Martin B. hat kein Geld. Seine Konten sind überzogen, sein Haus soll zwangsversteigert werden. Als er an einem Tag im Oktober 2011 schnell an Geld kommen will, fällt ihm eine alte Bekannte ein: die Musikkritikerin der Westfälischen Rundschau, Sonja Müller-Eisold. Sie hatte ihm bereits in der Vergangenheit finanziell ausgeholfen.
Er fährt also am 25. Oktober zum Haus der damals 80-Jährigen. Damit sein Vorhaben klappt, hat er eine Armbrust, eine Perücke und ein Seil dabei. Müller-Eisold lässt den Mann noch freiwillig ein, doch dann entbrennt ein Streit. Martin B. schießt mit der Armbrust auf die Journalistin, sie überlebt fürs Erste. Der Täter raubt sie aus, entwendet ihre Bankkarte und flieht. Sonja Müller-Eisold stirbt zwei Stunden später an den Folgen des Angriffs.
Tochter findet ihre leblose Mutter
Als Sonja Müller-Eisold nicht zu einem verabredeten Familientreffen kommt, macht ihre Tochter sich Sorgen um die sonst so zuverlässige Mutter. Sie fährt in die Nachbarschaft in Dortmund-Löttringhausen und macht im Haus ihrer Mutter einen schrecklichen Fund. Sie findet sie leblos auf dem Boden liegend.
Einbruchsspuren sieht sie keine, auch hat ihre Mutter keine für sie sichtbaren Verletzungen. Erst später kommt heraus, dass es sich hier um ein Verbrechen – einen Raubmord – handelt. Das erste Indiz dafür: Die Bankkarte von Müller-Elsor ist entwendet worden. Dass die Besitzerin sie nur verlegt hat, kann spätestens drei Wochen nach der Tat klar ausgeschlossen werden. Dann nämlich hat eine unbekannte Person von dieser Karte Geld abgehoben.

Allerdings ist dies nicht der einzige Hinweis auf das Verbrechen. In der Nachbarschaft, in der die bekannte Musikkritierin wohnte, passt man nämlich aufeinander auf. So formulierte es zumindest eine direkte Nachbarin: „Wir haben sogar Schlüssel voneinander, hier kennt jeder jeden.“ Und so kommt es, dass die Nachbarschaft der Polizei einige entscheidende Hinweise liefert.
Dieses Auto gehört hier nicht hin!
Besagte Nachbarin teilt der Polizei mit, dass sie am Tattag aus dem Haus von Müller-Eisold einen Streit gehört habe. Ein anderer Nachbar berichtet, er habe an dem Abend ein Auto vor ihrem Haus gesehen. Laut seiner Aussage war ihm direkt klar: Dieses Auto gehört hier nicht hin! Er kenne die Autos der Nachbarn und das war ihm gänzlich unbekannt. Wie in einem Klischee bat er daher seine Frau, das Kennzeichen zu notieren, „falls es noch mal wichtig wird“. Und es wird noch einmal wichtig.
So kann das Auto schnell Martin B. zugeordnet werden. Der damals 48-Jährige ist ein flüchtiger Bekannter von Sonja Müller-Eisold. Sie kannten sich aus der Kulturszene, er war beispielsweise eine Zeit lang im Vorstand der Dortmunder Kulturbühne. Zudem soll er sich vor der Tat schon einmal Geld von der Journalistin geliehen haben.
Die Spur wird heiß, als die Ermittler das besagte Auto auffinden und es Martin B. eindeutig zuordnen können. Bei der Durchsuchung finden sie im Kofferraum eine Perücke, ein Seil und eine Handarmbrust – also eine kleinere Armbrust, die in einer Hand gehalten und abgefeuert werden kann. Für eine solche Waffe benötigt man weder Waffenschein noch Waffenbesitzkarte. Und genau diese Waffe wurde später als die Mordwaffe identifiziert, obwohl sie den Tod von B.s Opfer gar nicht direkt ausgelöst hatte.
Was ist am Abend des 25. Oktober passiert?
Den Tathergang, den Martin B. später lange leugnet, rekonstruieren die Ermittler wie folgt: Martin B. wollte Geld, er war komplett pleite und kam dabei auf die Idee, die 80-jährige Bekannte von ihm auszurauben. Mit einer Handarmbrust bewaffnet fuhr er zu seinem späteren Opfer, klingelte, und wurde eingelassen.

Im Inneren des Hauses muss Martin B. dann Geld verlangt haben – und es kam zu dem Streit, den die Nachbarin hörte. Nachdem er mit seinen Forderungen keinen Erfolg hat, zückte er die Waffe. Unklar ist, ob er auf die Frau noch im Stehen geschossen hatte, oder ob sie erst hingefallen war. Bei Nachstellungen der Wunden kamen die Sachkundigen später aber zu dem Schluss, dass ein kurzer Bolzen aus nächster Nähe in ihre Bauchgegend geschossen wurde.
Anders als es bei einem Pfeil der Fall gewesen wäre, durchstieß dieser Bolzen den Körper von Sonja Müller-Eisold aber nicht. Er prallte ab und hinterließ einen großen Bluterguss – er war nicht tödlich. Spätestens jetzt muss die Frau auf dem Boden gelegen haben. Martin B. raubte ihre Bankkarte und verließ den Tatort. Zum Verhängnis wurde seinem Opfer eine Herz-Rhythmus-Störung. Wie es in der Obduktion später hieß, soll das ausgetretene Adrenalin im Körper von Müller-Eisold dafür gesorgt haben, dass ihr Herz den Angriff und die Schmerzen nicht mehr verpackt hat. Sie muss etwa zwei Stunden später gestorben sein.
Absurde Geschichten des Angeklagten
Der Täter schien klar und so wurde Anklage wegen Mordes erhoben. Mitte 2012 startete der Prozess, der zehn Monate dauern sollte. Der Angeklagte Martin B. wurde damals von Zuschauern und Journalisten im Prozesssaal am Schwurgericht in Dortmund von Anfang an als sehr merkwürdig beschrieben.
Bereits zu Beginn soll er theatralisch seine Unschuld beteuert und den Staatsanwalt beleidigt haben. Dieser sei unfähig, leide unter Verfolgungswahn und würde lieber einen Unschuldigen ins Gefängnis bringen als einen ungeklärten Fall auf dem Tisch zu haben. Der Staatsanwalt hielt es aus und stellte keine Anzeige. Doch das Benehmen des Angeklagten wurde von Anwesenden auch in den folgenden Monaten als sehr unangebracht bezeichnet.
Seine Geschichte, dass er am Tattag nicht vor Ort in Löttringhausen war, hielt nicht lange. Zu klar waren die Zeugenaussagen und der Waffenfund. Also schwenkte Martin B. um, und gab zu, dort gewesen zu sein. Seine Erklärung: Er wollte von Sonja Müller-Eisold einen Schlüssel für die Büros der Kulturbühne.
Sein Motiv wollte er ebenfalls entkräften. Er sei gar nicht pleite, er habe einen fünfstelligen Betrag in bar, den er an der Steuer vorbeimogeln wollte. Dass sein Haus zwangsversteigert werden soll, sei lediglich ein Trick von ihm, und durch einen Mittelsmann hole er sich das schon noch zurück.
Die Richter, so berichten Journalisten, hatten von seinen Geschichten an dem Punkt die Nase voll. Sie ordneten eine Leibesvisitation an. Der offizielle Grund: Vielleicht hat er Hinweise auf den Aufenthaltsort des angesprochenen Geldes am Körper. Inoffiziell wurde gemunkelt, die Richter haben ein Statement setzen wollen.
Ein Prozess wie eine TV-Show
Wie eine Show muss er seinen Auftritt vor Gericht inszeniert haben, wie Augenzeugen berichten. Hat sogar mit stilistischen Mitteln gearbeitet: Einen Teil der Aussage bekäme man an einem Tag, für den Rest müsse man am nächsten Verhandlungstag wiederkommen. Wie in einer Fernsehserie.
Doch diese theatralische Art half ihm nicht – im Gegenteil. Als die Beweislast erdrückend und seine Geschichten als ebensolche enttarnt wurden, musste Martin B. zugeben, was passiert war. Den Schuss mit der Armbrust leugnete er aber bis zuletzt, obwohl die Verletzung von einem Sachverständigen nachgestellt werden konnte. Auch bleibt bis zum Schluss unklar, ob Martin B. mit der Geldkarte von seinem Opfer das Geld abgehoben hat. Das einzige Bild, das es aus der Bank gibt, zeigt einen vermummten und nicht identifizierbaren Mann.
Am Ende deuteten die Verletzung, das Motiv, die Bekanntschaft, die Sichtung des Autos, die Geräusche aus dem Haus und sogar Faserspuren am Opfer auf einen Schluss hin: Martin B. hat Sonja Müller-Eisold umgebracht, weil er Geld brauchte. Die Staatsanwaltschaft plädierte auf lebenslange Haft wegen Mordes. Der Richter übernahm das Urteil. Bis zum heutigen Tag, im Jahr 2024, sitzt Martin B. im Gefängnis für den Mord an der 80-jährigen Ikone der Kulturszene von Dortmund.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 1. September 2024.
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