Nadine Senz strahlt Ruhe und Gelassenheit aus, sie lächelt freundlich und ständig und wenn sie über ihre Kinder spricht, ist ihr Blick voller Liebe. Dass die vierfache Mutter aus Dortmund jeden Tag vor großen Herausforderungen steht, ist ihr nicht anzumerken. Doch sie spricht bewusst ganz offen über eines der Merkmale, das ihren siebenjährigen Sohn und ihre vierjährige Tochter ausmacht: Logan und Sammy sind Autisten.
Dass irgendetwas anders ist in Logans Entwicklung, bemerkte Nadine Senz recht früh. Zumal ihr Sohn nicht ihr erstes Kind ist, ihre älteste Tochter ist bereits 16 Jahre alt. „Logan hat wenig und sehr undeutlich gesprochen und zeigte einige Ticks“, erinnert sich seine Mutter. So reihte Logan zum Beispiel all seine Autos auf, ebenso seine Spielzeug-Tiere, Flaschen, Dosen und so weiter.
Immer wieder bekam der Junge extreme Wutanfälle, vor allem, wenn es in seiner Umgebung unruhig und laut war. „Wenn wir Bus gefahren sind, musste ich das Verdeck seines Kinderwagens immer ganz herunterziehen, um ihm von der Umwelt abzuschotten“, erklärt die Bövinghausenerin. Inzwischen besitzt die Familie ein Auto, auch, um solch anstrengende Fahrten mit dem Nahverkehr zu vermeiden.
Häufige Wutanfälle
Beim Essen zeigte Logan ebenfalls Auffälligkeiten, die bis heute anhalten. „Die unterschiedlichen Lebensmittel dürfen sich auf seinem Teller nicht berühren, das Essen darf in der Konsistenz nicht zu weich sein und nicht intensiv riechen“, beschreibt seine Mutter.
Um Wutanfällen vorzubeugen, gibt Nadine Senz in vielen Situationen nach. Sie unterstützt ihren Sohn zum Beispiel, wenn er seinen Platz am Tisch einfordert und bittet Besuch dann, den Platz zu wechseln. „Ich habe Verständnis für meinen Sohn, das ist eben sein Platz“, erklärt sie. „Doch meine Familie meinte immer, dass ich zu nachgiebig sei und Logan einfach nicht gut erzogen wäre.“ Heute hat die 37-Jährige deshalb zu ihrer Familie kaum Kontakt, versteht sich nur noch mit ihrer Schwester gut.

Logans Tagesmutter jedoch dachte ähnlich wie seine Mutter. „Sie nahm ganz vorsichtig das Wort Autismus in den Mund“, erinnert sich Nadine Senz. Da war Logan gerade zweieinhalb Jahre alt. Mit dieser Vermutung ging die besorgte Mutter zu Logans Kinderärztin, die sein auffälliges Verhalten aber zunächst nicht ernst nahm.
Erst bei der Routine-Untersuchung U7, bei der Logan drei Jahre alt war, stellte auch seine Ärztin fest, dass sich der Junge anders entwickelt hatte als gleichaltrige Kinder. „Das ist tatsächlich eines der Hauptprobleme, die mir begegnet sind: Dass die Leute mich nicht sofort ernst nehmen“, ärgert sich Nadine Senz.
Die Kinderärztin leitete ihn und seine Mutter an einen Kinder- und Jugendpsychiater in Herdecke weiter. Bis zur Diagnosestellung vergingen weitere Monate, als Logan schon fast vier war, stand endlich fest: Er ist Autist. „Die Diagnose hat für uns vieles erleichtert“, sagt Nadine Senz. „Wir wussten endlich, was los ist und wie wir ihn unterstützen können.“
„Fühlte mich alleingelassen“
Auf seinen Therapieplatz musste der Junge jedoch rund ein Jahr warten, auch die Antragsstellung hatte sich bereits gezogen. „Ich habe zu allen möglichen Stellen Kontakt aufgenommen, aber niemand konnte mir so richtig bei dem Antrag für die Autismustherapie helfen. Ich fühlte mich alleingelassen“, ärgert sich die 37-Jährige. „Das war ein bisschen wie bei Asterix und Obelix mit dem Passierschein A38“, nimmt sie es rückblickend mit Humor und lächelt wieder.
Humor und Lachen sind ohnehin eine Herangehensweise, mit der Nadine Senz dem Autismus ihrer Kinder begegnet. Wie ihre Kinder sich verhalten, darüber lacht sie so manches Mal auch. „Zuhause soll für meine Kinder ein schöner, fröhlicher Ort sein, deshalb lache ich viel mit ihnen“, betont sie. Doch sie gibt auch zu, dass ihr oft genug die Tränen kommen - nur eben nicht vor ihren Kindern. „Ich rede viel mit meiner Schwester, das hilft mir sehr.“

Bei ihrer Tochter Sammy nahm Nadine Senz die Entwicklung aufgrund ihrer Erfahrungen mit Logan von Anfang an anders wahr. Auch Sammy zeigte Auffälligkeiten wie eine schlechte Aussprache, auch sie reihte alle möglichen Gegenstände in Reih und Glied auf. „Viele in meinem Umfeld sagten immer, dass sie sich das bei Logan abgeguckt hätte, dabei hatte er diese Ticks zu diesem Zeitpunkt schon gar nicht mehr“, erzählt die vierfache Mutter.
Ihr kleine Tochter ließ sich zudem nicht anfassen, wenn sie wütend oder traurig war. Darunter litt ihre Mutter sehr: „Ich wollte meine Tochter doch in den Arm nehmen, sie beruhigen und trösten.“
Frühe Diagnose bei Sammy
Nadine Senz wählte bei ihrer Tochter dann nicht den Umweg über die Kinderärztin, sondern ging mit Sammy direkt zu dem Kinder- und Jugendpsychiater, bei dem auch Logan in Behandlung ist. Dieser diagnostizierte bei Sammy bereits im zarten Alter von zweieinhalb Jahren Autismus. Seitdem geht Sammy, genau wie ihr Bruder, einmal die Woche zur Autismustherapie.
Anders als bei Logan fällt Sammys Autismus dem Umfeld der Kinder kaum auf. „Mädchen können sich generell sehr gut anpassen, deshalb bleibt Autismus bei ihnen sogar häufig undiagnostiziert“, weiß die vierfache Mutter. Sogar mit Zweifeln an der Richtigkeit der Diagnose musste sich die Bövinghausenerin schon herumschlagen: „Eine Erzieherin von Sammy sagte immer: Die hat das nicht.“
Dass Sammy sich jedoch oft nicht neurotypisch verhält, weiß ihre Mutter nur zu gut. So will die Vierjährige zum Beispiel immer bestimmen, wer wo im Auto sitzt. „Und wenn sie das nicht bestimmen kann, dann sitzt sie eben nicht im Auto“, erzählt ihre Mutter schmunzelnd.

In vielen Situationen ist Nadine Senz nachgiebig und äußerst geduldig mit ihren Kindern, lächelt sich anbahnende Konflikte weg. Doch nicht immer gelingt ihr das. So erinnert sie sich zum Beispiel an ein Ereignis, das auch Sammys Autismus verdeutlicht: „Sie hat beim Heimweg einmal einen Marienkäfer entdeckt, wollte ihn anschauen und füttern. Wir hatten jedoch nicht viel Zeit, und als ich ihr sagte, dass wir weitergehen müssen, trat sie plötzlich auf dem Marienkäfer herum und lachte.“
Nicht nur Nadine Senz war über das Verhalten ihrer Tochter erschrocken, auch Logan erzählt auch über ein Jahr später immer wieder davon. „Er hat einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn“, sagt sie. „Aber das war eben Sammys Ausweg, die Situation abrupt beenden und weitergehen zu können.“
Umfeld reagiert verurteilend
Wenn Außenstehende solche Situationen miterleben oder wenn Logan zum Beispiel auf die vielen Eindrücke im Supermarkt mit Unruhe und Lautsein reagiert, werden die Kinder und ihre Eltern oft schräg angeschaut. „Mein Mann erklärt den Leuten, warum sich unsere Kinder so verhalten, ich schlucke ehrlich gesagt vieles runter“, sagt die vierfache Mutter, die sich oft verurteilt wird. „Ich stecke meine Kraft nicht in solche Konflikte.“
Ihre Kraft braucht die sympathische Mutter eben für ihre Kinder. Sie muss ihren Kindern feste Alltagsstrukturen bieten und sie bei ganz alltäglichen Dingen unterstützen. Sammy und Logan haben deshalb Pflegegrad 2 und 3. Ihrem Beruf als Familienpflegerin kann Nadine Senz nicht so einfach nachgehen, hat vor der Geburt ihrer jüngsten Tochter im letzten September nur am Wochenende gearbeitet, wenn ihr Mann freihatte.
Für ihre Kinder wünscht sie sich, dass Inklusion nicht länger nur ein Schlagwort bleibt: „Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft offener wird, dann hätten es meine und viele andere Kinder sehr viel leichter.“