Mit dem elektronischen Rezept (E-Rezept) soll die Digitalisierung des Gesundheitswesens einen weiteren Schritt vorankommen. Was Patienten für das E-Rezept benötigen, ist die elektronische Gesundheitskarte. Es kann auch eine App auf dem Smartphone genutzt werden, die erfordert aber eine aufwändige, mehrstufige Anmeldung.
Seit dem 1. Juli ist das Verschreiben eines Medikaments per E-Rezept möglich. So soll das Verordnen von Medikamenten bei Videosprechstunden oder die Abwicklung von Folgerezepten vereinfacht werden. „Insgesamt wird der Medikationsprozess dadurch sicherer, da Missverständnisse bei der Ausstellung eines handgeschriebenen Rezepts vermieden werden“, heißt es seitens der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen Lippe (KVWL) außerdem.
„Das E-Rezept ist endlich alltagstauglich“, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Patienten könnten nun in den Apotheken ganz einfach mit ihrer Versichertenkarte ihr Rezept abrufen lassen. „Bis Ende Juli“, so ließ sich der Minister zitieren, „werden voraussichtlich schon 80 Prozent der Apotheken in Deutschland an das System angeschlossen sein. Wenn die Patienten ihre Versichertenkarte in den Apotheken in die Lesegeräte einstecken, liegt das E-Rezept dann bereits in der Datenbank vor. Es geht jetzt mit der Digitalisierung los.“
„Der Schlüssel zum Rezept“
Herzstück dieser Digitalisierung ist die Versichertenkarte der gesetzlichen Krankenkassen mit dem Chip und dem NFC-Zeichen für eine drahtlose Übertragungstechnik.
„Diese elektronische Gesundheitskarte, wie sie die Krankenkassen in den vergangenen Jahren eigentlich an alle Versicherten ausgegeben haben sollten, ist für die Apothekerin oder den Apotheker der Schlüssel zum Rezept“, sagt Hautarzt Dr. Max Tischler.
Er hat im Kaiserquartier in der östlichen Innenstadt seine Praxis gerade neu eröffnet und setzt auf das E-Rezept: „Es vereinfacht zum Beispiel das Verordnen von Medikamenten bei digitalen Sprechstunden oder die Abwicklung von Folgerezepten. Wenn etwa eine verschriebene Cortison-Creme nach zwei Wochen aufgebraucht ist und weiter benötigt wird oder auch ein anderes Medikament notwendig ist, kann ich das E-Rezept auf dem E-Rezept-Server hinterlegen und der Patient kann mit seiner Gesundheitskarte in der Apotheke seine Identität nachweisen und bekommt das Medikament ausgehändigt.“ Dr. Max Tischler betont, dass das Rezept nicht auf der Gesundheitskarte gespeichert wird.
In ein Lesegerät
„Für mich ist das eine super Sache“, sagt sein Patient Enis Duka. Der 23-Jährige bekommt von ihm gerade zum ersten Mal ein E-Rezept - und ist begeistert. „Ich hatte mal die Situation, dass ich ein verschriebenes Medikament mit einer anderen Dosierung brauchte. Da musste ich dann nur für ein neues Rezept einen Termin machen und extra nochmal zu der Praxis fahren. Wenn das nun nicht mehr nötig ist, spart mir das viel Zeit und Wege. Ich finde es mega“, sagt Enis Duka.
Ohne den althergebrachten, rosafarbenen Zettel verlässt er die Praxis von Dr. Tischler und geht nur wenige Schritte hinüber zur Funkenburg-Apotheke. Inhaberin Susanna Bettenworth nimmt nur die Gesundheitskarte entgegen, steckt sie in ein Lesegerät und kann dann das freigegebene Rezept für Enis Duka auf dem Bildschirm sehen und die Medikamente aushändigen. „Kein Problem“, sagt Susanna Bettenworth.

So wie es hier im Kaiserquartier läuft, wo ein Arzt gerade neu eingezogen ist, der sich leidenschaftlich der Digitalisierung widmet, so läuft es in Dortmund längst nicht überall. Fragt man Dr. Prosper Rodewyk, den Sprecher der Dortmunder Ärzteschaft, wie viele E-Rezepte er denn in den ersten Juli-Tagen schon ausgestellt hat, so antwortet er: „Ich habe noch gar keins ausgestellt.“
Viel Erklärungsbedarf
Dabei schreibt der Internist Rezepte am Fließband, das E-Rezept könnte bei ihm für Entlastung sorgen, Abläufe vereinfachen und eine Menge Papier sparen. „Vormittags unterschreibe ich mitunter 200 Rezepte. Um das am Rechner zu machen, muss ich aber meine Praxisstruktur umstellen. Und ich müsste gerade meinen älteren Patienten erklären, warum sie jetzt ohne Rezept aus der Praxis gehen können und trotzdem in der Apotheke ihr Medikament erhalten. Dafür ist keine Zeit - erst recht nicht mitten in den Ferien“, sagt Dr. Prosper Rodewyk.

Er schätzt, dass es den meisten seiner Kolleginnen und Kollegen so geht. „Es ist noch eine Aufgabe im Gesundheitswesen, die Patienten zu informieren. Im Moment, denke ich, sind 90 Prozent der Praxen in Dortmund zwar E-Rezept-fähig, aber nur fünf Prozent wenden diese digitale Möglichkeit an. Das wird sich ändern, im Oktober werden wir andere Zahlen haben. Aber im Moment wird in den Apotheken noch nicht viel ankommen“, so Prosper Rodewyk.

Und damit hat er recht: „Wir Apotheken sind technisch vorbereitet und haben seit mehreren Jahren bereits die Lesegeräte. Die Zahl der E-Rezepte, die wir abrufen, ist aber auch nach dem 1. Juli immer noch verschwindend gering“, sagt Dr. Felix Tenbieg, Dortmunds Sprecher der Apothekerkammer. Selbst betreibt er die Patroklus-Apotheke in Kirchhörde. „Wir haben seit dem 1. Juli genau ein E-Rezept eingelöst“, erklärt er. Auch Susanna Bettenworth von der Funkenburg-Apotheke sagt: „Von Dr. Tischler lösen wir E-Rezepte ein, ansonsten sind es nicht viele.“
Prüfung in jedem Quartal
Bis zum Ende des Jahres wird sich das extrem ändern müssen. „Ab 1. Januar soll das E-Rezept Pflicht werden“, sagt Dr. Prosper Rodewyk. Die Krankenkasse AOK Nordwest, die ihren Sitz in Dortmund hat, wirbt für das E-Rezept. „Wir informieren in unseren Kundenzeitschriften und in den sozialen Medien. Es ist jetzt eine schöne Phase, das E-Rezept schon auszuprobieren“, sagt Sprecher Jens Kuschel.
Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Dr. Carola Reimann, erklärt: „Für unsere Versicherten ist dieser Prozess ein Fortschritt, denn er ist einfacher und komfortabler als alle bisher verfügbaren Varianten.“ Und sie sagt auch: „Allerdings funktioniert die neue Variante nur, wenn Arztpraxen und Apotheken die nötigen technischen Voraussetzungen geschaffen haben.“ Hier seien die Apotheken in der Umsetzung aktuell weiter als die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte.

So komfortabel das E-Rezept auch sein mag, eine ältere Kundin in einer Innenstadt-Apotheke weist auch auf einen Nachteil hin. „Ich kann ja selbst gar nicht mehr sehen, ob auch das Richtige verschrieben wurde, wenn das nur in Ihrem Computer auftaucht“, sagt sie.
Und wer darauf baut, dass er nun nicht mehr für jedes Folgerezept - zum Beispiel für die regelmäßige Einnahme von Bluthochdruck-Tabletten - erst zu seinem Arzt in die Praxis muss, wird weiter enttäuscht. Das ist trotz der kleinen digitalen Revolution im Gesundheitswesen noch einmal pro Quartal nötig. „Wie man digital die Identität feststellt, hätte man vor Einführung des E-Rezepts klären sollen. Das steht aber erst ab 2025 auf der Agenda. Bis dahin müssen wir pro Quartal einmal die Identität und Krankenkassen-Zugehörigkeit des Patienten prüfen“, so Dr. Max Tischler.
Noch können Patienten bei ihm auch wählen, ob sie ihr Rezept auf Papier oder elektronisch haben möchten. Bis zum Ende des Jahres aber sollten sich Ärzte, Apotheken und Patienten aber auf das E-Rezept eingestellt haben.
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