
© Hans Blossey
Dortmunder retten eines der beliebtesten Bauwerke des Ruhrgebiets vor Verfall
Fast 120 Meter hoch
Zwei Jahre lang wurde der Gasometer Oberhausen aufwendig saniert. Nun wird der Betrieb wieder aufgenommen. Eine zentrale Rolle hatte dabei ein Dortmunder Architekturbüro.
Erfahrung ist viel wert. Und Erfahrung mit alten Industriebauten und besonderen Denkmälern hat man im Architekturbüro Lindner Lohse. Das Dortmunder Architekten-Team hat etwa schon die Sanierung und den Umbau der Rohrmeisterei in Schwerte oder des Hauses Opherdicke in Holzwickede geplant.
Doch das letzte betreute Werk stellt im wahren Wortsinn alles in den Schatten: Das Büro mit Sitz an der B1 in Dortmund hatte die Federführung bei der gerade abgeschlossenen Sanierung des Gasometers Oberhausen.
Fast 100 Jahre altes Bauwerk
Das Industriedenkmal ist mit 117,5 Metern Höhe eines der bekanntesten Wahrzeichen des Ruhrgebiets und seit 1994 als höchste Ausstellungs- und Veranstaltungshalle Europas in der „Neuen Mitte Oberhausen“ ein echter Besuchermagnet.
Doch wie an vielen Industrierelikten nagte auch an dem von 1927 bis 1929 gebauten Koloss der Zahn der Zeit. Deshalb wurde Ende 2018 die denkmalgerechte Komplettsanierung ausgeschrieben, mit der das filigrane Tragwerk und die Metallhülle aus genieteten Blechen aufgearbeitet und für mindestens 30 Jahre vor weiteren Schäden bewahrt bleiben sollen.

Aus dem 3D-Drucker kommt dieses Modell des Gasometers im Büro von Lindner Lohse Architekten, hier mit Harald Lindner und David Auerbach. © Oliver Volmerich
Auch wenn es keine klassische Architektenaufgabe war, bewarb sich das Büro Lindner Lohse - und überzeugte im Verhandlungsverfahren mit seinem Konzept. „Wir fanden den Gasometer schon immer klasse“, erklärt Harald Lindner das Interesse. Doch die Aufgabe war gewaltig. „Wir haben allein 10.000 Fotos gemacht, um die Schäden zu dokumentieren“, erzählt der Architekt.
Abstimmung mit Denkmalschützern
Je nach Himmelsrichtung waren die Korrosionsschäden an der Außenhaut unterschiedlich groß, ergänzt David Auerbach als Projektleiter. Vor allem die Wetterseite hatte gelitten. Das Schadensbild wurde mit unterschiedlichen farblichen Markierungen festgehalten, der Sanierungsaufwand individuell festgelegt. Jedes der 3216 Metallbleche, jede der eineinhalb Millionen Nieten, die den Bau zusammenhalten, wurde erfasst.

Ein Riesenkran und Industriekletterer kamen bei der Sanierung zum Einsatz. Die rostigen Stellen an der Außenhaut zeigen, wie groß die Schäden am Gasometer waren. © Carsten Walden
„Es war ein Wahnsinnsaufwand, das mit den Denkmalschützern abzustimmen“, berichtet Harald Lindner. Doch die Zusammenarbeit mit den Behörden, der Gasometer Oberhausen GmbH als Bauherr und den Fachleuten vor Ort sei sehr gut gelaufen. „Das hat richtig Spaß gemacht“, bilanziert Lindner.
Im März 2019 begannen die Planungen, im November desselben Jahres nach dem Abbau der letzten Ausstellung die Sanierungsarbeiten, für die das Büro Lindner Lohse die Bauleitung übernahm. Und es gab viel zu leiten und zu koordinieren. „Zeitweise haben bis zu 100 Leute vor Ort gearbeitet, in Spitzenzeiten rund um die Uhr im Drei-Schicht-Betrieb und auch an den Wochenenden“, berichtet Auerbach.

Eine spektakuläre Ansicht bot der luftdicht verhüllte Gasometer während der Sanierungsarbeiten. © www.blossey.eu
Ein Problem: Die Außenhaut des Gasometers war über die Jahrzehnte immer wieder überstrichen worden. Die einzelnen Farbschichten und ihr Zustand wurden alle einzeln untersucht. „Am Ende mussten 16 Farbschichten abgetragen werden“, berichtet Lindner. Und das unter großem Aufwand. Denn die Bleimennige, die als Korrosionsschutz genutzt worden war, ist giftig.
Arbeiten unter Vollschutz
Die Folge: Das aufgebaute 1000 Tonnen schwere Gerüst, das auf 30.000 Quadratmetern den gesamten Gasometer umgab, musste von einer luftdichten Hülle umschlossen werden. Die Arbeiten zum Abstrahlen der Außenhaut fanden „eingehaust“ und unter Unterdruck statt. Die Arbeiter steckten in Vollschutzanzügen. Der Staub wurde aufgefangen und als Sondermüll entsorgt - insgesamt 3500 Tonnen „Strahlschutt“.

Unter Vollschutz und hinter einer dichten Abdeckung liefen die Sanierungsarbeiten am Gasometer Oberhausen. © Gasometer Oberhausen GmbH
In enger Abstimmung mit den Denkmalschützern wurden schließlich vier neue Farbschichten aufgetragen. Die neue Farbmischung – ein grauer Grundton mit einer oxydrötlichen Einfärbung – orientiert sich am Originalfarbton, der 1949 beim Wiederaufbau des Gasometers verwendet wurde. Dazu kommt Eisenglimmer für den Korrosionsschutz. Er lässt den Gasometer bei tiefstehender Sonne jetzt richtig glänzen.
„Eine Wahnsinns-Materialschlacht“
Eine besondere Lösung musste für das Dach des Gasometers gefunden werden. Es wurde von außen mit einem Saugroboter bearbeitet. Für die Innenseite - also die Decke des riesigen Ausstellungsraums - wurde eine an Traversen und Stahlseilen hängende Arbeitsbühne konstruiert, die je nach Arbeitsfortschritt passend zu den 24 Achsen des Bauwerks gedreht werden konnte. „Es war eine Wahnsinns-Materialschlacht“, sagt Harald Lindner.

Von einer schwebenden und drehbaren Arbeitsbühne wurde die Decke des Gasometers bearbeitet. © David Auerbach
Und alles stand unter Zeitdruck, nicht zuletzt, weil die am Ende rund 18,5 Millionen Euro teure Sanierung mit öffentlichen Fördermitteln gestemmt wurde. Im Frühjahr 2021 sollte der Gasometer bereit für die nächste Ausstellung sein. „Das war extrem sportlich“, stellt David Auerbach fest.
Neue Ausstellung vor dem Start
Ganz gehalten werden konnte der Terminplan nicht - vor allem, weil zuletzt die Reinigung des Bauwerks von den feinsten Staubresten sehr zeitaufwendig war. „Das war nicht schneller machbar“, bedauert David Auerbach.
Doch inzwischen ist das letzte Gerüstteil ab- und die Ausstellung im Inneren aufgebaut. Die Lindner-Lohse-Mitarbeiter Judith Klaas und Daniel Seel, die dauerhaft vor Ort waren, konnten Anfang dieser Woche ihr Baubüro schließen.

Mit großem Aufwand musste das Innenleben des Gasometers nach den Sanierungsarbeiten gereinigt werden. © Gasometer Oberhausen GmbH
Jetzt glänzt der Gasometer wieder als Wahrzeichen für die Industriekultur im Ruhrgebiet und kann erneut Besucher anziehen. Die neue spektakuläre Ausstellung heißt „Das zerbrechliche Paradies“. Im Gegensatz zur vom Klimawandel bedrohten Natur der Erde, die im Mittelpunkt der neuen Ausstellung steht, ist der Gasometer als „zerbrechlicher Riese“ auch dank der Hilfe des Büros Lindner Lohse zumindest vorerst gerettet.
Oliver Volmerich, Jahrgang 1966, Ur-Dortmunder, Bergmannssohn, Diplom-Journalist, Buchautor und seit 1994 Redakteur in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten. Hier kümmert er sich vor allem um Kommunalpolitik, Stadtplanung, Stadtgeschichte und vieles andere, was die Stadt bewegt.
