Eigentlich wollte Max seinen drei besten Freunden seine neue Freundin Melina vorstellen. Doch der Tag endete mit ihrem Tod. Mit zunehmendem Konsum von Bier und Schnaps ist der 19-jährige Max am eigentlich fröhlichen Tag immer ekelhafter geworden. Mit Sätzen wie „Du Schlampe, beweg‘ dich in die Küche oder ich knall’ dich ab“, schickte er Melina, 24 Jahre alt, zum Spülen des dreckigen Geschirrs der vier jungen Männer in die Küche.

Doch er beließ es nicht dabei. Er wollte vor seinen Freunden angeben. Er nahm zu diesem Zweck eine Armbrust von der Wand, hockte sich wie ein Scharfschütze hinter das Sofa, auf dem seine Freunde saßen, und zielte auf die spülende Melina. Seine Freunde wollten noch, dass er „den Scheiß sein lässt“, doch da löste sich der Pfeil. Er durchbohrte den Oberkörper seiner Freundin und trat vorn aus dem Oberkörper wieder heraus. Der Notruf einer der Freunde brachte nichts mehr. Melina starb in den Armen des Notarztes.
Wer ist der 19-jährige Max?
Max und Melina, dessen Namen beide für diesen Bericht geändert wurden, lernten sich im Jahr 1999 bei einer sogenannten Drückerkolonne kennen. Das waren damals Gruppen, die aggressive Verkaufspraktiken an Haustüren angewandt und versucht haben, Anwohner in beispielsweise Zeitschriftenabonnements hereinzureden.
In die Drückerkolonne verschlug es Max, nachdem er nach einer Ausbildung zum Stahlbetonbauer nicht übernommen wurde. Er hatte fest damit gerechnet und fühlte sich nach der Ausbildung wie ein Versager, wie später von seiner Mutter berichtet wurde. Dabei war es nicht sein Verschulden, dass er nicht genommen wurde. Es gab wohl einfach nicht genug Arbeit für einen weiteren Gesellen.
Aber Max war immer ein eher sensibler Mensch. In der Schulzeit wurde er deshalb oft gehänselt. Erst danach veränderte es sich. Und zwar in der Zeit, in der er den Anschluss an die Dortmunder Neonazi-Szene fand. Eine Szene, in der er stark aufging. Wie er später sagte, fühlte er sich dort das erste Mal wirklich respektiert.
Der so sensible Max hat sich damals szenetypisch gekleidet. Er rasierte sich eine Glatze, trug Springerstiefel und Bomberjacke. In seiner Wohnung im Keller seines Elternhauses hingen Deutschland- und Reichskriegsflaggen neben Waffen und einigen Kriegsdevotionalien. Trotzdem blieb bis zuletzt unklar, ob er eindeutige Neonazi-Einstellungen hatte, oder wegen seines Charakters und einem Wunsch nach Gruppenzugehörigkeit in die Szene gerutscht ist.
Max und Melina ziehen nach Dortmund
Und genau in diese Szene nahm er nach Abkehr von der Drückerkolonne wieder Kontakt auf. Ersteres war aber gar nicht so einfach. Die Kolonne hatte sich 1999 in einem Hotel in Haltern einquartiert. Einfach den Hut zu nehmen war damals undenkbar, zu streng waren diese Gemeinschaften. Also plante er einfach abzuhauen – mit seiner neuen Freundin Melina.
Ihre „Flucht“ von Haltern nach Dortmund endete im Elternhaus von Max im Dortmunder Süden. Sie hatten ein großes Grundstück, und es war kein Problem für Max und Melina, eine Wohnung im Keller herzurichten. Und obwohl beide sehr überstürzt vor der Tür von Max Mutter standen, war sie doch überglücklich mit der Situation.
Nach vielen Sorgen, die sie sich gemacht hat, wegen der Schulzeit, der Ausbildung, der Zeit bei der sehr verschrienen Drückerkolonne und dann auch noch wegen seiner Kontakte zur Neonazi-Szene, schien es bergauf zu gehen. Ihr Sohn, so sagt sie, war überglücklich mit seiner Freundin. Melina selbst fand sie sehr sympathisch, hat immer nur positive Worte über die damals 24-Jährige verloren. Undenkbar schien damals, dass zwischen dem fröhlichen Eintreffen des Paares und dem tragischen Tod von Melina nur wenige Monate liegen.
Eskalation am Tag der Tat
Nachdem die beiden im September bei Max Elternhaus eingezogen waren, hatten die beiden noch große Pläne. Melina wollte sich eine Wohnung in Dortmund suchen und ihr Abi nachholen. Max wollte es nochmal mit einem vernünftigeren Job versuchen, immerhin hatte er ja die Ausbildung zum Stahlbetonbauer in der Tasche.
Dazu kam es nie, denn schon im Oktober kam es zum verhängnisvollen Tag. Max lud drei seiner Freunde ein. Gemeinsam haben sie sich in seiner Wohnung getroffen. Als waffenaffine junge Männer aus der Szene haben sie zuerst mit einer Armbrust im großen Garten der Familie geschossen. Das ist auch vollkommen legal, für eine Armbrust braucht eine volljährige Person keinen Waffenschein oder eine Waffenbesitzkarte.
Als sie wieder hereingingen, begann die Party. Es floss Alkohol, es wurde laut Musik gehört, die jungen Männer hätten herumgegrölt. Und je länger der Abend dauerte, desto mehr abwertende Sprüche muss Max über seine Freundin Melina verloren haben. Neben der eingangs erwähnten Beleidigung, sie solle aufräumen, soll er Dinge gesagt haben wie „Ich knall’ die heute noch ab“ oder „ich hau’ ihr den Kopf noch so richtig vor die Wand“. Später behauptet er, er habe vor seinen Freunden prahlen und angeben wollen.
Serie „Dortmunder Verbrechen“
In dieser True-Crime-Serie stellen wir Ihnen Kriminalfälle aus Dortmund vor, die in der Stadt und darüber hinaus Aufsehen erregt haben. Jeden Sonntag um 12 Uhr erscheint eine neue Folge unter rn.de/dortmund.
Dann wurde aus den Sprüchen ernst. Während seines Machogehabes nahm er die Armbrust von der Wand und erschoss Melina. Sie konnte nicht viel tun, als aufzuschreien. Der Pfeil traf sie in den Rücken, durchbohrte sie und trat vorn am Oberkörper wieder aus. Sie versuchte noch ins Wohnzimmer zu laufen, brach aber zusammen. Max, von seiner eigenen Tat aufgelöst, fing sie auf. Einer der drei Freunde wählte den Notruf.
Von der eigenen Tat geschockt
Der Arzt konnte nichts mehr für Melina tun. Doch von dem Tod seiner Freundin erfuhr Max erstmal nichts. Er wurde direkt von der Polizei mitgenommen. Währenddessen muss er ausgerastet sein, vor Schock und nicht vor Wut. Es wurde beschrieben, dass er einen Weinkrampf hatte, er habe immer wieder betont, dass er das nicht wollte, er habe seine Freundin geliebt. Und er soll eine Polizistin gebeten haben, dass sie ihn erschieße, denn er wolle auch sterben. Im Polizeiauto habe er dann versucht, sich den Schädel an der Fensterscheibe einzuschlagen.
Geleugnet hat Max seine Tat nie, jedoch war es für die Gerichte gar nicht so klar, um welche Tat es sich handelte. Die Anklage war wegen Totschlags – nach Jugendstrafrecht, da Max erst 19 war. Vor Gericht gab Max alles zu, er sagte, er habe angeben wollen, habe aber gedacht, die Sicherung der Armbrust wäre eingerastet. Er bereue seine Tat und habe seine Freundin trotz nur kurzer Beziehung sehr geliebt. Vor Gericht, so berichten Reporter damals, war wenig übrig vom Neonazi Max. Er soll sehr jungenhaft und normal ausgesehen haben. Außerdem habe er bei seinen Aussagen häufig geweint.
Trotzdem urteilte das Gericht, er habe sich des Totschlags schuldig gemacht. Er wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt. Als das Urteil verlesen wurde, kam es im Gerichtssaal zu einer unschönen Szene. Melinas Mutter war da. Sie war ob der Strafe für Max fassungslos. Sie blickte ihm in die Augen und schrie: „Mörder, Mörder, sechs Jahre für meine Tochter. Wir sehen uns noch.“ Kurz danach brach die aufgelöste und weinende Frau zusammen. Die Urteilsbegründung wurde abgebrochen und Ärzte kümmerten sich um sie. Bis heute ist unklar, wie sie reagiert hat, als die Strafe von Max durch eine Revision noch einmal halbiert wurde.
Urteilsmilderung nach Revision
Die Revision begründete die Verteidigung damit, dass nicht klar genug deutlich gemacht wurde, dass Max eine Tötungsabsicht hatte. Die Frage, ob es sich nicht vielleicht doch um einen Unfall gehandelt habe, stand weiter im Raum. So steht es dann auch in einem Beschluss des Bundesgerichtshofes aus dem November 2000 – sieben Monate nach dem letzten Urteilsspruch am 11. April 2000

Der Fall musste neu aufgerollt werden. Und beim zweiten Mal kamen die Richter tatsächlich zu einem anderen Ergebnis. Das Urteil des Totschlags wurde abgemildert. Man kam zu dem Schluss, dass keine Tötungsabsicht bestand. Und dass Max sich zwar große Schuld aufgeladen hatte, weil er einen Menschen getötet habe, jedoch war das nicht vorsätzlich, sondern ein Unfall.
Das endgültige Urteil lautete dann: dreieinhalb Jahre Haft wegen fahrlässiger Tötung. Trotzdem blieb der Richter bei Verkündung des Urteils streng. Es war von „Imponiergehabe eines Waffennarrs“ die Rede und von „Gewaltfantasien“. Max hat also die Haft angetreten und verbüßt. Heute, im Jahr 2024, ist er 44 Jahre alt. Wie er sein Leben verbringt und ob noch Kontakte in die Szene bestehen, ist unbekannt.
Hier lesen Sie die anderen Folgen der Serie „Dortmunder Verbrechen“:
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 8. September 2024.