Dass Bruno Knust auf eine Bühne gehört, zeigte sich bereits, als er noch im Kindergarten war. Er sei damals für die Märchen besetzt worden, als Zauberer oder Geist. „Das lag an der tiefen Stimme.“ Heute dröhnt diese tiefe, raue Stimme von der kleinen Bühne des Theaters Olpketal in Dortmund hinauf in den Zuschauerraum. Aus den Märchen indes sind zahllose Comedy-Programme geworden, mit denen Knusts alter Ego Günna seine Gäste unterhält.
Die lachen Tränen, johlen, jauchzen, die Hände stets zum Applaus bereit erhoben, wenn der Dortmunder seine derben Witze erzählt. „Homeoffice ist zum 1. September abgeschafft worden. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist zu Hause nämlich viel schlimmer als in der Firma. Du hast weniger Auswahl, aber mehr Möglichkeiten.“
Gags wie diesen trägt der Mann mit dem kantigen Gesicht und dem braunen Bürstenschnitt mit einer Sachlichkeit vor, die an Zynismus grenzt. Das nimmt man ihm aber nicht übel, denn wenn Knust etwas sagt, passiert das meist mit einem Augenzwinkern. „Der Dortmunder hat einen guten Hauswitz. Er kommentiert zwar alles, nimmt es aber nicht so ernst.“
„Ich bin der Ochse, der den Karren zieht“
Mit seiner Show „Born to be vorn“ hat Knust nun seine letzte Saison im Theater Olpketal eröffnet. Im Sommer 2025 schließt er – nach 35 Jahren. Für Außenstehende mag dieser Schritt überraschend sein, der Kabarettist aber hat ihn sich gut überlegt. Das Theater zu betreiben, sei in den vergangenen Jahren zunehmend schwierig geworden: Auf Pandemie und Berufsverbot folgten erhöhte Sicherheitsauflagen zum Schutz vor Corona. Dann trieb der russische Angriffskrieg die Energiepreise in die Höhe.
„Wir haben das alles überstanden, konnten das Personal halten“, sagt Knust. „Aber wer weiß, was noch kommt?“ Jetzt, im Alter von 70 Jahren, sei diese Frage drängender als früher, vor allem, da Knust sein Theater nur mit Einnahmen aus Ticketverkäufen und Werbepartnerschaften finanziert. „Ich bin der Ochse, der den Karren zieht – die Möhre vor der Nase. Ich muss aber nur einmal krank werden. Dann kommt ein Stein ins Rollen, den ich nicht aufhalten kann.“
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Deshalb hat er entschieden, das Theater aufzugeben. Selbstbestimmt, wie er sagt. „Mir ist es lieber, ein Jahr lang nochmal richtig Gas zu geben und dann bei voller Beleuchtung vorne rauszugehen, als hinten abschließen zu müssen.“ Was danach aus dem Haus an der Olpketalstraße 90 wird, steht noch nicht fest. Sicher ist aber, dass Knust als Kabarettist weitermacht, auf der Kokerei Hansa zum Beispiel.
Wenn man ihn genau betrachtet, war Bruno Knusts Weg vorgezeichnet. Der Dortmunder entstammt einer Familie kreativer Menschen. Ein Großvater war Bildhauer, der Vater Kunstschlosser, die Mutter Textildesignerin, die Tante Drechslerin. „Alles so halb- oder vollkünstlerische Berufe, in denen sie aber nichts verdienen konnten. Also haben sie was anderes gemacht.“ So wurde Vater Carl-Erich Brückenbaumeister. Mit 39 Jahren starb er bei einem Arbeitsunfall. Knust war damals neun Jahre alt.
Er und seine Geschwister wuchsen in Eving auf, in der Dogewo-Siedlung an der Württemberger Straße gleich beim Hallenbad. 1956 zog die Familie vom Borsigplatz dorthin. Die Wohnung maß gut 70 Quadratmeter, das Badezimmer bauten die Eltern noch selbst ein. Sechs Parteien wohnten in dem Haus. „Das war eine wilde Mischung – von Alkoholikern bis Knackis. Und das Regulative auf der Straße: Wenn ich als Kind Streit mit jemandem hatte, gab’s ne Klatsche. Dann hat der andere seinen großen Bruder geholt. Der hat mich gehauen. Und mein großer Bruder, der hat dann den anderen gehauen.“

Trotzdem erscheint das Leben der Familie Knust vergleichsweise bürgerlich. „Da meine Eltern nicht bei Hoesch gearbeitet haben oder auf der Zeche, war es für uns in der Siedlung einfacher, andere Schulen zu besuchen“, erklärt Knust. „Sonst hieß es ja immer: Ist der Vatta auffer Zeche, geht das Kind auch und muss früher ausse Schule raus.“
Bruno indes verbrachte seine Zeit am liebsten im Theater. In der Schule – „Da war ich ohne Casting immer gleich besetzt.“ – und später im Fritz-Henßler-Haus. Mit 14 Jahren machte er bei einem Theater-Workshop mit. „Das war die Zeit der 68er-Studenten. Die waren alle in dem Kurs und wollten politisches Kabarett machen.“ Und Bruno machte mit, als jüngster von ihnen.
Texte auswendig zu lernen, das war schon damals nichts für ihn. „Ich habe frei wiedergegeben, was ich noch zu wissen meinte. Bei den ernsthaften Studenten kam das nicht gut an.“ Dafür beim Publikum. „Auf einmal war ich der Joker, der machen durfte, was er wollte. Also habe ich alles verkürzt. Damals war das auch schon mit Ruhrpott, zumindest andeutungsweise.“ Bald spielte die Gruppe in ganz Deutschland. Bis Bruno in der Schule sitzenblieb und er aussteigen musste. Das war die Vereinbarung mit seiner Mutter.
In Ostholstein fand er eine Schule fürs Leben
Fürs Kabarett braucht es Talent. Ohne Handwerk geht es aber nicht. Knusts Werkzeug auf der Bühne ist Ruhrdeutsch, der Dialekt aus dem Pott. „Das ist die harte Betonung, die Buchstaben, die wir verschlucken, die Begriffe, die die Ruhrpolen miteingebracht haben. Und alles immer kurz und knapp, sodass man es bei der Lautstärke unter Tage noch verstehen konnte. ‚Gib ma Hamma!‘ zum Beispiel.“
Sich dessen bewusst wurde der Kabarettist aber nicht in Dortmund, sondern in Bad Malente. Um sich die Zeit bis zum Studium zu vertreiben – Knust hatte sich für Sozialpädagogik an der FH eingeschrieben –, besuchte er seinen Großvater, der in dem ostholsteinischen Kurort den Fremdenverkehrsführer machte. Knust jobbte unter anderem im Hotel am Kellersee, wo er auf zahllose Menschen aus dem Ruhrgebiet traf.
„Die waren dort alle zur Kur, haben sich nur mit Städtenamen angesprochen: ‚Mülheim, komm ma rüber.‘ Das habe ich später alles mit auf die Bühne genommen.“ Knusts Zeit in Malente war eine Schule. „Ich habe dort unheimlich viel gelernt, vor allem für die Bühne: mit Menschen umzugehen, zu improvisieren. Als wir im Winter wenig zu tun hatten, haben wir Rollenspiele gemacht.“
Anderthalb Jahre blieb Knust in Malente. Zurück in Dortmund hatte er seinen Heimatdialekt beinahe verloren. „Ich habe die Sprache ganz anders gehört und dadurch, glaube ich, dieses Fingerspitzengefühl entwickelt.“

Das setzte er schon bald wieder auf der Bühne ein. Es folgten zahlreiche Auftritte, im Fernsehen oder auf der Bühne, mit seiner Stimme oder als Puppenspieler. Als solcher machte er sich bald selbstständig. Das Studium wurde schnell zur Nebensache. Aber es schien, als hätte Knust seinen Beruf ohnehin bereits gefunden.
Ob er ein Künstler sei. „Nein, ich lache mich immer kaputt, wenn Kollegen von sich als Künstler sprechen“, sagt Knust und schnaubt. „Andere können mich als Künstler bezeichnen. Aber ich selbst? Ich bin einer, der mit viel Glück das, was er einigermaßen beherrscht, zu seinem Beruf machen konnte. Ob das jetzt eine Kunst ist? Eine Lebenskunst vielleicht. Ich weiß es nicht.“
Günnas erster Auftritt auf dem Alten Markt in Dortmund
Ins Theater Olpketal kam Knust 1978, als das Haus noch ein Ausflugslokal war. „Zum Erlenkrug“ hieß es und hatte geschlossen. Die Betreiberin sei krank gewesen, erzählt Knust. Er aber hätte das Hinterzimmer als Büro und Lager nutzen dürfen, unter anderem für seine Puppen.
Seine wichtigste Puppe bekam Knust 1989. Günna, der Kumpel aus der Zechensiedlung, machte seinen Spieler in der ganzen Stadt berühmt. Bis dahin hatte Knust Kinder- und Jugendtheater gemacht, über Drogenmissbrauch und Aids aufgeklärt.

Mutter Anneliese hatte die Puppe gebaut. „Im Grunde war das ihr Lebensgefährte als Puppe. Mit den Locken und der Mütze die Persiflage eines Dortmunders“, erzählt Knust und wirkt dabei nachdenklich. Für ihn ist Günna mehr als nur ein Werkzeug. Drei von ihm hat er inzwischen, eine hat er dem Deutschen Museum in Bonn geliehen für eine Ausstellung übers Ruhrgebiet. „Es gibt wenige Puppen, die richtig leben, wenn man die Hand in sie steckt. Aber die lebt, auch ohne Stimme, nur mit der Mimik. Die ist richtig da.“
Seine Stimme bekam Günna, als Knust mit ihm auf dem Alten Markt auftrat. Damals wurde das Dortmunder Lokalfunkprojekt eingestellt und Knust moderierte als Günna eine Protestaktion. „Das war seine Geburtsstunde.“
1989 war für Knust ein entscheidendes Jahr: Er mietete den „Erlenkrug“ an, baute das Ausflugslokal um und eröffnete es schließlich als Theater Olpketal. Den charakteristischen Tresen aus dunklem Holz und die schwarzweißen Fliesen findet man dort heute noch im Foyer.
Seine drei Kinder wuchsen hier quasi auf. Tochter Nicoletta (37) leitet das Theater mittlerweile. Was sie machen wird, nachdem das Theater geschlossen hat, weiß sie noch nicht. Sie habe verschiedene Angebote, sagt die gelernte Luftverkehrskauffrau. Sie sei aber noch nicht dazu gekommen, sich für eines zu entscheiden. Vater Bruno ist sich sicher: „Nicoletta wird auf beide Beine fallen.“

Wenn der Kabarettist zu Hause vor rund 200 Zuschauern spielt, ist es fast immer ausverkauft. Bundesweit bekannte Comedians stehen regelmäßig in Lücklemberg bei Knust auf der Bühne, Torsten Sträter zum Beispiel. „Viele fragen mich, warum ich nicht größere Tourneen gemacht habe. Da kann ich nur sagen: Ich habe jeden Mittag mit meinen Kindern am Tisch gesessen, habe gesehen, wie sie aufgewachsen sind. Das ist etwas Schönes. Ich bin zufrieden.“
Dazu hat er allen Grund. Für Knusts Karriere schien es ab den 90er Jahren nur eine Richtung zu geben – bergauf. Es folgten Kooperationen mit dem WDR, ran, Premiere, um nur einige Fernsehsender zu nennen. Für Sat. 1 war Günna zeitweise als Bundesliga-Spezialreporter im Einsatz. Knust selbst machte 1991 und 1992 den Sprecher für Borussia Dortmund im Westfalenstadion.
„Wir sind kein Oberzentrum mehr“
In jener Zeit schrieb er auch seine ersten Kolumnen für diese Redaktion. Seither lässt Günna sich jeden Samstag über das Stadtgeschehen aus. Dass Dortmund ihm wichtig ist, merkt man schnell, wenn man sich mit Knust unterhält. Die Stadt ist ständig Thema. Die unzähligen Baustellen, die mangelnden Möglichkeiten, abends in der City auszugehen – all das beschäftigt Knust.
„Da gibt es viel Stümperei. Als Dortmunder habe ich damit große Probleme. So wie ich groß geworden bin, hatten wir Dortmunder immer eine breite Brust, weil wir das Oberzentrum waren. Wir sind kein Oberzentrum mehr. Das stört mich.“ Knust ist nicht nur Kabarettist, er ist Lokalpatriot.
Auch deshalb sind er und Günna vermutlich kaum zu trennen. Da ihn damals ohnehin viele mit dem Namen seiner Puppe angesprochen hätten – und es noch heute tun –, entwickelte Knust die Figur einfach weiter, vermenschlichte sie. Der andere Günna entstand, Knusts Alter Ego, mit dem er auch in dieser letzten Saison auftritt und in dem so viel von ihm selbst steckt.
„Das ist im Grunde das, was jeden Menschen im Ruhrgebiet ausmacht“, erklärt er. „Eine gewisse Offenheit, das Herz auf der Zunge zu tragen, nicht drumherum zu eiern, auch mal anzuecken und böse zu sein. Aber nie so böse, dass man sich hinterher nicht mehr in die Augen gucken kann.“