Es sind klassische Probleme, die Menschen mit ihren Pferden haben. Nein, andersherum: Es sind klassische Probleme, die Pferde mit ihren Menschen haben – weil ihre Menschen sie nicht immer verstehen.
Wenn das Pferd Angst davor hat, auf den Hänger zu gehen oder einen Bach zu durchqueren, wenn es beim Hufschmied nicht stillhält, beim Aufsitzen nicht stehenbleibt oder beim Ausritt einfach los galoppiert – dann heißt es schnell: „Mein Pferd hat ein Problem.“ In solchen Momenten können Jenny Wild und Peer Claßen aus Dortmund helfen. Und klären, dass das Problem meist beim Menschen liegt.
Dortmunder vermitteln „Natural Horsemanship“
Auf einem Bauernhof im Dortmunder Süden steht ein weißes Zelt auf einer Wiese – direkt neben einer Koppel mit vier Pferden. Im Zelt kocht Peer Kaffee am Holzofen. Am gemütlich rustikalen Tisch, der noch mit gruseliger Deko vom vergangenen Halloween-Fest geschmückt ist, erklären Peer und Jenny (beide 51), wie einfach die Sprache der Pferde ist. „Natural Horsemanship“ nennt man den besonderen Umgang mit Pferden, den die beiden vermitteln.
Wie sie dazu gekommen sind? „Mit Mitte 20 hatte ich ein Pferd. Und vieles war schwierig“, erinnert sich Jenny. Mit einer Freundin sah sie auf einer Messe Vorführungen von Leuten, die auf natürliche Weise mit ihren Pferden kommunizierten. „Unsere Probleme waren schnell gelöst – und es ergaben sich plötzlich so viele Möglichkeiten“, sagt Jenny.
Peer war nie im Reitverein. „Diese Vereins-Meierei, das war nichts für mich“, gesteht er. Irgendwann sollte er sich um das Pferd einer Freundin kümmern, die verreist war. „Da ging anfangs alles schief“, sagt er und lacht. Doch Peer geht den Problemen auf den Grund – und findet heraus: Die Kommunikation muss stimmen. Später studiert er Tierpsychologie.

Pferden die Angst nehmen
Auf einer Veranstaltung lernen sich Jenny und Peer 2008 kennen und lieben. „Wir waren sofort auf einer Wellenlänge“, sagt Jenny. Ihr tiefes Verständnis für Pferde machen sie sich zur Aufgabe. Sie bilden sich fort, besuchen Kurse. Dann unterrichten sie. Irgendwann schreiben sie eigene Bücher. Heute ist das Paar in ganz Deutschland unterwegs, um Menschen die Sprache und Natur der Pferde verständlich zu machen. Aber auch, um Pferden Angst zu nehmen und mehr Sicherheit zu geben.
Die Angst vor dem Hänger ist dabei nur ein Beispiel. „Viele Pferde haben schreckliche Dinge erlebt“, sagt Jenny. „Möglicherweise haben sie sich einmal beim Gang auf einen Hänger verletzt. Oder sie sind eingestiegen und haben ihre vertraute Umgebung und die Pferde, die sie dort kannten, nie wiedergesehen.“
Doch die Besitzer nähmen häufig zu wenig Rücksicht – oder wüssten nicht damit umzugehen. Man versuche dann, das Tier zu ziehen oder zu schieben, allein oder mit mehreren. Je hektischer die Menschen werden, umso mehr überträgt sich die Nervosität auf das Tier. Dann fügt Jenny einen bemerkenswerten Satz hinzu: „Viele Pferde haben aufgegeben, mit uns Menschen zu kommunizieren.“
Ein kleines „Nein“
Jenny und Peer jedoch achten auf die kleinsten Dinge. Geduldig führen sie das Pferd zum Hänger. Wann kommt der Moment, in dem das Tier verkrampft? Die Augen weit aufreißt, die Ohren anlegt? „Dann bleiben wir erst einmal stehen, oder gehen ein Stück zurück. Und später fragen wir das Pferd wieder.“ Peer fügt hinzu: „Wir haben einen Plan. Wir möchten dem Pferd helfen, damit es das Problem nicht mehr hat.“ Und es funktioniert – immer wieder.
Pferde hätten viele verschiedene Arten, „Ja“ oder „Nein“ zu sagen, erklärt Jenny. „Wenn ich morgens in die Box komme, und mein Pferd zeigt mir den Hintern, dann ist das ein Zeichen. Ein kleines ‚Nein‘. Von diesen Zeichen gibt es viele. Die kann ich nicht einfach übergehen.“
Geduld und Einfühlungsvermögen sind die Dinge, die Peer und Jenny Pferdemenschen beibringen. Dinge, die im hektischen Alltag manchmal untergehen. Peer betont daher: „Niemand hat scheinbar Zeit dazu, es einmal richtigzumachen. Aber viele haben die Zeit dazu, es immer wieder falsch zu machen.“ Und Jenny ergänzt: „Wenn man sich mehr Zeit nimmt, kommt man am Ende schneller ans Ziel.“

Natural Horsemanship: Ein Beispiel
Auf der Koppel zeigen Jenny und Peer dann, wie sie mit ihren Pferden Amy, Micky, Lex und Sally zusammenarbeiten. Amy ist die schokoladenbraune Chefin der Bande. Micky, der gescheckte Ire, liebt Leckerchen und schlägt gern über die Stränge, um welche zu ergattern. „Deshalb müssen wir bei ihm aufpassen, dass er nicht zu viele bekommt“, sagt Peer und lacht. Die spanische Schimmelstute Sally legt sich bereitwillig auf den Boden – oder setzt sich, während Peer ohne Sattel und Zügel auf Lex sitzt und um sie herumgaloppiert.
Jenny erklärt mir schließlich, wie ich mich neben Amy stellen und sie mit ausgestreckter Hand „fragen“ kann, ob sie mitgehen mag. „Tief durchatmen und fokussieren. Probiere aus, ob sie mit dir mitgeht. Auch wenn du nach links oder rechts gehst.“ Nach ersten holperigen Versuchen meinerseits bemerke ich, wie Amy auf meine Bewegungen achtet. Sie geht mit mir mit. Bleibt stehen, wenn ich stehenbleibe. Und folgt mir sogar, wenn ich nach links gehe. Dann lässt meine Konzentration nach – und Amy bleibt stehen, um Gras zu knabbern.
Von Jenny bekomme ich ein Lob, wenn auch kein Leckerchen. Die hat Micky bereits alle verspeist. Trotzdem ist es ein großartiges Erlebnis.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel wurde zu einem früheren Zeitpunkt schon einmal veröffentlicht und wird nun erneut publiziert.

- Informationen über die Kurse von Peer und Jenny findet man auf ihrer Homepage unter „www.peerundjenny.de“
- Die beiden haben nicht nur Bücher verfasst – Peer dichtet auch und schreibt Lieder –, die Pferdevideos von Amy, Micky, Lex und Sally haben inzwischen ebenfalls viele Fans.
- Der nächste Termin, um die beiden und ihre Pferde live zu erleben, ist der Equi-Tainment-Abend am 16. März 2024. Infos gibt es auf der Homepage unter „www.peerundjenny.de/product/equitainment-tickets“.
Fünf Probleme in Dortmund-Hörde: Was sie für den Stadtteil bedeuten und was dagegen getan wird
Hallenbad-Projekt im Dortmunder Süden endgültig gescheitert: „Ein ganz trauriges Kapitel“
Ohne Sattel und Zügel: Jenny, Peer und ihre Pferde zeigen „Natural Horsemanship“