Als Clubs und Kneipen in der Corona-Pandemie geschlossen waren, entwickelte sich der Dortmunder Wall zu einer Art alternativen Partnerbörse. Jedes Wochenende waren junge Leute - viele in aufgemotzten Autos - auf dem Wall unterwegs, um zu flirten. Wagen, die mit 30 Kilometern pro Stunde nebeneinander fahren, und aus denen sich Menschen bei heruntergelassenen Fensterscheiben unterhielten - keine Seltenheit. Das Phänomen bekam das Label „Blechtinder“ - angelehnt an die bekannte Online-Dating-Plattform.
Inzwischen sind die Corona-Beschränkungen passé, die Clubs wieder geöffnet. Die Raser- und Tuning-Szene ist zwar weiterhin aktiv. Zu dieser gehörten auch noch immer Treffen auf dem Wall, heißt es von der Polizei Dortmund. Die Situation mit dem „Blechtindern“ auf der Straße sei aber längst nicht mehr so extrem wie in der Pandemie.
2018 ging es schon los
Auf Instagram lebt das Phänomen gleichwohl weiter, wie ein Blick auf die Instagram-Seite „dortmundwall“ zeigt. Dieser folgen 20.300 Nutzer, 4792 Beiträge sind bislang (Stand 19.1., 18 Uhr) erschienen. Die Seite besteht im Grunde aus Fotos, Videos und Nachrichten, die Nutzer den Administratoren senden und dann von diesen veröffentlicht werden.

Der erste Beitrag erschien im März 2018 - ein Foto eines Seat, der gerade gewaschen wird. Das Instagram-Profil des Besitzers liefert das Posting gleich mit. Bis zum Herbst 2018 wurden vor allem Fotos und Videos veröffentlicht, auf denen Autos und Autofahrten zu sehen sind. Der erste „Spotting“-Beitrag erschien im Oktober. Das Wort bedeutet nicht, dass jemand verspottet wird. „Spotting“ steht dafür, jemanden in den sozialen Netzwerken ausfindig zu machen.
Nicht nur auf dem Wall
„Ich such die 2 Mädels, die um 0.10 am hbf waren bei mcs essen.“ Das steht in dem ersten „Spotting“-Beitrag, den die Administratoren der Seite auf Bitten eines Nutzers veröffentlicht haben. In der Kommentarspalte kann jeder helfen, der einen Kontakt zwischen Suchendem und Gesuchten vermitteln könnte. Oder die jeweils gesuchte Person wird selbst auf den Beitrag aufmerksam und meldet sich bei den Administratoren, die einen Kontakt herstellen.
Letzteres sei schon häufig vorgekommen, berichten die Administratoren der Seite auf Nachfrage. Sie verwalten die Seite zu dritt. Ihnen gefiel die Idee hinter den Spotting-Beiträgen. Schließlich könne man, wenn man jemanden aus dem Auto heraus gesehen hat, diese Person nicht immer gleich ansprechen. Und manche seien eben auch zu schüchtern, um den ersten Schritt zu machen.
Nach besagtem Premieren-Posting tauchten häufiger Spotting-Beiträge auf, mischten sich mit Fotos von Autos - bereits im Jahr 2018, also lange vor Beginn der Pandemie. Während Corona machte das „Blechtindern“ den Wall als alternative Partnerbörse allerdings bekannter. Und auf der Instagram-Seite „dortmundwall“ mehrten sich die Spotting-Beiträge. Heute machen diese den mit Abstand größten Anteil der Postings aus.
Die Administratoren berichten von vielen Dankes-Nachrichten, die sie von Menschen bekommen hätten, die dank der Kontaktvermittlung über die Instagram-Seite eine Beziehung eingehen konnten. "Es kam sogar so weit, dass viele, die sich dort kennenlernten, auch heirateten."
Die Seite sei inzwischen so beliebt, dass auf dem Account täglich 20-30 Anfragen für Spotting-Beiträge eingingen, so die Administratoren. An Wochenenden seien es sogar 50 Anfragen pro Tag. Viele Anfragen müsse man aber auch aussortieren, da diese beispielsweise von Fake-Accounts versendet würden oder der Grund für den Suchaufruf nicht genannt werde. Manchmal werden die Administratoren auch von Gesuchten gebeten, die Beiträge wieder zu löschen, weil diese bereits vergeben sind.

Das „Spotting“ beschränkt sich längst nicht nur auf den Wall. In einem der jüngsten Beiträge sucht ein Nutzer beispielsweise eine weibliche Person, die er in einem Dortmunder Restaurant gesehen hatte. Die meisten Postings beziehen sich jedoch auf gesuchte Autos mit Angabe des Kennzeichens beziehungsweise die Menschen, die drinnen gesessen haben.
Männer suchen häufiger
Manche Beiträge bestechen durch einen (unfreiwillig) komödiantischen Duktus. Ein Nutzer sehnt sich beispielsweise nach der Fahrerin eines luxuriösen Mercedes. „Wallah die Fahrerin [...] Wäre sie Baklava, würde ich sie essen wollen“, heißt es in dem Suchaufruf. Der Nutzer offenbart sogar, dass ihn die Gedanken an die schöne Mercedes-Fahrerin vom Schlafen abhalten. Ein anderer Nutzer schwärmt von einer jungen Frau, die er in einem Auto mit UN-Kennzeichen gesehen hatte: „Sie hat mich mies angeguckt.“
Die meisten Spotting-Anfragen stammen offensichtlich von Männern. Es gibt aber auch Frauen, die mit solchen Beiträgen auf der Seite nach ihrem Schwarm suchen.
Das Konzept ist so beliebt, dass es auf Instagram längst Dortmunder Nachahmer gibt. Weitere Seiten aus der Stadt, die sich Spotting-Beiträgen widmen, sind beispielsweise „dortmunder_wall“, „walldortmund“ und „dortmunderwallspotting“. Keine dieser Seiten verfügt jedoch über eine so große Reichweite wie das Original.
Auf den Erfolg der Seite sind die Administratoren sehr stolz, wie sie betonen. "Wir haben nie damit gerechnet, dass die Seite so bekannt wird. Mittlerweile sind es fünf Jahre und wir sind immer noch dabei."
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