Dortmund-Tatort „Made in China“ ohne Leiche Dicht erzählte Spionage-Story mit enttäuschendem Ende

Dortmund-Tatort „Made in China“: Stahl, Spione und keine Leiche
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Was braucht es für einen Mordfall? Einen Täter, ein Motiv, eine Waffe, vielleicht einen Komplizen und natürlich eine Leiche. Im Dortmunder Tatort „Made in China“ (am 26.12. ab 20.15 Uhr im Ersten) gibt es keine Leiche. Trotzdem ermitteln die Kommissare Peter Faber (Jörg Hartmann) und Rosa Herzog (Stephanie Reinsperger) in einem Mordfall.

Peter Faber (Jörg Hartmann) und Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) stehen auf einem Industriegelände in Dortmund und telefonieren.
Nichts in diesem Fall ist wie es zu sein scheint. Die Spurensuche von Peter Faber (Jörg Hartmann) und Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) gestaltet sich sehr undurchsichtig: Werden sie bewusst auf falsche Fährten gelenkt? © WDR/Thomas Kost

Denn eine junge Frau, die blutverschmiert und offensichtlich verwirrt mit einem Messer in der Hand durch einen Asia-Shop hetzt, behauptet: „Ich habe ihn umgebracht.“ Sie wird festgenommen und zum Verhör ins Polizeipräsidium Dortmund gebracht. Dort stammelt sie vor sich hin. „Ich glaube, ich habe ihn erstochen. Immer wieder.“ „Wunderbar!“, entgegnet Faber, der zunehmend ungeduldig wird. Er misstraut der Unbekannten und stellt nach Ende des Verhörs die zentrale Frage des Films: „Ist das echt?“

Ja, glaubt Rosa Herzog. Sie kann sich für die junge Frau erweichen. Die Kommissarin wirkt in diesem Tatort ohnehin recht angefasst. Wegen ihrer Mutter, der RAF-Terroristin Susanne Bütow (Esther Zschieschow), die seit dem Verrat durch Tochter Rosa in der Folge „Love is Pain“ im Gefängnis sitzt. Wegen Jan Pawlak (Rick Okon), der nicht mehr da ist. Und wegen Ira Klasnić (Alessija Lause).

Dass Klasnić an ihrer Stelle nun die Mordkommission leitet, macht Rosa Herzog regelrecht wütend. Auf Dienstanweisungen reagiert sie patzig. Auch dann noch, als die toughe Klasnić herausfindet, wer die Unbekannte ist: Vanessa Haiden (Klara Lange), genannt Vanni, Tochter der Dortmunder Stahldynastie Haiden. Das Blut, das an ihrem Körper klebt, gehört ihrem Vater Jo, Chefingenieur bei Haiden Stahl, zuständig für Geschäftsbeziehungen des Unternehmens nach China – und eingeheiratet in die Familie.

Ira Klasnić (Alessija Lause) leitet jetzt die Mordkommission
Ganz gleich, ob das Kommissar Faber und seiner Kollegin Rosa Herzog passt: Ira Klasnić (Alessija Lause) leitet jetzt die Mordkommission. © WDR/Martin Rottenkolber

Von seiner Leiche fehlt weiterhin jede Spur. Immerhin aber hilft die Tochter dabei, die Tatwaffe zu finden. In den Büschen hinter dem Garten des Anwesens der Familie. Zuvor fanden Faber und Herzog die Ehefrau des Opfers, Sophia Haiden (Marie-Lou Sellem), gefesselt und geknebelt in der Villa. Jemand hatte sie überfallen, um das Büro ihres Mannes zu durchsuchen.

Wer war der Einbrecher? Welches Geheimnis verbirgt Familie Haiden? Und wo ist die Leiche? Die Ermittlung gleicht einer Schnitzeljagd, die immer mehr Hinweise zutage fördert, Theorien zulässt, Faber und Herzog aber kaum weiterbringt.

Jo Haiden, so zeigt sich, führte ein Doppelleben. Als überzeugter Sozialist betrieb er für die Volksrepublik China Industriespionage in der eigenen Firma. Es ist seine Schuld, dass der Stahlstandort Dortmund heute fast nicht mehr existiert und in China wieder aufgebaut wurde. Und da wäre noch die zweite Tochter, Shen Bo (Yun Huang), die Jo während eines seiner langen Aufenthalte in China gezeugt hat. Kurz vor seinem Ableben jedoch wollte er aufhören mit den Lügen, offenbarte sich seiner Familie, suchte Hilfe beim Verfassungsschutz.

Damit hat, nachdem alles so lange unklar war, nun plötzlich jeder ein Motiv. Die Töchter, die sich vom Vater im Stich gelassen fühlten. Ehefrau Sophia, die von Jo betrogen wurde und sich verdächtig gleichmütig gibt ob des möglichen Mordes an ihrem Ehemann („Ich glaube nicht, dass er tot ist, bis ich seine Leiche sehe.“). Stephan Haiden (Francis Fulton-Smith), Personalvorstand bei Haiden Stahl, der vergeblich versuchte, das Unternehmen vor chinesischen Investoren zu schützen, und eine Schwäche für Cousine Sophia hat. Und natürlich das Ministerium für Staatssicherheit (MSS) in China, von dem Jo Haiden sich lossagen wollte.

Klara Lange spielt im Dortmund Tatort "Made in China" Vanessa Haiden, Tochter der Stahldynastie Haiden.
Vanessa Haiden (Klara Lange) hat einen kompletten Blackout. Blutüberströmt und verwirrt wird sie von der Polizei aufgegriffen. Hat sie – wie sie zunächst behauptet – tatsächlich ihren Vater Jo Haiden erstochen? © WDR/Thomas Kost

Als Vanessa schließlich entführt wird, deutet in der Tat alles darauf hin, dass der Geheimdienst für den Mord an ihrem Vater verantwortlich ist. Offenbar war es auch ein Spion des MSS, der bei Haiden eingebrochen ist. Denn zum Tausch gegen die Geisel fordern die Entführer zwei Speicherkarten, auf denen Jo Haiden belastendes Videomaterial verwahrt und die er in seinem Büro zu Hause versteckt hatte.

Während Ira Klasnić mit den Entführern am Telefon verhandelt, suchen Faber und Herzog Vanessa Haiden auf dem Firmengelände – und stoßen auf Jo. Leibhaftig (Herzog: „War das ‚The Walking Dead‘? War das Jo Haiden?“). Faber lag also richtig mit seinen Zweifeln: Es war nicht echt, zumindest der Mord war es nicht. Jo hat seinen Tod nur vorgetäuscht, mit Unterstützung seiner Töchter. Ob das auch für Vannis Entführung gilt, wird für die Zuschauer nicht klar.

„Er muss tot sein, damit er leben kann“

Warum haben die Töchter ihrem Vater geholfen? „Er muss tot sein, damit er leben kann“, erklärt Shen Bo. Sie wollten Jo zur Flucht vor dem MSS verhelfen. Darum werden Faber und Herzog Jo Haidens auch nicht habhaft – er hat sich abgesetzt. Mal wieder.

Die Ermittlungen werden eingestellt. Faber bleibt frustriert zurück. Zurecht. Dieser Tatort hätte ein fulminanteres Ende verdient, denn er hat doch alles zu bieten. Spannung, starke Charaktere, clevere Szenenbilder, ein paar Klischees und große Zusammenhänge. „Made in China“ verbindet Dortmunds Vergangenheit als Industriestandort und den Kampf um dessen Erhalt mit einem Thema, das angesichts globaler Krisen der Gegenwart höchst aktuell ist: Spionage. Die Geschichte ist dicht erzählt. Das Problem: Es gibt so viele Handlungsstränge, dass es mitunter unübersichtlich wird, und dazu kommt auch noch das Gefühlsleben der Kommissare. Die Lösung wird der Komplexität des Falls nicht gerecht. Es ist fast banal, wie schnell er zu den Akten gelegt wird.

Immerhin, der Tatort hat eine Botschaft. Und damit sie tatsächlich auch jedem bewusst wird, lässt Drehbuchautor Wolfgang Stauch sie Rosa Herzog noch einmal aufsagen: „Es ist doch eigentlich gut, wenn eine Familie zusammenhält trotz der ganzen Scheiße, wenn man sich verzeiht.“ Klingt fast schon weihnachtlich.