Wie Veye Tatah (54) sechs Jobs meistert „Ich bin intelligent, selbstbewusst und dickköpfig“

Sie schafft sechs Berufe gleichzeitig: Veye Tatah hat „fast nie Stress“
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Veye hatte schon Momente, in denen sie am liebsten alles hingeschmissen hätte. Gerade in ihren Zwanzigern sei sie zwischen Arbeit an der Uni, Magazin layouten, Kinder großziehen und Catering-Küche oft an ihre Grenzen gestoßen, erzählt die Dortmunderin.

„Aber das gehört dazu. Man muss durchhalten, dann wächst man daran.“ Jede Entscheidung habe Vor- und Nachteile, man müsse mit beidem leben können und sich darauf konzentrieren, worauf man Einfluss hat, statt auf die Dinge, über die man ohnehin keine Macht hat. Veye hat gelernt: „So spart man sich Stress und Frustration.“

Bei Veye glaubt man, ihr Tag müsse mehr als 24 Stunden haben. Sie hat sechs verschiedene Berufe, dazu mehrere Hobbys und ehrenamtliche Engagements, eine Familie - und wirkt trotzdem gelassen. „Ich habe nur ein gutes Zeitmanagement und Disziplin“, sagt sie.

Es scheint kaum etwas zu geben, was die gebürtige Kamerunerin und Trägerin des Bundesverdienstkreuzes nicht kann. Wie jongliert sie Verpflichtungen, „fast ohne Stress“, wie sie sagt? Die 54-Jährige gibt einen Einblick in ihr außergewöhnliches Leben.

Das erstaunliche Leben der Veye Tatah

Seit etwa 30 Jahren lebt Veye Tatah in Dortmund. 1998 gründet sie den Verein Africa Positive, durch den sie das gleichnamige Magazin vierteljährlich herausgibt. Seitdem ist sie dort ehrenamtliche Chefredakteurin. Die Diplom-Informatikerin ist zudem Event-Managerin und konzeptioniert, organisiert und führt Veranstaltungen für Kunden durch.

Porträtfoto von Vaye Tatah in ihrem Büro in Dortmund, in dem auch der Redaktionssitz des Magazins Africa Positive untergebracht ist.
Toughe Geschäftsfrau und kreative Köchin: Veye Tatah hat viele Talente und weiß sie sinnvoll einzusetzen. © Stephan Schuetze

Dazu arbeitet sie als PR-Beraterin und führt Projekte in den Bereichen Bildung und Integration durch. Sie spricht fünf Sprachen, ist mediengestalterisch tätig und bietet verschiedene IT-Dienstleistungen wie Webdesign an. Ab und an wird sie als Afrika-Expertin ins Fernsehen eingeladen, etwa in die Satire-Sendung Extra3. Außerdem führt sie seit 2003 den Catering-Service „Kilimanjaro“, mit dem sie unter anderem Aufträge von Dortmunder Großunternehmen annimmt.

Seit Juni 2024 führt sie in der Brückstraße einen gleichnamigen Imbiss-Ableger. Nach eigenen Angaben führt sie obendrein ein glückliches Familienleben mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen. Im Interview wirkt sie trotzdem so, als hätte sie alle Zeit der Welt. Wie macht sie das?

„Afrika im Kleinen“

Völlig gelassen sitzt sie im Kilimanjaro-T-Shirt und schwarzem Business-Blazer auf einer Bank in ihrem Imbiss. Dort erzählt sie gern von ihrer Heimat in Kamerun. Sie redet laut und lebendig, lacht dabei durchgehend und herzlich. Veye Tatahs Geschichte beginnt in Bameneda, dem nordwestlichen Teil Kameruns, in dem die englischsprachige Minderheit des Landes lebt.

Porträtfoto von Vaye Tatah vor Wand mit bunten Bildern in ihrem Büro in Dortmund, in dem auch der Redaktionssitz des Magazins Africa Positive untergebracht ist.
Veye Tatah lacht fast immer. Ihre herzliche Art zaubert anderen Menschen innerhalb von Sekunden ein Lächeln ins Gesicht. © Stephan Schütze

Das Besondere an ihrem Heimatland: Hier vereinen sich alle Klimazonen; Regenwald, Savanne, Wüste, Gebirge, Meer. Es wird deshalb auch „Afrika im Kleinen“ genannt. „Es ist unglaublich, in dieser Umgebung aufzuwachsen“, schwärmt die 54-Jährige. „Kamerun ist wunderschön, hat tolles Essen und die Leute sind freundlich.“

Ihre Geschichte ist keine von Hunger und Armut. Sie ist als eines von fünf Kindern in einem schönen Haus aufgewachsen, ging in ein angesehenes katholischen Internat zur Schule. Doch es gibt auch Probleme. Seit Jahren tobt in Kamerun ein Bürgerkrieg, es herrschen autoritäre Strukturen.

Veyes Vision

Die Idee zum Studieren nach Deutschland zu ziehen, bekommt sie durch ihre deutschen Nachbarn in Kamerun, die aus Bremen stammen. Ihre Familie unterstützt ihre Entscheidung. „Meinen Eltern war Bildung sehr wichtig“, erzählt Veye, die sich mit 19 Jahren für ein Studium in Dortmund entscheidet. Sie interessiert sich für Computer, studiert Informatik, arbeitet nach dem Diplom jahrelang als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät.

„In Deutschland habe ich gemerkt, dass fast nur negativ über Afrika gesprochen wird, das hat mich total irritiert.“ Sie fasst einen Entschluss, der ihr gesamtes Leben von nun an lenken wird und steckt sich ein hohes Ziel: Erzählungen über Afrika positiv besetzen. „Afrika soll nicht dauernd in der Opferrolle stecken“, sagt Veye, „Afrika ist ein vielfältiger Kontinent mit einer reichen Kultur. Das will ich zeigen.“

Eine große Aufgabe - deshalb hat Veye auch immer viel zu tun. „Ich bin ein Workaholic. Aber ich sehe meine Arbeit überhaupt nicht als Stress, sondern ich genieße sie“, sagt die Dortmunderin.

Vaye Tatah sitzt auf einem Tisch mit dutzenden Ausgaben des Dortmunder Magazins Africa Positive, dessen Chefredakteurin sie ist. Ein Heft hält sie in den Händen.
Seit über 25 Jahren berichtet das Magazin Africa Positive über Politik, Sport, Kultur, Wirtschaft und Menschen in Afrika. © Stephan Schuetze

Sie arbeite nicht, um die nächste Sprosse auf der Karriereleiter zu erklimmen. Geld oder Status hätten sie nie interessiert. Deswegen habe sie niemals Angst vorm Scheitern, sondern liebe das Risiko. Selbst wenn etwas nicht funktioniere, „das Ziel ist nie, in jeder einzelnen Sache erfolgreich zu sein. Der schnelle Erfolg zählt nicht, sondern jeder Job ist nur ein Schritt weiter in Richtung meines Traums.“ Dass es bei ihr finanziell gut laufe, sei ein angenehmer Nebeneffekt, „ich kann mich nicht beschweren“, sagt Veye augenzwinkernd.

Was einen guten Chef ausmacht

Ihrer Vision nähert sie sich aus verschiedenen Richtungen, etwa mit ihrem Magazin Africa Positive, das die Vielfalt Afrikas journalistisch aufarbeitet, durch Treffen mit hochrangigen Politikern oder dem Imbiss an der Brückstraße, der afrikanische Küche besonders einem jungen Publikum schmackhaft macht.

Oft werde sie gefragt, wie sie all das schafft. „Keine Ahnung“, sagt Veye, lacht laut, und hat dann doch eine gute Antwort. Sie glaubt, dass sie mit ihrem Charakter Glück gehabt hat. „Ich bin intelligent, selbstbewusst und dickköpfig.“ Doch allein könne das niemand schaffen, „das geht nur, weil hinter mir ein tolles Team steckt.“ Das wiederum brauche eine gute Führung.

Die Dortmunderin Veye Tatah steht vor einem Plakat ihres Magazins Africa Positive
Veye Tatah hat sich so oft für Projekte in Dortmund eingesetzt, dass man gar nicht alle aufzählen kann. 2024 würde sie mit dem „Dortmunder Engagement 2024“-Preis ausgezeichnet. © Stephan Schuetze

„Das Team muss deine Vision genau verstehen. Dafür wiederum muss man selbst sehr genau wissen, was man will und muss das kommunizieren können.“ Mitarbeiter, die Spaß bei der Arbeit haben, trotzdem gefordert werden und genug Wertschätzung erhalten, würden deutlich effektiver arbeiten. „Ein guter Chef kann gut zuhören, strategisch denken und Aufgaben delegieren.“

Wissen, wann Schluss ist

Ihre wichtigste Waffe im Zeitmanagement: ihr Terminkalender. Man dürfe sich den Tag nicht zu voll packen, „sonst macht man am Ende alles nur zu Hälfte und nichts so richtig.“

Veyes Schlüssel ist ihre Disziplin. Das bedeute nicht nur, auf der Aalles zu geben, sondern auch zu wissen, wann Schluss ist. Nach der Arbeit den Schalter umlegen und einfach Feierabend machen? „Das ist für mich gar kein Problem.“ Auch beim Schlaf mache sie keine Kompromisse, mindestens acht Stunden müssten es sein, sagt die Unternehmerin.

Ab und zu muss auch eine Veye Tatah faulenzen. „Dann bleibe ich den ganzen Sonntag im Pyjama und mache rein gar nichts - ich gehe nicht mal duschen“, sagt sie lachend.

Wenn Veye runterkommen will, stellt sie sich in die Küche. Kochen ist nicht nur ein Beruf, sondern gleichzeitig ein Ausgleich. „Gemüse schippeln ist für mich wie meditieren. Da muss ich an nichts denken. Und es kurbelt meine Kreativität an.“

Alle wollen Veyes Bohnen

Catering-Aufträge seien hingegen weniger meditativ, „das ist dann Business. Aber da ist es die schönste Belohnung, wenn ich sehe, wie die Leute sich über mein Essen freuen. Vor allem, wenn sie bei den afrikanischen Gerichten einen Aha-Effekt erleben und so einige Vorurteile überwinden.“

Ein Teller afrikanischer Bohneneintopf mit Reis und Kochbananen aus dem Imbiss Kilimanjaro auf der Brückstraße in Dortmund
Unternehmen bestellen sie für Firmenevents, Hochzeitspaare reißen sich darum, Imbissgäste bekommen nicht genug davon: Veyes Bohneneintopf mit Reis, dazu Kochbananen. © Stephan Schuetze

Der Renner im Kilimanjaro-Imbiss: Kún, Veyes Bohneneintopf. Bei jedem Firmenevent, sogar auf Hochzeiten, würden sich die Gäste um eine Portion reißen. Das versteht jeder, der einmal Kún gekostet hat. Die Bohnen sind würzig und herzhaft, halten sehr lange satt und schmecken einfach nach Wohlfühlküche. Auch die Rezepte hat die Dortmunderin selbst entwickelt, inspiriert davon, wie ihre Mutter in Kamerun Essen kochte.

Bei Kilimnajro gibt es keine typische schnelle Imbiss-Küche, sondern Gerichte, die Zeit und Liebe brauchen. Veyes Bohneneintopf schmeckt am besten, wenn er stundenlang köcheln und durchziehen konnte. Dann schmeckt er genauso herzhaft, wie Veye lacht.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 19. April 2025.