Ärger um neue Volt-Fraktion Güleç sitzt im NRW-Vorstand von umstrittenem Moscheeverband

Wieviel Einfluss hat Erdogan auf den Dortmunder Rat?: Zoff um Ratsmitglied neuer Volt-Fraktion
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Die Gründung der neuen Fraktion „Volt und Vielfalt“ im Dortmunder Rat hat für einige Aufregung gesorgt. Von einer „Blackbox“ ist da die Rede, von der niemand wisse, was sie beinhalte. Genauso wie von einer „politischen Egoshow“, weil die beiden neuen Fraktionschefs Antje Joest (ehemals FDP) und Christian Gebel (ehemals Piratenpartei, aber Mitglied der Linksfraktion) ihre Ratsmandate mit zu ihrer neuen Partei Volt genommen haben - einer Partei, die vorher noch gar nicht im Dortmunder Rat gesessen hatte.

Ableger türkischer Religionsbehörde

„Mir stellt sich die Frage, was Volt für ein Demokratieverständnis hat, Mandate einfach so mitzunehmen und darüber eine neue Fraktion zu gründen“, sagt die Grünen-Fraktionschefin Katrin Lögering.

Die Linken, denen durch die Gründung von „Volt und Vielfalt“ mehrere Ausschusssitze wegzufallen drohen, wollen die neue Fraktion nicht einmal anerkennen und die Rechtmäßigkeit juristisch prüfen lassen.

Fraktionschef Utz Kowalewski beruft sich auf die Gemeindeordnung: Laut dieser müssen Fraktionen eine „grundsätzliche politische Übereinstimmung“ teilen. Die sehe er zwischen der „marktkapitalistischen“ Ex-FDP-Frau, dem „sozialistischen“ Ex-Piraten-Linken und dem dritten Bunde, Emre Güleç, nicht gegeben.

Besonders an letzterem scheiden sich die Geister. Denn Güleç - seit 2020 für das „Bündnis für Vielfalt und Toleranz“ (BVT) im Dortmunder Rat und nun erstmals Mitglied einer Fraktion - sitzt als stellvertretender Vorsitzender im NRW-Landesvorstand von DITIB, der größten islamischen Organisation Deutschlands.

DITIB fungiert als Dachverband von mehr als 900 Moscheen in Deutschland, so auch der Osman-Gazi-Moschee in Huckarde, deren Vorstand Güleç seit 2008 vorsitzt.

Die drei Fraktionsmitglieder stehen auf dem Westenhellweg und lächeln in die Kamera.
Umstrittene neue Volt-Fraktion im Dortmunder Rat: Neben Antje Joest (Ex-FDP) und Christian Gebel (Ex-FDP) ist auch Emre Güleç vom Bündnis für Vielfalt und Toleranz Teil der neuen Fraktion. © Tim Ruben Weimer

DITIB ist abhängig von der türkischen Religionsbehörde Diyanet - sowohl finanziell als auch religiös. So sind ein Großteil der an DITIB-Moscheen beschäftigten Imame von der Türkei entsandte Beamte der Diyanet. In der Vergangenheit gab es Antisemitismusvorwürfe gegen DITIB, Imame sollen Anhänger des Predigers Fethullal Gülen ausspioniert und deren Daten in die Türkei weitergegeben haben.

Trotzdem arbeitet die NRW-Landesregierung mit DITIB zusammen, allen voran bei der Gestaltung des islamischen Schulunterrichts, bei der nach eigener Aussage auch Güleç beteiligt ist.

Fraktionen lehnten Güleç ab

Güleçs Engagement bei DITIB sorgte bereits 2020 bei seinem Einzug für das BVT in den Dortmunder Rat für Stirnrunzeln. Er hatte die Fraktionen auf eine mögliche Aufnahme bei ihnen abgeklopft, war aber nirgendwo auf Bereitschaft gestoßen.

„Wir kannten ihn nicht und wussten auch nicht, wie das BVT so tickt“, sagt Linken-Chef Utz Kowalewski. Hauptgrund für seine Skepsis: Güleçs DITIB-Engagement.

Auch weitere BVT-Mitglieder sind mit dem Islamverband assoziiert. So steht Pressesprecher Mustafa Sahin der DITIB-Selimiye-Moschee in Eving vor, die 2021 mit einem Schweinekopf attackiert wurde. „Wir wollten bei uns kein Islamismus-Problem haben“, sagt Kowalewski. „Ohne die Organisation dahinter wären wir deutlich offener für Güleç gewesen, denn er ist ja eigentlich ein umgänglicher Mensch.“

Ähnlich argumentiert die FDP: „Wir konnten das BVT auf dessen Nähe zu Erdogan überhaupt nicht einschätzen, deswegen war uns das zu heiß“, sagt Fraktionschef Michael Kauch.

Auch bei der SPD hatte es Gespräche gegeben. „Wir haben große Probleme mit DITIB“, sagt die Fraktionsvorsitzende Carla Neumann-Lieven. „Uns macht es Sorgen, dass der türkische Staat so extrem dort hineinregiert. Wir wissen aber, dass Güleç dort eher zu den moderateren gehört und gehen daher freundlich mit ihm um. Eine Zusammenarbeit mit ,Volt und Vielfalt‘ sehen wir aber aktuell nicht.“

Grüne schließen Zusammenarbeit aus

Die Grünen-Fraktion hat nun sogar formell ausgeschlossen, mit der neuen Fraktion zusammenzuarbeiten. Güleç sei von seiner Rolle als DITIB-Funktionär nicht zu trennen, begründet Fraktionschefin Lögering das. „Er selbst setzt sich für migrantische Communitys ein und hat Gutes im Sinn. Es ist aber die Frage, welchen Einfluss die Strukturen dahinter ausüben, auch auf gemäßigte Mitglieder.“

Der Beschluss der Grünen ist bedeutsam, weil Güleç selber von 2010 bis 2020 Mitglied der Grünen in Dortmund war. Den Beschluss der Grünen bezeichnet er deshalb als „irritierend. Viele der aktuellen Grünen-Mitglieder kennen mich sehr gut aus der Zeit unserer Zusammenarbeit. Sie wissen um meine Haltung und meine enge Verbundenheit zu demokratischen Werten. Einige von ihnen waren sogar Gäste in meiner Moschee in Huckarde.“

2020 hatte Güleç versucht, einen aussichtsreichen Platz auf der Liste der Grünen für den Stadtrat zu ergattern, war aber gescheitert - nach Aussage Lögerings auch damals schon wegen seines DITIB-Engagements. Stattdessen gründete Güleç die Wählergemeinschaft „Bündnis für Vielfalt und Toleranz“ und zog damit als Fraktionsloser in den Rat ein.

Das BVT setzt sich laut seiner Internet-Präsenz für ein vielfältiges, tolerantes, gemeinschaftliches und zukunftsorientiertes Dortmund ein. Güleç, der seit 30 Jahren in der Dortmunder Kommunalpolitik aktiv ist und vor seiner Zeit im Rat 25 Jahre im Integrationsrat (dem früheren Ausländerbeirat) saß, betont, dass er sich im Rat für sämtliche Bürgerinnen und Bürger der Stadt engagiere, insbesondere jene, „deren Stimmen oft nicht gehört werden“. Es gehe ihm nicht nur um die Rechte von Türken, Muslimen oder Migranten. „Es liegt mir am Herzen, dass alle Einwohner von Dortmund von meinen Initiativen und meinem Engagement profitieren können.“

DITIB für viele Türken unausweichlich

Der Dortmunder Politikwissenschaftler Matthias Kortmann hat sich in seiner Doktorarbeit mit DITIB beschäftigt. Er sagt, die „Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion“ - wie DITIB offiziell heißt - sei zwar als Ableger der türkischen Religionsbehörde Diyanet gegründet worden, in vielen Punkten aber unabhängig. Es sei schwer nachzuvollziehen, wie nah jemand, der sich dort engagiert, der türkischen Regierung stehe.

Das Ziel des Islamvereins sei, eine anerkannte Religionsgemeinschaft analog zu den Kirchen zu werden und damit in Deutschland mehr Mitbestimmung in religionspolitischen Fragen zu bekommen. „Wer sich in Deutschland in einem Moscheeverein engagieren möchte, nimmt meistens in Kauf, dass das ein DITIB-Verein ist. Das heißt aber nicht, dass diese Leute alle der verlängerte Arm Erdogans sind.“

Der Einfluss von DITIB in Deutschland werde schnell überschätzt, so Kortmann. In der Kommunalpolitik sei das jenseits von Religionsfragen kaum zu erwarten. „Welche Ziele sollte DITIB in Dortmund haben? Das ist viel zu weit weg vom Erdogan-Staat“, so Kortmann. Deswegen sehe er die Doppelfunktion von Emre Güleç auch eher unproblematisch. „Man müsste schon genau das Handeln von ihm im Rat analysieren.“

Muslimisches Grabfeld war Hauptprojekt

Tatsächlich hielt sich Güleçs Einsatz im Dortmunder Rat bislang in Grenzen. Das liegt aber auch daran, dass fraktionslose Mitglieder keine Anträge einbringen dürfen und keinen Anspruch auf Sitze im Ausschuss haben. Seine wenigen Beiträge bezogen sich fast ausschließlich auf Anliegen der türkisch-muslimischen Gemeinschaft.

Sein größtes Projekt war die Verbesserung des muslimischen Grabfeldes auf dem Dortmunder Hauptfriedhof, wo es bald einen überdachten Gebetstisch und eine Waschanlage für rituelle Waschungen geben soll. DITIB habe dabei keine Rolle gespielt, so Güleç. „Diese Themen entstehen aus dem Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern, nicht aus Anweisungen oder Bitten von DITIB oder anderen Organisationen.“

Auch der Dachverband türkischer Arbeiter- und Kulturvereine DIDF - selbst teils wegen möglichem Linksextremismus in der Kritik - hat in Dortmund kein Problem mit Güleç. „Er hat sich während seiner 25 Jahre im Integrationsrat für die Interessen aller Migranten eingesetzt“, sagt die Vorsitzende Nursel Konak.

Güleç betont, es sei ihm „sehr wichtig, Politik und Religion klar voneinander zu trennen. Meine ehrenamtliche Tätigkeit bei DITIB beschränkt sich auf Themen der Moscheegemeinden und hat keinerlei Einfluss auf meine politische Arbeit im Rat.“

Mit der türkischen Religionsbehörde Diyanet habe er abgesehen von Empfängen als Moschee-Vorsitzender beim Generalkonsul keinen persönlichen Kontakt. Bei DITIB arbeite er ausschließlich mit deutschen Institutionen zusammen. Geld bekomme er für seine ehrenamtliche Arbeit bei DITIB keines, hauptberuflich arbeitet er bei Vodafone.

„Konservativ-religöse Organisation“

Als der Dortmunder Rat Ende 2022 eine Resolution gegen den Angriffskrieg der Türkei in Nordsyrien und im Nordirak verabschiedete, gehörte Güleç neben FDP und AfD nicht zu den Unterzeichnern. In seiner Begründung sagte er, es sei die Aufgabe der Kommune, „den Geflüchteten Schutz und eine Perspektive zu geben.“

Die Konflikte zwischen Ländern seien dagegen auf der kommunalen Ebene nicht so einfach zu lösen. Die Formulierung eines „Angriffskriegs“ der Türkei verwendete er dabei im Gegensatz zu den Unterzeichnern der Resolution nicht.

„Es gibt bei DITIB durchaus konservative Strömungen, wo man sich fragen kann, wie das mit Toleranz einhergehen soll“, ordnet Wissenschaftler Kortmann ein. „Die Frage kann man sich aber auch bei der katholischen Kirche stellen. Die DITIB ist so tolerant, wie eine konservativ-religiöse Organisation eben sein kann.“

In der Türkei marginalisierte Gruppen wie zum Beispiel die Aleviten hätten auch in Deutschland ein Problem mit DITIB. Radikalisierung sei dagegen eher bei Moscheen, die nicht dem DITIB-Verband angehören, ein Problem.

Güleç erhielt Integrationspreis

Für die beiden neuen Fraktionsvorsitzenden von Volt und Vielfalt, Antje Joest und Christian Gebel, ist Güleçs DITIB-Engagement kein Grund für Kritik. „Uns war das bewusst und wir haben das lange diskutiert“, so Joest. „Wir sehen jede Art von religiöser Einmischung ins öffentliche Leben kritisch. Aber wir haben bei Güleç nichts gefunden, was schwierig gewesen wäre.“ Ganz im Gegenteil:

Mit seiner Moschee erhielt Güleç 2019 den Integrationspreis der Stadt Dortmund für ein gemeinsames Theaterprojekt mit einer jüdischen und evangelischen Gemeinde. „Ich finde es schade, dass sich gerade die Leute, die für Integration sorgen, rechtfertigen müssen, ob sie denn selber genug integriert sind“, so Joest. Ihr Fraktionspartner Christian Gebel ergänzt: „Es sind immer Abwägungsprozesse und natürlich geht es auch darum, wie Dinge wirken. Aber wir haben diesen Prozess abgeschlossen und sind zu einem eindeutigen Ergebnis gekommen.“