Sie kennt viele Mütter, die sich für diese Gedanken schämen, sagt Patricia. Die sich nicht trauen, sie auszusprechen. Die dreifache Mama aus Dortmund tickt da anders. Auf die Frage „Wenn du die Zeit zurückdrehen könntest, würdest du dann noch einmal Mutter werden, mit dem Wissen von heute?“ fällt ihre Antwort ohne Zögern völlig eindeutig aus: „Nein, ganz klar. Da hätte ich mir und meinen zwei kleinen Stöpseln viel Leid erspart.“
Patricia bereut ihre Mutterschaft nicht vom ersten Tag an - es ist ein längerer Prozess. Mit ihrem ersten Sohn, der mittlerweile schon volljährig ist, läuft es noch gut. „Ich war mit ihm lange alleinerziehend, aber das hat gut funktioniert, wir waren glücklich.“ Nach einigen Jahren lernt sie einen neuen Partner kennen, der sich Familie wünscht. Patricia lässt sich darauf ein, bekommt mit ihm zwei Kinder.
Schnell merkt sie, dass das Familienleben ganz anders läuft, als sie es sich erhofft hat: „Ich habe mich alleine um alles gekümmert. Ein normaler Lebensmitteleinkauf mit den Kindern war meinem Partner schon zu anstrengend.“ Irgendwann ist sie mit den Kräften am Ende. „Ich war total fertig. Diese Phasen, wenn man nicht mehr weiß, wann man das letzte Mal geschlafen hat, wann man mal Zeit für sich hatte.“
Studie „Regretting Motherhood“
Gespräche bringen keinerlei Besserung. Irgendwann hält sie es nicht mehr aus, trennt sich. Wieder alleinerziehend, komplett auf sich gestellt. Bis heute. Ihre jüngeren Kinder sind mittlerweile 7 und 8 Jahre alt. Heute sagt sie: „Natürlich ist es immer unterschiedlich, es gibt auch gute Phasen. Aber zwischendurch bereue ich es wirklich, Mutter zu sein.“
Und auch, wenn es ihrer Erfahrung nach nur wenige Mütter aussprechen, ist sie damit nicht alleine. Öffentlich wurde die Problematik spätestens 2015 ein viel diskutiertes Thema: Da veröffentlichte die Soziologin Orna Donath die Studie „Regretting Motherhood“ (Bedauern der Mutterschaft) und löste damit heiße Debatten aus. 23 Frauen aus Israel sprechen darin offen darüber, dass sie mit der Entscheidung, Mutter zu werden, nicht glücklich geworden sind, dass sie sie bereuen.
Ein entscheidender Aspekt, der von vielen der Studienteilnehmerinnen genannt wurde: gesellschaftlicher Druck. Noch immer gehört es zum klassischen Rollenbild, dass eine Frau zur Mutter wird und in der Erfüllung dieser Aufgabe aufgeht. Entscheide sich eine Frau gegen Kinder, sei das ein Makel. Das empfindet auch Patricia so: „Man soll Kinder bekommen, das ist doch die gesellschaftliche Erwartung.“ Entscheide man sich dementsprechend, werde man damit alleingelassen: „Wer ist dann da, wenn man eine Pause braucht?“
„Alles aufgegeben für die Kinder“
In Patricias Fall ist die Frage rhetorisch. Niemand ist verlässlich da, um sie zu entlasten, ihr Auszeiten zu verschaffen. Nach der Trennung zeigt der Vater der Kinder wenig Interesse daran, Verantwortung zu übernehmen, sagt Patricia. Sie hat diese Wahl nicht, muss täglich für ihre Kinder funktionieren. „Ich liege hier manchmal abends im Bett und heule, weil ich nicht mehr kann, weil ich so alleine bin.“
Eigentlich sei sie ein freiheitsliebender Mensch. „Das habe ich alles aufgegeben für die Kinder.“ Es ist eine Mischung aus äußeren Faktoren und der inneren Haltung, die bei Patricia zusammenkommen. Die sie ihre Mutterschaft bereuen lassen.
Reue empfindet die Dortmunderin aber nicht nur in Bezug auf ihr Muttersein, sondern auch im Umgang mit ihren Kindern. „Ich laufe teils nur noch auf Notstrom, bin nervlich am Ende. Dann behandele ich meine Kinder auch schlechter, als ich es eigentlich könnte. Ich schreie sie an, es pfeffert dann einfach aus mir raus. Das haben sie nicht verdient. Sie hätten eine bessere Mutter verdient.“
Liebe und Reue
Wenn Patricia das erzählt, wird deutlich, dass da zwei Gefühle sind, die oberflächlich betrachtet nicht zusammenpassen: das Bereuen der Mutterschaft auf der einen Seite – die Liebe zu ihren Kindern auf der anderen. „Ich liebe meine Kinder von ganzem Herzen, sie sind großartig.“
Dieser Aspekt ist auch Wiebke Schenter wichtig. Die zweifache Mutter setzt sich auf ihrem Instagram-Account „Piepmadame“ mit feministischer Mutterschaft und explizit dem Thema Regretting Motherhood auseinander. Und widerspricht dem Vorurteil, dass Mütter, die ihre Mutterschaft bereuen, auch ihre Kinder bereuen, diese nicht lieben. Ob sich ihre Kinder nicht ungeliebt und verstoßen fühlen könnten, wenn sie das Thema so öffentlich anspreche, werde sie oft gefragt. „Ich liebe sie ja und sage ihnen das jeden Tag mehrmals.“ Dass beides parallel existieren kann, sei für sie ein langer Weg gewesen, berichtet sie auf ihrem Account.
„Ich habe früher nie darüber nachgedacht, ob es eine Möglichkeit gibt, als Frau ohne Kinder glücklich zu sein. Man könnte dazu wohl sagen, dass ich schon immer Kinder haben wollte.“ Aus heutiger Sicht empfinde sie dies aber als unreflektiert und gesellschaftlich vorgegeben.
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Was ihr daher sehr wichtig ist: „Es muss darüber gesprochen werden, damit wir jungen Frauen Optionen an die Hand geben! Dass man eben nicht Mutter werden muss, man muss als Frau keine Kinder kriegen, um glücklich sein zu können. Und man kann Kinder kriegen – und trotzdem seine Mutterschaft bereuen, ohne eine schlechte Mutter zu sein. Wir müssen alle Facetten aufdecken, damit die Wahl wirklich frei wird.“
Dafür wirbt auch Soziologin Orna Donath in einem Interview mit der taz: „Wenn wir anerkennen, dass Mutterschaft nichts ist, was alle Mütter glücklich macht, lässt sich Leid reduzieren. Dann können Frauen freier entscheiden, ob sie Kinder möchten oder nicht.“
Dem stimmt auch Patricia voll zu - und wünscht sich von anderen Eltern, offener mit dem Thema umzugehen. „Mit Freundinnen habe ich über mein Bereuen schon offen gesprochen, die können das durchaus verstehen.“ Aber in der Öffentlichkeit erlebe sie immer wieder Mütter, die ausschließlich von einer heilen Familienwelt erzählen.
„Da denke ich oft: Du musst ja wirklich perfekte Kinder haben.“ Dabei kenne doch jeder Phasen, in denen Kinder extrem anstrengend seien. In denen man voll in Beschlag genommen werde. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich andere Mütter nicht auch mal weinend auf der Toilette einschließen, weil man einfach nicht mehr kann.“ Darüber offener zu sprechen, würde schon helfen, davon ist Patricia überzeugt.
Für sie stehen nun aber zwei Wochen an, in denen sie ihre Mutterrolle ablegen darf - 14 Tage Urlaub in Spanien, ganz allein. Eine dringend benötigte Auszeit. „Ich freue mich unglaublich auf diese zwei Wochen.“
Bestimmte Pläne habe sie nicht. „Ich packe mir ein, zwei Bücher ein, schlafe aus, setze mich mit einer Flasche Wein an den Strand oder lege mich in die Badewanne - ohne dass jemand anklopft oder nach Mama ruft.“
Umfrage unter Eltern
Das Marktforschungsinstitut YouGov hat im Januar 2022 eine Umfrage unter Eltern durchgeführt: Demnach würden sich 39 Prozent der 18- bis 24-jährigen Eltern heute nicht nochmal dazu entscheiden, Kinder zu bekommen. Bei den über 55-Jährigen stimmten 17 Prozent der Aussage „Wenn ich mich heute noch einmal entscheiden könnte, würde ich keine Kinder mehr bekommen wollen“ zu.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 17. August 2024.