
© Jessica Will
Rettung aus der Hühnerhölle: Dortmunderin päppelt ausgebeutete Legehennen auf
Verein „Rettet das Huhn“
Noch nie haben die vier Hennen den blauen Himmel gesehen: Bisher vegetierten sie in einer Legebatterie dahin. Sie sind abgemagert, haben kaum Federn - jetzt bekommen sie in Dortmund eine zweite Chance.
Bei der Henne regiert die Panik. Als Linda Rosenkranz das Tier aus der Transportbox holen möchte, schlägt es unkontrolliert mit den Flügeln, pickt wild nach den Händen. So sanft wie möglich greift die Dortmunderin nach dem Huhn, nimmt es aus der Box und hält es eng an ihrem Körper. Zeit, kurz zu verschnaufen.
Zum ersten Mal in ihrem Leben sieht die ehemalige Legehenne den wolkenverhangenen Himmel, eine langgezogene Wiese, einen kleinen Teich, einen hölzernen Hühnerstall. Ihr neues Zuhause in Sölde.
Wenige Stunden zuvor sah ihre Umgebung noch ganz anders aus. Die Henne wurde - mit etwa 1500 weiteren - in einem der Ställe einer Legebatterie im Sauerland gehalten. Eier aus Bodenhaltung steht auf den Verpackungen, in denen ihre Eier verkauft wurden. Was das heißt? „Nicht das, was man sich unter Bodenhaltung vorstellen würde“, sagt Irene Müller von „Rettet das Huhn“.
Ein neues Zuhause für ausgediente Legehennen
Der Verein übernimmt ausgediente Legehennen, die geschlachtet werden sollen, von den Landwirten und vermittelt sie an Privatleute. Früh morgens ist die Unneranerin an diesem Tag mit weiteren Vereinsmitgliedern ins Sauerland gefahren, zu einem Betrieb, von dem man regelmäßig Hühner abholt.

Der Stall der Legebatterie im Sauerland, aus dem der Verein "Rettet das Huhn" regelmäßig Hühner abholt: Der Betongang vor den Käfigen gilt als "Bodenhaltung". © Rettet das Huhn e.V.
Ein langer, grauer Gang, auf einer Seite mehrere Stöcke verdreckte Metallkäfige, davor ein Betonboden. So schmal, das nur ein Mensch Platz hat. Künstliches Licht. Das zeigen Fotos, die „Rettet das Huhn“ bei einer früheren Aktion von der Legebatterie machen durfte.
Weit und breit kein Stroh - und auf keinen Fall genug Platz, dass alle Tiere überhaupt aus den Käfigen heraus auf die Betonfläche davor gehen könnten. „Mit den Bildern auf den Verpackungen hat das nichts zu tun, der Verbraucher wird da getäuscht“, sagt Müller.
Abgemagert, wenige Federn, blutige Wunden
Diese Haltungsbedingungen - die legal sind - sieht man den vier Hühnern, die jetzt in Dortmund in ein neues Leben starten, deutlich an: Sie haben überall am Körper kahle Stellen, nur wenige, dreckige Federn. Das Brustbein ist deutlich zu sehen, so mager sind sie.
Die Henne, die Linda Rosenkranz auf dem Arm hält, hatte blutige Stellen am Bürzel. Bei einem Zwischenstopp bei Irene Müller in Unna - hier übergibt der Verein die Tiere an die neuen Besitzer - wurden die Wunden mit einem blauen Spray desinfiziert.

Der Bürzel der Henne ist blutig gehackt. Als Folge der beengten Haltung entwickeln die Tiere Verhaltensweisen wie Federpicken und Kannibalismus, so schildert es „Rettet das Huhn“. © Jessica Will
Gegen die kahlen Stellen hilft nur die Zeit - in etwa drei Wochen wird sich das Gefieder erfahrungsgemäß erneuern, weiß die Tierschützerin. Bis dahin soll ein Pullover helfen. Also noch ein kleiner Stressmoment, bevor die Henne sich endlich erholen kann.
„Tiere sind im absoluten Überlebensmodus“
Linda Rosenkranz hält das Tier fest, eine Freundin hilft dabei, ihm den Pulli über den Kopf zu ziehen und unter den Flügeln durchzuführen. Wieder pickt das Huhn auf die Hände ein. „Au - die beißt richtig.“
Auch dieses aggressive Verhalten ist eine Folge der Tortur, die die Hühner zuvor erlebt haben: „Normalerweise machen Hühner so etwas nicht. Aber diese Tiere sind im absoluten Überlebensmodus“, so Irene Müller.
Dabei haben die vier Hennen, die bei Linda Rosenkranz in Sölde einziehen, noch Glück: Im Stall der Legebatterie hat das „Rettet-das-Huhn“-Team am Morgen auch viele Hühner gefunden, denen es noch schlechter ging.
„Die Tiere waren total am Ende. Wir haben viele Verletzte gefunden, einige mussten direkt in Tierkliniken, einige sind auf dem Transport gestorben.“ Im Stall selbst fand man keine toten Tiere: „Die muss der Landwirt vorher weggeräumt haben“, vermutet Müller.
Erschöpfte Hühner brauchen Zeit, sich zu erholen
Auch die erste Woche im neuen Zuhause sei noch kritisch. „Da sterben auch noch einige.“ Von den Menschen, die die Tiere übernehmen, bekommt sie in den ersten Tagen oft die Rückmeldung: „Die Hühner sind total erschöpft, torkeln vor Schwäche, sie verlassen den Stall noch nicht. Fressen und schlafen, mehr machen sie nicht.“
Da macht auch die Henne von Linda Rosenkranz keine Ausnahme: Nachdem sie den Pulli anhat, setzt die Dortmunderin sie in den Stall. Ein unkontrollierter Schritt zur Seite, dann zwei nach hinten. Unsicher torkelt das Huhn schließlich unter eine Rotlichtlampe, versteckt sich dabei hinter einer Kiste. Endlich ausruhen.

"Erschreckend" findet Linda Rosenkranz den Zustand der geretteten Legehennen. © Jessica Will
Drei Tage später: Die namenlose Legehenne mit dem blutigen Bürzel hat jetzt einen Namen: Ivy. „Sie werden immer aktiver“, berichtet Linda Rosenkranz. Ivy und den drei weiteren geretteten Hennen geht es gut. „Sie haben sich erstmal ausgeruht, waren sehr ängstlich. Jetzt ist das schon besser. Es stört sie nicht mehr, wenn ich da rumlaufe.“
Weitere gerettete Tiere haben in Sölde neues Zuhause gefunden
Aus dem Stall heraus getraut haben sie sich aber noch nicht. Dabei wartet ein großes Hühner-Paradies auf sie - und noch weitere Hühner, Enten und Gänse. Auch sie waren teils Tiere, denen die Schlachtung drohte. Ganter Martin zum Beispiel - der als Braten enden sollte.
Oder Hahn Forrest. Auch ihn hat Linda Rosenkranz vom Verein „Rettet das Huhn“ übernommen. Er hatte ein gebrochenes Bein, ein starkes Humpeln ist geblieben und brachte ihm in Anlehnung an die Filmfigur Forrest Gump seinen Namen ein.
Seine Angst vor Menschen hat er lange überwunden, ist jetzt ganz zutraulich - und schon neugierig auf die neuen Mitbewohner. Schon am Ankunftstag hat er in die Transportbox geschaut. Jetzt wartet er darauf, dass die neuen Hennen sich aus ihrem separaten Stall ins Freie zu den anderen Hühnern trauen - und damit endgültig in ihrem neuen Leben ankommen.
Verein bewahrte etwa 90.000 Hennen vor Schlachtung
Der Verein „Rettet das Huhn“ setzt sich deutschlandweit für die Vermittlung von Legehennen ein. Seit 2007 wurden etwa 90.000 Hennen aus Legebatterien übernommen. Wer Tiere aufnehmen möchte, muss gewisse Bedingungen erfüllen: Die Hennen werden nur in artgerechte Haltung in kleine Gruppen vermittelt, sie dürfen nicht geschlachtet werden. Die Lebenserwartung der Tiere liegt nach der Rettung noch bei ein bis drei Jahren, also wesentlich geringer als bei „normalen“ Hühnern. Weitere Infos zur Vermittlung und Haltung sowie Hintergründe zur Massentierhaltung auf der Homepage www.rettetdashuhn.de1983 im Münsterland geboren, seit 2010 im Ruhrpott zuhause und für die Ruhr Nachrichten unterwegs. Ich liebe es, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, Fragen zu stellen und vor allem: zuzuhören.
