Schon der Sitzungssaal war eine Premiere. Der Dortmunder Rat musste der Messe Elektrotechnik weichen und tagte am Donnerstag (2.9.) nicht wie sonst wegen der Rathaus-Sanierung in der Westfalenhalle 2, sondern erstmals in der großen Halle 1.
Nach einer Gedenkminute für die Erdbebenopfer in der Türkei und Syrien verabschiedete der Rat mit großer Mehrheit den Haushalt 2023. Dem ging ein Redemarathon der Fraktionsspitzen voraus, den sie traditionsgemäß zur Abrechnung mit den politischen Konkurrenten, aber auch mit der Verwaltung nutzten.
Die Ratsfraktionen hatten mit ihren Anträgen in den vorangegangenen Haushaltsberatungen auf den rund 3,3 Milliarden schweren Haushalt noch mal 17,7 Millionen obendrauf gesattelt, plus 20,5 Millionen Euro, um die schon der Kämmerer seinen ersten Haushaltsplanentwurf hatte aufstocken müssen – bei gleichzeitig 3,2 Milliarden Schulden, davon 2,9 Milliarden Altschulden und Überziehungskredite, die die Stadt zu stemmen hat.
Geprägt von Krisen
Die Schuldensituation sorgte für Kritik der Fraktion FDP/Bürgerliste, die sich bei der Abstimmung zum Haushalt enthielt, und der AfD, die den Etatplan ablehnte. Dortmund sei in absehbarer Zeit nur 6 Millionen entfernt von der Aufgabe der eigenständigen Handlungsfähigkeit des Rates, bemängelte Michael Kauch, Fraktionschef von FDP/Bürgerliste: „Das ist die Realität der mittelfristigen Finanzplanung dieser Stadtverwaltung.“
Dagegen betonten SPD, CDU und Grüne die Stabilität des Haushalts. Er sei nicht genehmigungspflichtig durch die Kommunalaufsicht, die Stadt bleibe finanziell eigenständig und handlungsfähig – und das in einer krisengeschüttelten Zeit durch Corona, Ukraine-Krieg und Klimakrise.
Beschlossen wurden unter anderem eine zusätzliche Finanzspritze für das Klinikum Dortmund von 4 Millionen Euro und Förderprogramme für Privathaushalte (Photovoltaik, Dachbegrünung, Geothermie, Wärmepumpen und Rückstauklappen), um den Klimaschutz voranzutreiben
Sozialticket und Eintritt frei
Auch sonst werden die Bürger entlastet. Der Rat beschloss ein Sozialticket ab Juli für 29 Euro, finanziert aus dem städtischen Etat – in der Hoffnung, dass eine Lösung durch Bund und/oder Land folgt. Die Einkommensgrenzen, ab denen Alleinstehende und Familien Gebühren für Kita und offene Ganztagsschule zahlen müssen, werden ab 1. August 2023 erhöht von bisher 30.000 auf 42.000 Euro Jahreseinkommen. Dafür sollen Eltern mit einem Jahreseinkommen von mehr als 100.000 Euro abgestuft mehr zahlen.
Beschlossen wurden zudem verschiedene Ermäßigungen für Kinder und Jugendliche wie eine günstige Dauerkarte für die acht Schwimmbäder der Sportwelt gGmbH (auch für Bürgergeld-Empfänger) sowie freien Eintritt für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre während der Sommer- und Herbstferien in den Westfalenpark.
In Puncto Sicherheit und Sauberkeit wird der städtische Ordnungsdienst deutlich aufgestockt, ebenso der Ermittlungsdienst Abfall. Ein privater Sicherheitsdienst soll auch über April hinaus im Stadtgarten in den Abendstunden Präsenz zeigen.
„Grün-schwarzes Gesicht“
Grüne und CDU nutzten die Halbzeit der Wahlperiode, um den Erfolg ihrer gemeinsamen Projektarbeit hervorzuheben. Sie haben alle 67 gemeinsamen Haushaltsanträge durchgebracht. Für die Grünen erklärte Fraktionssprecher Dr. Christoph Neumann: „Die politischen Entscheidungen haben im Haushalt ganz klar ein grün-schwarzes Gesicht. Die Projektgemeinschaft ist ein Stützpfeiler des Haushalts.“
Für die CDU fügte Fraktionschef Dr. Jendrik Suck hinzu, die erfolgreichen Haushaltsanträge von CDU und Grünen bildeten alle Bereiche des kommunalpolitischen Handelns ab. Der Verwaltung und Oberbürgermeister Thomas Westpal schrieb Suck ins Stammbuch, künftig die Haushaltsbeschlüsse der Fraktionen auch tatsächlich umzusetzen. Dafür gebe es „unzweifelhaft Optimierungspotential“.
Sollten OB und Sozialdezernentin Birgit Zoerner ihre Blockadehaltung zum Beispiel gegen das beschlossene Konzept „Housing First“ zur Unterbringung von Obdachlosen nicht „unverzüglich auflösen“, könne man auch die Kommunalaufsicht einschalten, kündigte Suck an.
Keine Grundsteuer-Senkung
Für die CDU gebe es nur einen Wermutstropfen, so Suck. Seine Fraktion wollte die Grund- und Gewerbesteuern senken, fand aber selbst bei den Grünen keine Zustimmung dafür.
Er habe das mal für sich bei der Grundsteuer ausgerechnet, sagte Neumann (Grüne): „Für mich wären das 60 Cent im Monat.“ Diese Entlastung bemerke nur einer, nämlich der Kämmerer „durch fünf fehlende Millionen im Haushalt.“
SPD-Fraktionschefin Carla Neumann-Lieven betonte, ihre Fraktion als Urheberin des 29-Euro-Sozialtickets treibe die Mobilitätswende voran, indem sie an alle Menschen denke. Auch die Entlastung für Kinder, Jugend und Familie liege der SPD besonders am Herzen.
„Kirchturmdenken durchgesetzt“
In diesem Zusammenhang zeigte sie sich enttäuscht, dass der Rat sich nur auf eine abgespeckte Variante des freien Eintritts im Westfalenpark einigen konnte. Die SPD-Fraktion hätte ihn gern auf Auszubildende bis 27 Jahren und auch auf Nicht-Dortmunder ausgeweitet. Neumann-Lieven: „Hier hat sich leider Kirchturmdenken durchgesetzt.“
Utz Kowalewski, Fraktionschef von Die Linke+, sah seine Fraktion bei den Haushaltsbeschlüssen als „Zünglein an der Waage“. Die Anträge der demokratischen Fraktionen hätten sich deutlich links vom politischen Mainstream der SPD-CDU-Haushaltskoalitionen des letzten Jahrzehnts bewegt.
Kowalewski: „Haushaltskürzungen, Personalkürzungen, Ausgliederungen von Leistungen und die Erhöhungen von Steuern sind nicht mehr der politische Konsens der derzeitigen Ratsmehrheiten – und das ist auch gut so.“
Haushaltsrede mit ChatGPT
Die gewohnte Bissigkeit und Ironie fehlte dieses Mal in der extrem kurzen Haushaltsrede von Olaf Schlösser, Vorsitzender von „Die Fraktion“ von der Satire-Partei „Die Partei“. Das hatte einen Grund und war eine Ratspremiere. Kaum einer hat es bemerkt – Schlösser hatte seine Rede vom Programm ChatGPT schreiben lassen, sprich von einer künstlichen Intelligenz. Er hatte lediglich ein paar Stichworte eingegeben. Inspirierend war die Rede aber nicht.
Michael Kauch (FDP/Bürgerliste) prangerte den ständigen Stellenzuwachs in der Verwaltung an (wie die AfD), forderte mehr Einsatz für eine einladende City und kritisierte die vielen, auf Antrag von Grünen, CDU und SPD beschlossenen Förderprogramme für den Klimaschutz mit vergleichsweise kleinen Summen als „teuren klimapolitischen Unsinn“.
Kauch: „Dafür gibt es viel effizientere und durchschlagende Programme des Bundes. Wenn man hier kommunal draufsattelt, erreicht man eins: reine Mitnahmeeffekte für Investitionen, die bereits mit Bundesmitteln angestoßen werden. Die Kohle wird immer noch rausgehauen, als gäbe es kein Morgen.“
Bei AfD leerte sich der Saal
Als AfD-Fraktionschef Heiner Garbe an das Rednerpult trat, leerte sich der Saal merklich. Garbe nannte den Haushaltsplan „ein Dokument des Niedergangs“. Jeden Tag schwinde „ein Stück unseres Dortmunds, wo es sich noch bis Ende der 1990er-Jahre in jedem Stadtteil gut, entspannt und angstfrei leben ließ.“
Garbe provozierte, sprach von „den Anständigen in der Stadt“, die die Auswirkung dieser Entwicklung bezahlen müssten, und den „Unanständigen“, wie „Sozialverbandsfunktionäre, heuchlerische Kirchenvertreter und das
Heer an linksliberalen Parteibonzen“, die davon profitierten.
Garbe: „Wir lehnen abseitige, sogenannte Klimaschutzmaßnahmen ab, wir wollen die Migrationskosten unter anderem auch durch Abschiebungen Ausreiseverpflichteter drücken und wir wenden uns gegen die Drangsalierung von
Bürgern auf allen Gebieten.“
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