuen Standort

Das brachte Anna in den vergangenen Tagen in die Bredouille: An seinem gegenwärtigen Standort kann ihr Tiny House nicht stehen bleiben, die Besitzer brauchen die Fläche für eigene Zwecke. Anna telefonierte sich deshalb die Finger wund, um eine neue Fläche zu finden. „Die meisten Leute haben Angst vor dem Bauordnungsamt.“ Dann, am Nachmittag vor dem Umzugstermin am Mittwoch, fand sie einen Bauernhof, der ihr Tiny House aufnimmt – für wie lange, weiß sie nicht.

Doch irgendwie wird es schon immer weitergehen, davon ist Anna überzeugt: „Ich bereue meine Entscheidung für das Tiny House definitiv nicht.“

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