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Dortmunder Familie wütend: „Viele reden sich ihre Corona-Auszeiten schön“
Verstöße gegen Corona-Regeln
Seit Beginn der Corona-Pandemie hält sich Familie Jäger aus Dortmund an alle Regeln. Im Gegensatz zu vielen anderen. Dieser Konflikt hat sie viele Freunde gekostet - und macht sie wütend.
Man werde einander viel verzeihen müssen - dieser Satz von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ist Sabrina Jäger im Gedächtnis geblieben. „Wir sind an dem Punkt: Wir können vielen Leuten gar nicht mehr verzeihen.“ Die Dortmunderin und ihr Mann sind wütend. Und einsam. Weil sie sich strikt an alle Corona-Regeln halten - viele andere aber nicht.
„Menschlich gesehen war das vergangene Jahr eine einzige Enttäuschung - das wiegt viel schwerer als jede Corona-Einschränkung“, sagt die 38-Jährige. Was die Haltung und den Umgang mit Corona angehe, „da tun sich Gräben auf“ und die ziehen sich durch Familie und Freunde gleichermaßen. „Wir haben schon viele Freundschaften verloren.“
„Viele reden sich ihr Auszeiten von Corona schön“
Woran liegt das? Die Dortmunderin, ihr Mann und ihre beiden Kinder (2 und 5 Jahre alt) befolgen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie strikt - „zu 100 Prozent“ - weil sie es für sinnvoll erachten und aus Solidarität der Gesellschaft gegenüber. „Wütend macht uns, dass wir so viele Menschen in unserem Umfeld und sozialen Leben haben, die sich ihre Auszeiten von Corona schön reden. Da fällt so oft der Satz: ‚Wir halten uns ja sonst zu 90 Prozent an alles‘.“
Beispiele kann die Kirchhörderin reichlich liefern: Die Bekannte, die sich mit ihrem Kind zwar nachmittags nur mit einer anderen Mutter samt Kind trifft - was erlaubt ist. „Aber jeden Nachmittag mit einer anderen Familie. Dann verpufft der Effekt ja völlig.“
Oder Eltern, die ihre Kinder in die Kita oder zur Schule schicken, obwohl es die Bitte gibt, die Betreuung nur im Notfall in Anspruch zu nehmen. „Natürlich, wenn man alleinerziehend ist, arbeiten muss - dafür haben wir Verständnis.“ Aber sie kenne genügend Mütter, die wie sie selbst in Elternzeit zuhause seien. „Und die einfach nicht auf ihren freien Vormittag verzichten wollen.“
Als einzige Mutter mit Maske auf dem Spielplatz
Besonders bitter seien auch Spielplatz-Besuche. „Am Phoenix-See war ich von 15 Müttern die einzige mit Maske. Ich habe meinen Sohn kurz schaukeln lassen, aber dann gesagt, dass wir gehen müssen, weil es zu voll ist und niemand Maske trägt.“
Grundsätzlich gehe der Fünfjährige sehr gut mit der Situation um, verstehe, warum seine Eltern auf die Einhaltung der Regeln pochen. Problematisch werde es immer dann, wenn er mitbekomme, dass sich andere nicht an die Regeln halten.
Wenn der Klassenkamerad berichtet, wie er seinen Geburtstag mit sechs weiteren Kindern feierte. Oder von großen Familienfeiern erzählt, als gäbe es Corona nicht.
Ordnungsamt schon mehrmals informiert
Bei öffentlichen Regelverstößen, beispielsweise bei der Maskenpflicht auf Spielplätzen, spricht Sabrina Jäger diejenigen auch immer wieder an: „Das kommt in der Regel nicht so gut an“, sagt sie und muss selbst lachen.
Obwohl ihr das Lachen eigentlich längst vergangen ist. Denn im Grunde ist die Situation zum Verzweifeln: Wie soll man dem eigenen Kind erklären, dass es viele Dinge seit über einem Jahr nicht darf - andere das aber ignorieren? Ein Widerspruch, der immer wieder Thema ist.
Bei Verstößen scheut sich die Dortmunderin nicht, das Ordnungsamt zu informieren. Beispielsweise als sie mit einer Freundin in einem Biergarten saß, die zu dem Zeitpunkt unter Einhaltung gewisser Regeln geöffnet haben durften, sich aber niemand an Abstandsvorgaben hielt. Oder sich mehrere Familien auf einem Spielplatz aufhielten, der gesperrt war.
Freundschaften zerbrechen am Umgang mit Corona
Dieses Vorgehen spiegelt die klare Grundhaltung der Familie wider: „Für uns ist schon unverständlich, dass es zum Einhalten der Regeln überhaupt zwei Meinungen geben kann.“ Die habe schon so manche „tiefe menschliche Enttäuschung“ mit sich gebracht. „Vor zwei Jahren hätten wir nie gedacht, das wir uns mal so einsam fühlen würden.“
Mehrere Freundschaften seien schon zerbrochen: „Man zieht sich zurück, ruft nicht mehr an. Was soll ich denen auch erzählen? Dass ich mit meinen Kindern nur noch in den Wald gehe, ansonsten nichts mehr bieten kann? Die Gesprächsbasis ist einfach weg.“
Wenn man die Regeln so locker handhabe, was seien dann noch Folgen für den Alltag, fragt die Dortmunderin: „Man hat sich nur einmal mit Freunden getroffen statt dreimal? Urlaub vielleicht nur auf Malle statt auf den Malediven? Ab und zu Maske tragen - das sind dann die Einschränkungen?“
„Alles dafür tun, dass Zahlen runtergehen“
Dafür hat Sabrina Jäger null Verständnis: Schon oft habe sie in Diskussionen gehört, man brauche diese Auszeit jetzt einfach. „Ich bräuchte das auch, aber es ist eben nicht schlau.“ Leben und leben lassen, auch so würden viele argumentieren, es sei doch das persönliche Risiko des Einzelnen.
Das kann sie so nicht stehenlassen: Viele Ansteckungen gingen auf symptomlose Infizierte zurück. Und eine hohe Inzidenz sorge dafür, dass die Einschränkungen für alle nur noch länger gelten. Ganz zu schweigen von der Situation auf den Intensivstationen: „Was Ärzte und Pfleger da leisten, diese Not und das Elend.“ Wie könne man da so ignorant sein? „Vielleicht ist das Elend in den Krankenhäusern von den Leuten einfach zu weit weg.“
Ihrer Familie sind die Gefahren hingegen sehr bewusst: „Daher tun wir alles dafür, dass die Zahlen runter gehen, es zurück in den Alltag geht.“ Aber: „Wir fühlen uns wie in einem Hamsterrad: Es passiert nichts, weil alle um uns herum dagegen arbeiten.“
1983 im Münsterland geboren, seit 2010 im Ruhrpott zuhause und für die Ruhr Nachrichten unterwegs. Ich liebe es, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, Fragen zu stellen und vor allem: zuzuhören.
