Auf dem Unterarm von Helmut Philipps (69) sind drei Buchstaben vor dem Hintergrund der Farben grün, schwarz und gelb tätowiert. „D“, „U“ und „B“ stehen dort, Dub.
In Dortmund denken manche bei dieser Buchstaben-Kombination vielleicht zuerst an eine ausgestorbene oder bei der Aussprache an ein noch existierende Biermarke.
Doch in Helmut Philipps Geschichte geht es um Musik. Das „Dub“ auf seinem Arm, sein einziges Tattoo, steht für seine Begeisterung für eine Kulturtechnik aus dem Umfeld des Reggae mit Wurzeln auf Jamaika, die eine bemerkenswerte Geschichte hat.
„Es hat mich außerdem immer daran erinnert, dass das Buch fertig werden muss“, sagt er.
50 Jahre Dub
Der Dortmunder hat dem Dub fast zehn Jahre seines Lebens gewidmet. „Dub Konferenz“ heißt sein Buch, das im November erschienen ist (Strzelecki Books, ISBN 978-3-910298-02-6).
Tief gehende Recherche, dutzende Interviews, viele Reisen und eine gigantische Zahl an Schreibstunden stecken in dem Buch. Es hat das das Zeug zu einem Standardwerk für zeitgenössische Musikgeschichte. Ohne, sich in zu viele Details zu verlieren, erzählt es die Dub-Historie aus Sicht derjenigen, die selbst mit dabei waren.
So detailliert wie Philipps haben sich bisher wenige dem vor genau 50 Jahren in den 1960er-Jahren entstandenen Phänomen des Verfremdens eines bekannten Liedes zu einer eigenen Version mit Hilfe von (Over)-Dubs (deutsch: überspielen), genähert.
Geburtsort sind die Soundsystems, öffentliche Diskotheken auf den Straßen von Kingston und anderen Städten Jamaikas.
Eigene Soundsystem-Versionen
Weil Musik nicht auf Tonträgern für die breite Masse verfügbar waren, schufen die ersten Soundtechniker eigene Versionen. „Dub“ ist der Mix eines Stückes für eine exklusive Form eines Soundsystem. Es war eine Wettbewerb um die Version, die kein anderer hat“, sagt Helmut Philipps.
Gespräche mit Pionieren wie King Tubby oder Bunny Lee machen die Umstände des frühen Dub greifbar. Mehrspurgeräte oder digitale Technik waren noch weit entfernt, als die ersten Songs mit den charakteristischen Echo-Effekten entstanden, die heute viele im Allgemeinen mit Dub in Verbindung bringen. Dabei stellt der Titel eines Kapitels in „Dub-Konferenz“ schon fest: „Ein Echo macht noch keinen Dub“.

Die ersten Effekte entstehen in einem Zusammenspiel von Toningenieuren und Musikern unter einfachsten Bedingungen. An der Dub-Geschichte lässt sich auch die Entwicklung der Produktionsbedingungen von Musik ablesen.
Europa „übernimmt“
15 Jahre baut sich die Dub-Welle in Jamaika auf. „Dann übernimmt Europa“, sagt Helmut Philipps. Auf Jamaika hat sich das Thema mit dem Aufkommen digitaler Sounds erledigt.
Dub ist musikalische Grundlage für Hip-Hop, mischt sich mit Jazz und der aufkommenden Techno-Kultur. Durch DJs und Künstler wie David Rodigan, Mad Professor oder Sly & Robbie schafft es Dub in die Sphäre der Populärkultur.
Die schwarze Underground-Musik ist plötzlich überall sichtbar. Nicht nur in Verbindung mit Reggae. Singles erscheinen mit Dub-Mixes, in der elektronischen Musik bilden sich neue Richtungen.
Spuren bis heute
Die Spuren der Dub-Pioniere sind in der gegenwärtigen Musikkultur sichtbar. Man zähle nur einmal die Zahl der Versionen von Songs im Radio oder in Streaming-Playlists, die Versionen von etwas bereits Erschienenem sind, oder achte auf „Dub“-geprägte Beats in Hip-Hop-Tracks.
„Dub-Konferenz“ wagt auch einen kritischen Blick auf diese Adaptionen des Dub und streift dabei auch (dauer-)aktuelle Debatten von Themen wie kultureller Aneignung.
Viel Leidenschaft habe ihn durch das Buchprojekt getragen, sagt Helmut Philipps. Die ersten Reaktionen auf die Veröffentlichung bestätigen ihn darin, dass sich der Einsatz gelohnt hat.
Auf einer Tagung der deutsch-jamaikanischen Gesellschaft überreichte er ein Exemplar einer Vertreterin der jamaikanischen Botschaft. Er wird das Buch auf mehreren Leseterminen präsentieren. Einer davon: am 14. Dezember im Plattenladen Black Plastic, Rheinische Straße 31 (Beginn 20.30 Uhr, Eintritt frei).
Dortmunder Experte
Dass sich ein Dortmunder mit karibischer Soundkultur überrascht auf den ersten Blick. In Helmut Philipps aber nicht. Denn er hat eine Geschichte und eine gewisse Expertise in diesem „Fach“.
Er war Teil einer kleinen, aber intensiven Reggae-Bewegung, die Ende der 1980er-Jahre auch in Dortmund ankam. Als Soundtechniker Teil war er Teil eines besonderen Ereignisses, als bei einem Weltjugendtreffen zum ersten Mal überhaupt eine deutsche Reggae-Band in Kingston auf Jamaika auftrat.
Mit Natty U erfolgreich
„Alle in der Stadt wussten, wer wir waren“, sagt er. Zeitungen berichteten in großen Artikeln über die seltsame Erscheinung von weißen Reggae-Musikern vor der Universität von der jamaikanischen Hauptstadt.
Vor 15 Jahren veröffentlichte er eine große Übersicht zu „Reggae in Deutschland“. Sechs Jahre lang produzierte er in den 1990er-Jahren gemeinsam mit dem Dortmunder Sänger Natty U, bürgerlich Ulrich Schmidt-Salm, an Reggae-Musik. Gemeinsam erlebten sie „eine extrem erfolgreiche Zeit“ mit vielen Konzerten und TV-Übertragungen, wie er im Rückblick sagt.
Bis heute sprechen viele Dortmunder Musikerinnen und Musiker aus dieser Zeit mit großer Anerkennung über Natty U, der 2005 im Alter von 49 Jahren starb.
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