Ein liegengelassener labbriger schwarzer Luftballon mitten auf der Straße. Überbleibsel eines Kindergeburtstages? Im lebendigen Dortmunder Brückstraßenviertel wohl kaum. Ein paar Meter weiter, neben einem Gullideckel, eine blaue Ein-Liter-Gaskartusche. Aufschrift: 99,95 Prozent N2O, also Distickstoffmonoxid, auch Lachgas genannt. Die Flasche nennt auch den Verwendungszweck des Inhalts: „Whip“ - zum Aufschlagen von Sahne gedacht. Zumindest vorgeblich.
Hochgefühl hält eine Minute an
Lachgas wird heutzutage eher weniger beim Kaffeekränzchen genutzt, sondern ist zur neuen Modedroge unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen geworden. Weil das Gas aus der Flasche bis zu -55 Grad kalt ist, wird es meist erst in einen Luftballon umgefüllt. Schon wenige Sekunden nach dem Einatmen tritt ein Hochgefühl ein, das aber nur für rund eine Minute anhält. Eigentlich eine eher harmlose Droge, Schäden schon nach dem ersten Konsum sind eher unwahrscheinlich. Im Gegensatz zu Alkohol darf Lachgas sogar an Jugendliche verkauft werden. Trotzdem warnen Mediziner und Sozialarbeiter vor dem Gas, und Gesundheitsminister Karl Lauterbach erwägt ein Verkaufsverbot an Jugendliche. Wie gefährlich ist der Lachgas-Trend in Dortmund?

Man muss schon wissen, wonach man suchen muss, um im Dortmunder Viertel Hinweise auf Lachgaskonsum zu finden. In abgelegenen Ecken der „Hohen Luft“, einem Seitenarm der Brückstraße hinter Rewe, finden sich öfter Luftballons und herumliegende Gasflaschen. Öffentlicher Lachgaskonsum in der City scheint jedoch eher die Ausnahme zu sein, zumindest in der kalten Jahreszeit. „Gerade die Innenstadt ist nicht immer attraktiv für Jugendliche, es gibt keine festen Plätze, wo sich die Szene treffen würde“, erklärt Annemarie Skubch von der Präventionsfachstelle des Dortmunder Jugendamtes. Der Konsum geschehe eher dezentral, und oft sei Lachgas nur eine konsumierte Droge unter vielen. Das mache auch die Einschätzung der Gefährlichkeit von Lachgas so schwierig.
Lachgas fast an jedem Kiosk
Klar ist aber: Wer Lachgas haben möchte, bekommt es auch, ungeachtet des Alters. Die Kioske in der Dortmunder City haben Lachgas zwar meist nicht an vorderster Ladenfront stehen, rücken auf Nachfrage aber mit den Flaschen heraus.
50 Euro will man beim Kiosk Helan auf der Kampstraße für eine Zwei-Liter-Flasche haben - kein unüblicher Preis. An Unter-18-Jährige will angeblich niemand verkaufen, auch Roma nicht, der in seinem Laden „Treffpunkt“ auf der Lütge Brückstraße die bunten Flaschen mit Namen wie „Cream Charger“ oder „Exotic Whip“ prominent aufgetürmt hat.
„Ich verkaufe die seit einem halben Jahr“, sagt er. „Ich bin immer wieder danach gefragt worden und dann habe ich sie ins Sortiment aufgenommen.“
Der benachbarte Bullet Shop hat die bunten Dosen im Schaufenster ganz vorne stehen, zur Auswahl stehen auch aromatisierte Varianten in den Geschmacksrichtungen Wassermelone, Erdbeere, Heidelbeere und Pfirsich.
Auch über „Lachgas-Taxis“ lässt sich die Droge ganz legal per Hauslieferung bestellen. Die Bestellung läuft online, die Kommunikation per Anruf oder WhatsApp. Die Kundschaft sei bunt gemischt, erzählt ein Mitarbeiter, und reiche von jungen Erwachsenen mit dicken Autos bis zu einer Chinesin, die eine Packung für eine Firmenfeier bestellt habe. Eine 640-Gramm-Flasche kostet beim „Lachgastaxi Nordrhein-Westfalen“ 40 Euro, also deutlich mehr als im Kiosk.

„Das Problem von Lachgas ist dessen leichte Verfügbarkeit“, sagt der Dortmunder Streetworker Florian Fischer. „Es steht im Kiosk gleich neben den bunten Süßigkeiten und wird dann auch noch mit bunten Luftballons assoziiert. Das macht es für Minderjährige schwierig, zu begreifen, was daran problematisch sein sollte.“
Ein Mitarbeiter der Dortmunder Jugendberatungsstelle Feedback spricht von einem regelrechten „Lachgas-Hype“ in Dortmund, vor allem im vergangenen Frühjahr. Neu ist der Trend indes nicht:
Erste „Lachgaspartys“ gab es schon in den 1830er-Jahren, in der Technoszene kam Lachgas in den 1990er-Jahren erneut in Mode. Neu sei aber, dass Lachgas nicht mehr in kleinen Kapseln für den Sahnespender, sondern in ganzen Flaschen vermarktet wird, so der Sozialarbeiter.
Dazu kommt, dass Rap-Idole wie Haftbefehl und Capital Bra für die Droge Werbung machten - bis sie selber wegen Überkonsums Konzerte abbrechen mussten, Capital Bra landete sogar kurzzeitig im Rollstuhl. Heute warnen beide vor Lachgaskonsum.
Konsum nicht nachweisbar
„Ein ehemaliger Konsumierender hat gegenüber Dortmunder Schülerinnen und Schülern geäußert, dass er das Suchtpotenzial von Lachgas vergleichbar mit Kokain, Crack oder Heroin findet“, sagt Annemarie Skubch. Weil der Rausch aber nur so kurz anhält, lasse sich die Droge gut in den Alltag integrieren, etwa auf dem Weg zur Schule, in der Pause, vor einer Prüfung oder gar unterwegs im Auto, was allerdings verboten ist. „Es ist ein Realitätsentzug auf Knopfdruck.“

In Dortmund kam es 2024 zu mindestens einem Unfall in Verbindung mit Lachgas, insgesamt zählte die Polizei 102 Verkehrsverstöße im Zusammenhang mit der Droge. Das Problem: Lachgas lässt sich nicht nachweisen, die gezählten Verstöße kamen nur zustande, weil die unter Druck stehenden Flaschen nicht ordnungsgemäß im Auto gesichert waren. Die Dortmunder Polizei hat beim Thema Lachgas vor allem die Raser- und Poserszene im Auge.
Vor allem Schüler unter 16
In den Dortmunder Clubs spielt Lachgas keine große Rolle. „Das würde bei uns gar nicht funktionieren, weil wir Taschenkontrollen haben und die Flaschen auffallen würden“, sagt Yves Oecking vom Nachtclub „Weinkeller“. Laut dem Dortmunder Nachbeauftragten Chris Stemann war der Platz von Amiens einst ein Lachgas-Hotspot. Seit der Platz beleuchtet wird, habe sich die Situation entspannt.

An den Schulen dagegen sei Lachgas auch bei jüngeren Schülern unter 16 ein Thema, sagt Skubch. „Eigentlich kennt jeder jemanden, der schon einmal Lachgas konsumiert hat.“
„Wir bemerken zunehmend, dass an Bushaltestellen und im Umfeld der Schulen Luftballons und Kartuschen herumliegen“, sagt der Dortmunder Vertreter des Philologenverbands, Jörg Schulte-Steinberg. Eltern und Lehrern bereite diese Entwicklung Sorge. Noch werde aber nur beobachtet, aktives Eingreifen sei bislang noch nicht nötig. „Wir hoffen, dass dieser Hype einfach wieder vorbeigeht.“ Allerdings, so Sozialarbeiterin Skubch, seien Lehrkräfte über die Gefahren des Konsums oft selber nur unzureichend informiert.
Konsum kann zu Lähmungen führen
Denn selbst eine „harmlose“ Droge wie Lachgas kann gravierende Auswirkungen haben. Sichtbar wird das bei Ulrich Hofstadt-van Oy in der Neurologie am Knappschaftskrankenhaus.
2024 hatte er erstmals drei Patienten, die aufgrund übermäßigen Lachgas-Konsums mehrere Wochen bei ihm in der Klinik waren. Die drei jungen Männer, darunter auch ein Student, hatten bis zu 100 Mal am Tag Lachgas inhaliert. „Das gab ihnen einen geilen Kick und erschien harmlos.“
Nach einigen Tagen fingen jedoch Arme und Beine an zu kribbeln und taub zu werden. Als sie in die Klinik kamen, konnten sie bereits nicht mehr laufen und saßen im Rollstuhl.

Lachgas hemmt die Wirkung des Vitamins B12, das der Mensch braucht, um Nervenimpulse effizient weiterzuleiten. Im MRT stellte Hofstadt-van Oy bei den drei jungen Männern Schäden im Rückenmark und im Nervensystem fest. Durch hochdosierte B12-Zugabe konnte er das Schlimmste verhindern - selbst eine Querschnittslähmung wäre nicht ausgeschlossen gewesen.
Doch selbst drei Monate nach abgeschlossener Therapie hatten die Männer noch Bewegungsprobleme, etwa beim Joggen. Für Hofstadt-van Oy ist klar: Es gibt keinen Grund, warum Lachgas frei verkäuflich bleiben und im Kiosk neben Haribo-Tüten stehen sollte.
Skubch sieht das differenzierter. „Ein Verbot hat in den seltensten Fällen Leute von Drogenkonsum abgehalten.“ Aber zumindest Jugendliche sollten stärker geschützt werden, da sie besonders anfällig für die Folgeerscheinungen von Lachgasmissbrauch sind.
Die Stadt Dortmund setzt daher auf eine Aufklärungskampagne über Plakate, Elternbriefe und ausliegende Flyer zum Thema Lachgas.