Dortmunder Anwältin vertritt Schwerstkriminelle - „Eine Mordermittlung macht mir Spaß“

© Kevin Kindel

Dortmunder Anwältin vertritt Schwerstkriminelle - „Eine Mordermittlung macht mir Spaß“

rnMörder, Vergewaltiger, Menschenhändler

Seit sechs Jahren arbeitet Dr. Arabella Pooth als Strafverteidigerin in Dortmund. Ihr Job ist es, Schwerstkriminelle rauszupauken. Und das macht sie gerne. Ein Interview.

Dortmund

, 27.12.2019, 04:30 Uhr / Lesedauer: 6 min

Mehr als einer halben Million Menschen ist Dr. Arabella Pooth bekannt geworden, als der Dortmunder Rapper 18 Karat im November vorläufig festgenommen wurde. Er berichtete seinen 590.000 Instagram-Abonnenten von einer Verletzung, die seine Mutter bei dem Polizeieinsatz erlitt und schrieb, dass Pooth die Familie vertrete.

Die Dortmunder Anwältin wirbt auf ihrer Internetseite: „Ich verteidige schwerpunktmäßig in Tötungs- und Sexualdelikten sowie im Bereich der Organisierten Kriminalität.“ Wieso sie an dieser Arbeit großen Spaß hat, erzählt die 37-Jährige jetzt im Interview.

Frau Dr. Pooth, war Ihnen von vornherein klar, dass Sie mit Schwerstkriminellen zusammenarbeiten wollen?

Ja, das war mir immer klar. Als ich angefangen hab zu studieren, hab ich nur ein bisschen hin und her überlegt, ob ich Strafverteidigerin werden möchte oder in Richtung Kriminalpsychologie gehe. Weil mich das auch immer sehr interessiert hat: Wie kommt es eigentlich zu schweren Straftaten, wie wird man eigentlich kriminell? Ich hab meine Doktorarbeit auch in Kriminologie geschrieben.

Was war das für eine Arbeit?

Da ging es um Computerspiele, inwieweit sie Einfluss auf diese Amokläufe an Schulen haben. Weil das ganz faszinierende Gewalttaten sind. Faszinierend natürlich im negativen Sinne. Dass da plötzlich Jugendliche aus irgendeiner Lebenssituation heraus auf die Idee kommen: „Ich erschieße jetzt mal ein paar Mitschüler und Lehrer.“ Da finde ich schon spannend, mal hinzugucken, wie kommt man eigentlich dazu, das zu machen?

Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?

Ich bin in meiner Arbeit zu dem Ergebnis gekommen, dass es sehr viele andere Ursachen gibt. Dass die Täter meist aus Familien kommen, die der typischen Mittelschicht zugehören und die vor allem Probleme immer ein bisschen unter den Teppich kehren. Da ist nach außen immer alles gut, alles heile, aber es wird nie richtig über etwas gesprochen.

Das ist ein ganz großes Problem, weil Kinder da eben über ihre Probleme, die sie vielleicht im schulischen Umfeld haben, gar nicht sprechen können. Dann entwickeln sie Gewaltfantasien und wenn die einmal da sind, kann man die natürlich auf vielfältige Weise befeuern. Da gibt es dann das Computerspiel, den Horrorfilm oder zahlreiche andere Möglichkeiten.

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Wie kommen Mandanten auf Sie zu? Wahrscheinlich plant kaum jemand einen Mord und sucht sich schon vorher eine Verteidigerin aus?

Leute, denen so etwas passiert, die sind häufig gar nicht vorbestraft. Das sind Leute, die haben immer ein ganz normales Leben geführt. Dann passiert irgendwas und es brennt eine Sicherung durch. Die haben nie mit Anwälten zu tun gehabt. So jemand weiß überhaupt nicht, was mache ich jetzt eigentlich?

Manchmal legen diese Menschen direkt bei der Polizei ein Geständnis ab, was für die weitere Verteidigung sehr schwierig ist. Die bekommen meistens erst mal einen Pflichtverteidiger vom Gericht gestellt. Und da ist es leider so, dass jedes Gericht so drei, vier Verteidiger hat, die im Wechsel diese Fälle bekommen. Das sind in der Regel Kollegen, die fürs Gericht sehr bequem sind. Das sag ich auch ganz offen. Wir kritisieren diese Auswahlkriterien.

Ich bin da auch ganz am Anfang zwei-, dreimal angerufen worden. Dann hab ich da auch richtig verteidigt und gesagt: „Es gibt hier kein Geständnis. Wir sagen hier erstmal gar nichts.“ Und danach wurde ich nie wieder ausgewählt vom Gericht.

Ist Ihr Ziel im Idealfall immer der Freispruch, um das Beste für den Mandanten rauszuholen?

Ja, das muss ich ganz klar so sagen, sonst könnte ich es auch nicht machen. Für mich ist das wie ein Wettkampf mit der Staatsanwaltschaft. Ich blende auch alles andere aus, sowohl das Opfer als auch das, was die Person da gemacht hat. Es gab schon mal Momente, wo natürlich auch was an mich rangekommen ist.

Gerade wenn es um Kindstötung oder Missbrauch von Kindern geht: Wenn man sich vertieft damit beschäftigt, was ist da eigentlich Furchtbares passiert, da kommen auch mir die Tränen. Ich hab ja kein Herz aus Stein. Aber das sind einfach Dinge, die man ausblenden muss, wenn man vor Gericht sitzt. Da muss ich meinen Job machen und den muss ich gut machen. Da ist für diese Gefühle keinen Platz.

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Man könnte auch fordern, dass Verteidiger nicht das beste, sondern immer das fairste Urteil rausholen sollen.

Ja, aber ich bin von meinem Beruf, vom Gesetz her eine einseitige Interessenvertreterin. Ich muss mich an Recht und Gesetz halten, aber stelle ich Ermittlungen an und stelle etwas fest, was zu Lasten meines Mandanten geht und ich würde das vorlegen, würde ich mich strafbar machen. Das darf ich gar nicht als Verteidigerin. Die Staatsanwaltschaft und das Gericht müssen den Sachverhalt aufklären, aber ich bin eine einseitige Interessenvertreterin meines Mandanten.

Ist es schon vorgekommen, dass Sie gesagt haben: „Das kann ich nicht verteidigen“?

Es gibt natürlich Mandanten, die ich ablehne. Das hat aber eigentlich nichts mit der Tat zu tun. Sondern das ist eher, wenn ich nicht bezahlt werde oder wenn ich Mandanten habe, die so schwierig sind, dass ich persönlich nicht mit denen zurechtkomme, wenn man nicht miteinander reden kann. Auf so einer Basis ist eine vernünftige Verteidigung nicht möglich.

Alles was so in Richtung politischer Straftaten geht, mache ich nicht so gerne. Weder Rechts- noch Linksradikalität oder Terrorismus. Da hätte ich wenig Interesse dran. Im Einzelfall hätte ich aber auch da keine Bedenken, wenn ich grad Zeit hätte.

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Wie beschäftigen Sie sich gerade mit dem Fall der Hausdurchsuchung von 18 Karat?

Seine Mutter hat mir gesagt, sie ist getreten worden von einem Beamten und dafür gibt es einfach keinen Grund. Wenn sie da mit einem Messer gestanden hätte und den versucht hätte abzustechen, dann kann man das machen, dann muss man sich auch selbst schützen. Aber das war nicht der Fall.

Dass diese Frau über 60 jetzt den Rückenwirbel gebrochen hat, das geht einfach nicht bei einem SEK-Einsatz. Egal wie schwer der Vorwurf ist, der da zugrundeliegt. Da bin ich sehr gespannt, wie die Polizei sich da, in Anführungszeichen, herausreden will.

Wie schildert die Frau den Fall?

Das ist ein Mehrfamilienhaus, die Mutter wohnt ganz unten. Die SEK-Beamten hatten die Haustür aufgebrochen und waren auf dem Weg in den Hausflur. Sie hatte die Tür einen Spalt geöffnet, die Beamten haben gefragt: „Wo ist Ihr Sohn?“ Dann hat sie geantwortet: „Der ist hier nicht.“

Dann hätte der Beamte ausgeholt und sie einfach so getreten. Wenn die Ermittlungen das so bestätigen, geht das einfach gar nicht. Das ist eine mutwillige gefährliche Körperverletzung im Amt.

Ich hab selber zweimal Praktika gemacht bei der Polizei, bin mit auf Streife gewesen. Ich weiß, dass das kein leichter Job ist, habe da für vieles Verständnis, aber trotzdem muss man wissen, wann man zu weit geht.

Anm. d. Red.: 18 Karat war verdächtigt, Beihilfe zu einem Angriff auf einen Mann an der Hansastraße geleistet zu haben. Im Juli wurde ein 38-Jähriger dort am helllichten Tag angeschossen und schwer verletzt. Der Verdacht gegen den Rapper erhärtete sich laut Staatsanwaltschaft aber nicht, am selben Tag wurde er entlassen.

Die Arbeit im Bereich der Organisierten Kriminalität muss grundsätzlich schwierig sein, wenn die Mandanten keine Reue zeigen und nach einem Gerichtsverfahren einfach weitermachen.

Darüber mache ich mir keine Gedanken. Ich arbeite eigentlich gerne im Bereich Organisierte Kriminalität. Weil es auch ein angenehmes Zusammenarbeiten mit den Mandanten ist.

Es ist für mich deutlich, ich sag mal, anstrengender und belastender, wenn ich da jemanden sitzen habe, der zum ersten Mal mit der Polizei zu tun hat, der vollkommen überfordert ist mit der Situation, der mir gegenüber sitzt und weint und sagt „Bitte Bitte“ und ich dem erst mal in mehrstündigen Gesprächen erklären muss, dass das nicht so einfach ist.

In dem anderen Bereich sitzt dir jemand gegenüber, der sagt: „Was meinen Sie, kriegen wir irgendwie noch fünf Jahre hin oder wird‘s etwas mehr?“ Das ist ein ganz anderes Arbeiten. Das ist, was die menschliche Seite angeht, viel entspannter.

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Hatten Sie schon mal Bedenken, Ärger mit einem Mandanten zu kriegen, wenn ein Verfahren nicht wie gewünscht ausgeht?

Nein, weil ich meinen Mandanten keine falschen Versprechungen mache. Ich sage: „Hier gibt es nicht viele Chancen, ich weiß nicht, was dabei rauskommt.“ „Sie können sich das Geld sparen“, habe ich auch schon das eine oder andere Mal gesagt.

Wenn es nicht klappt, können die Leute da eher mit leben. Ich sage denen nicht: „Bezahlt mich mal gut und ich hol euch da raus.“ Das finde ich unfair und dann hätte ich wohl auch wirklich Sorge um mein Leben.

Bei Sexualdelikten machen Sie sich auch keine Gedanken, wenn Sie jemanden verteidigen?

Da ist es recht schwierig, weil man in der Regel angelogen wird. Bei einer normalen Vergewaltigung zwischen erwachsenen Personen gibt es unheimlich viele Falschbeschuldigungen.

Zum Beispiel weil die mal was mit dem hatte an einem Abend, dann wurde sie verarscht und hat dann Wut. Oder es gab einen One-Night-Stand und dann Erklärungsnot. Dann sagen die auch schon mal: „Ich bin vergewaltigt worden.“ Die machen sich gar nicht so Gedanken, was dann diesen Männern passiert. Das geht oft in solchen Fällen in Untersuchungshaft.

Dann gibt es noch die Pädophilen, das ist schwierig, die lügen mich als Verteidigerin häufig an. Häufig sagen die auch Sachen wie: „Die Kinder wollten das.“ Das ist einfach so absurd, da sitze ich natürlich auch manchmal und denke: „Das kann’s ja wohl nicht sein.“

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Dann kommt es vor Gericht vielleicht am Ende zu einem Freispruch, der Mandant freut sich und Sie wissen, der ist jetzt auf freiem Fuß. Das ist für Sie ein Erfolg.

Genau, das ist ein Erfolg für mich. Auch wenn das schwer zu verstehen ist, weil ich diese Dinge ausblende und versuche, das Beste für den Mandanten rauszuholen. Ich finde unser Rechtssystem wirklich gut. Ich finde es gut, dass in Deutschland nur jemand verurteilt werden kann, wenn gewisse Beweise da sind und wenn man auf dem strafprozessual korrekten Weg ein Urteil fällen kann.

Mir ist es lieber, wenn ein schuldiger Mensch frei herumläuft als dass ein Unschuldiger vielleicht 20 Jahre im Gefängnis sitzt. Der Staat muss meiner Meinung nach mehr aufpassen, darf sich weniger Fehler erlauben als eine Privatperson und damit muss man in so einem System einfach auch leben.

Wenn man so viel Leid und Unrecht tagtäglich um sich hat: Gehen Sie trotzdem mit einem Lächeln nach Hause?

Ja, ich finde die Arbeit einfach ziemlich spannend. Ich lese Ermittlungsakten auch supergerne zu Hause abends auf dem Sofa. Das ist für mich wie Krimi live. Gerade eine Mordermittlung, das macht mir auch immer noch wirklich Spaß. Da kann ich jetzt nicht mit einem schlechten Gewissen dienen. Dann könnte ich das auch nicht machen.

Es ist bei mir nicht so, dass ich ein knallharter Mensch bin. Ich bin eigentlich ein sehr empfindlicher Mensch. Wenn ich einen Film gucke, fange ich sofort an zu heulen, wenn da etwas Trauriges kommt. Es ist einfach wirklich so, dass man diese berufliche Rolle einnimmt und versucht, sie so gut wie möglich umzusetzen.