Dortmunder Arzt verschreibt Schwerkranken Cannabis „Es sollte weiter eine Droge bleiben“

Cannabis für Schwerkranke: „Es sollte weiter eine Droge bleiben“
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Ein Arzt am Phoenix-See verschreibt Cannabis auf Rezept. Der Hals-Nasen-Ohren-Arzt Dr. Martin Lehmann kooperiert mit einem Unternehmen namens „Canify Clinics“. Er hat sich in der Cannabinoid-Therapie spezialisiert.

Das „Canify“-Schild ergänzt jetzt die Infos an der Eingangstür seiner HNO-Praxis, die weiterhin sein Hauptbetätigungsfeld bleiben wird.

Kein schnelles Kiffer-Rezept

Allen Freizeit-Kiffern, die jetzt an den Rechner stürzen, um sich anzumelden, sei gesagt: Sie sind hier an der falschen Adresse. Denn es geht um die Behandlung von schwerkranken Patienten.

Darum, so Martin Lehmann, „ihre Lebensqualität zu verbessern“.

Vielen könnten die Wirkstoffe THC und CBD helfen, die in der Cannabis-Pflanze enthalten sind. „Sie docken an viele Rezeptoren an, wirken dadurch unter anderem auf Muskulatur und Gehirn“, sagt der Dortmunder Arzt.

Schmerzen und Ängste lindern

Das kann Schmerzen lindern und Angst lösen. Ein Anwendungsfeld seien etwa Personen mit chronischen Erkrankungen wie Multipler Sklerose. Eingesetzt wird die Behandlung auch bei Chemotherapie-Patienten oder bei Tumorschmerzen.

Anwendbar sei sie aber auch bei Personen mit einem Tinnitus oder bei Angstpatienten. Anlass, sich dem Thema zu widmen, war für Lehmann eine Krankengeschichte in der eigenen Familie.

Dritte Praxis in Deutschland

Seine Schwiegermutter war nach einer Rücken-OP lange nicht belastbar. Medizinisch verschriebenes Cannabis habe der Anfang 60-Jährigen geholfen, wieder mobiler zu werden.

Lehmann befasste sich tiefergehend mit den medizinischen Möglichkeiten. Er entschied sich für eine Zusammenarbeit mit „Canify Clinics“. Das Unternehmen hat bisher zwei Praxen am Heimatstandort Ludwigshafen und in Berlin.

Behandlung ist kostenpflichtig

„Es muss ganz genau von Patient zu Patient geschaut werden, was der richtige therapeutische Ansatz ist“, sagt der Mediziner. „Aktuell ist es immer nur eine Ergänzung oder eine Möglichkeit nach Versagen der Standardbehandlungen.“

Die ärztliche Beratung über „Canify Clinics“ ist kostenpflichtig (99 Euro bei Neuaufnahme, 89 Euro für die Folgebehandlung). Die Übernahme von Kosten durch gesetzliche Krankenkassen hat viele Hürden.

Die medizinische Wirkung von Stoffen, die in der Cannabis-Pflanze enthalten sind, ist schon vor über 2000 Jahren als wirksam beschrieben worden. Lange ist Cannabis in der Schulmedizin eingesetzt worden - bis es als Rauschmittel Verbreitung fand.

In Deutschland stehen Besitz, Erwerb und Handel unter Strafe.

Gesetz seit 2017

Das Gesetz „Cannabis als Medizin“ macht es seit 2017 möglich, dass Ärztinnen und Ärzte Cannabis als Medizin unter bestimmten Voraussetzungen auf einem Betäubungsmittelrezept verordnen können.

„Das ist vom Freizeitkonsum ganz klar abzugrenzen“, sagt Martin Lehmann. „Es geht hier um ganz andere Mengen. Ein Freizeitkonsument nimmt für einen Rausch Mengen zu sich, die wir für einen Monat verschreiben. Was er als Rausch empfindet, ist für uns eine unerwünschte Nebenwirkung.“

Die Ampel-Koalition hat klar definiert, Cannabis legalisieren zu wollen. Dies soll in Kürze in Gesetzesform gebracht werden.

Der Ausgang der Debatte darüber scheint offen. Unter anderem werden von Kritikern einer Legalisierung EU-rechtliche, aber auch suchtmedizinische Bedenken ins Feld geführt.

Debatte über Legalisierung

Dortmunds erster Cannabis-Mediziner sagt dazu: „Es sollte weiter eine Droge bleiben. Es kann bei vielen funktionieren. Aber es bleibt Einstieg und Kontakt in ein bestimmtes Milieu.“

Deshalb und wegen der psychischen Abhängigkeit, die Cannabis-Konsum auslösen kann, hält er eine komplette Freigabe „für ein schwieriges Thema“.

Dennoch wirkt sich die Wahrnehmung als illegale Droge auch auf das Leben der medizinisch indizierten Cannabis-Patienten aus.

Einige seien unsicher, wenn sie mit einem verbotenen THC-Öl unterwegs seien. Andere scheuten sich, in der Öffentlichkeit zu ihrer über einen Verdampfer verabreichten Medikation zu greifen wie andere zur Tablette.

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