Vom prächtigen Industriellen-Sitz zur verkommenen Ruine Geschichte der Tull-Villa am Phoenix-See

Tull-Villa: Vom prächtigen Industriellen-Sitz zur verkommenen Ruine
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Rund um den Phoenix-See in Dortmund-Hörde hat sich in den letzten Jahren so einiges getan. Doch zwischen der hübschen Hörder Burg und schicken, modernen Häusern, direkt am Hafen gelegen, verkommt ein historisches Gebäude immer mehr: Die alte Tull-Villa, in der Ludwig Tull mit seiner Familie gewohnt hat, gibt mittlerweile ein erschreckendes Bild ab. Ludwigs Vater war der ehemalige Generaldirektor des Hörder Bergwerk- und Hüttenvereins, Matthias Tull.

Das Haus, das 1893 auf dem Werksgelände erbaut wurde, verfällt. Die Fenster im ersten Stock hängen nur noch lose in ihren Halterungen, die Bauzäune sind teilweise ebenso marode wie die Villa selbst. Dass das alte Haus überhaupt noch an seinem Platz steht, ist unter anderem der Verdienst des Ehrenvorsitzenden des Hörder Heimatvereins, Willi Garth.

Nach der Werksschließung waren zunächst der Abriss des Hauses und der Neubau einer Markthalle angedacht. Andere Pläne, hier ein Heimatmuseum und ein Museum für den Künstler Bernhard Hoetger einzurichten, ließen sich nicht umsetzen. Investoren hatten sich nach anfänglichem Interesse wieder zurückgezogen. Mehrfach drohte der Abriss des Gebäudes.

Alte Tull-Villa in Dortmund-Hörde
Ludwig Tull (l.) lebte mit seiner Familie in der weißen Villa am Stahlwerk. Er war der Sohn von Matthias Tull, der als Retter des Hörder Stahlwerkes gilt. © Repro Garth

Wir blicken in unserer Chronik zurück auf die letzten zehn Jahre der alten Tull-Villa. Ein Blick in unser Archiv und die Berichterstattung offenbart, dass zwischen 2014 und 2024 rund um das historische Gebäude zwar viel passiert ist, jedoch ein schrittweiser Verfall der Tull-Villa einsetzte.

2014: Tull-Villa im Wartestand

Im August 2014 kündigte sich eine bedeutende Transformation für die Tull-Villa an. Gelegen am Phoenix-See, umgeben von Neuentwicklungen, sollte das einst prächtige Direktorenhaus einer Umgestaltung unterzogen werden. Das Internationale Konservatorium für klassische Musik hatte Pläne, die Räumlichkeiten der Villa zu beziehen und dort Nachwuchstalente auszubilden.

Ein moderner Anbau war geplant. Unter anderem sollte hier ein weiteres Café einziehen. Die Oldenburger Kette „Bar Celona“ stand offenbar bereits als Mieter fest. „Ein Bauantrag liegt vor, einen Termin für die Genehmigung gibt es noch nicht“, teilte Frank Bußmann, damaliger Pressesprecher der Stadt Dortmund, zu jener Zeit mit. Doch der Beginn der Umbaumaßnahmen ließ auf sich warten, auch weil archäologische Ausgrabungen nötig wurden. Gegen Ende des Jahres 2014 stand ein Baustart kurz bevor.

2015 bis 2016: Anbau an die Tull-Villa

Die Jahre 2015 und 2016 waren geprägt von gemächlichen Fortschritten und wiederholten Verzögerungen. Im Februar 2015 begann endlich der Anbau an die Villa und das Internationale Konservatorium sowie die Café-Kette „Bar Celona“ machten ihre Absicht öffentlich, hier einzuziehen. Hier sollte es also künftig musikalische Ausbildung und ein weiteres Gastronomie-Angebot geben. Dafür wurde ein ambitioniertes Ziel gesetzt: die Fertigstellung des Projekts bis Ende des Jahres 2015.

Die Tull-Villa in Dortmund-Hörde wird umgebaut.
Bauzaun, Kräne und Kontraste: An der Tull-Villa liefen im Mai 2015 die Arbeiten für die neuen Räume des Internationalen Konservatoriums am Phoenix-See. © Felix Guth

Doch die Arbeiten an der Villa gingen langsamer voran als geplant. Sie erstreckten sich bis ins Jahr 2016, weil, entgegen der ersten Hoffnungen, intensivere Maßnahmen in und um das Gebäude nötig waren – außerdem mussten die Arbeiten aufgrund von Starkregen und Frost mehrfach gestoppt werden.

Bei Arbeiten an einem Pumpenschacht stoppten kurz vor Weihnachten 2015 plötzlich die Maschinen. Tonscherben, rund 400 bis 600 Jahre alt, waren im Boden gefunden worden. Damit war die Tull-Villa ein Fall für die Archäologen der Unteren Denkmalbehörde, die jedes größere Bauprojekt in Dortmund begleiten, das an historisch bedeutsamen Stellen liegt.

Die Verantwortlichen vor dem Anbau an der Tull-Villa
Die damalige Bürgermeisterin Birgit Jörder, Bauunternehmer Stefan Rundholz, Alexander Ostrowski, Wilhelm Jonen (beide Konservatorium) und Willi Garth (Heimatverein, v.l.) stehen vor dem Anbau an der Tull-Villa. © Guth

Trotz Hindernissen berichtete Wilhelm Jonen, kaufmännischer Leiter des Projekts, von einem bevorstehenden Baustart und gab an, dass die Bauarbeiten nun im Innern weiterlaufen würden. Anfang 2016 war die Rede von Mitte des Jahres – Mitte des Jahres wurde der Einzug auf 2017 verschoben.

2017 bis 2018: Lage verschlechtert sich

In den Jahren 2017 und 2018 verschlechterte sich die Situation rund um die Tull-Villa zusehends. Pläne für die Zukunft der Villa mussten nochmals überdacht werden, als das Internationale Konservatorium am Phoenix-See seine Auflösung ankündigte.

„Es gab Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gesellschaftern. Wir befinden uns im Prozess der Trennung“, erklärte Yvonne Jonen, die als Liquidatorin fungierte, im September 2018. Ein Gesellschafter des Internationalen Konservatoriums war ihr Ehemann Wilhelm Jonen, der zweite Gesellschafter Alexander Ostrowski.

Auch im Rest des Jahres 2018 konnten weiter keine Fortschritte verzeichnet werden, stattdessen kamen interne Streitigkeiten ans Licht. Die Teilhaber der Eigentümer-GmbH der Tull-Villa gerieten in Uneinigkeit, was zu gegenseitigen Beschuldigungen führte. Meinungsverschiedenheiten verzögerten jedwede mögliche Entwicklung weiter. Trotz der Zerwürfnisse unter den Gesellschaftern wurden Pläne für ein neu gegründetes Joseph-Joachim-Konservatorium bekannt, das im historischen Gebäude angesiedelt werden sollte.

2020: Käufer für die Tull-Villa

Seit 2017 ging es an der ehemaligen Direktoren-Villa nun schon nicht mehr voran, sondern nur noch bergab. Hinter dem Bauzaun verfiel das Gebäude zusehends, Scheiben waren zerschlagen, Müll sammelte sich an, die Fassade bröckelte. Die „Bar Celona“ hatte sich längst aus dem Vorhaben herausgezogen.

So sieht die Tull-Villa heute aus - heruntergekommen.
Ein trauriger Anblick: Die alte Tull-Villa verfällt immer mehr und ist nach einem Anbau 2017 mittlerweile auch eine Bauruine geworden. © Bauerfeld

Im Oktober 2020, kurz bevor eine Zwangsversteigerung drohte, fand sich überraschend ein neuer Käufer für die Tull-Villa. Dies verhinderte nicht nur die Versteigerung, sondern öffnete ein neues Kapitel für das monumentale Gebäude am Phoenix-See. Details zu den neuen Besitzern oder deren Plänen mit der Tull-Villa blieben im Unklaren. Ein vom Amtsgericht beauftragtes Gutachten hatte den Verkehrswert der Immobilie damals auf 2,1 Millionen Euro taxiert.

2024: Droht der Abriss?

Bis ins Jahr 2024 bleibt die Zukunft der Tull-Villa ungewiss. „Die alte Baugenehmigung ist abgelaufen. Damit hat das Gebäude mit seinen Anbauten keine gültige Baugenehmigung“, erklärte Christian Schön, Stadt-Pressesprecher von Dortmund, zuletzt im Februar dieses Jahres auf Nachfrage unserer Redaktion.

Ohne den Schutz eines Denkmalstatus oder einer gültigen Baugenehmigung drohte der historischen Immobilie der Abriss. Trotz aller Bemühungen und Hoffnungen der vergangenen Jahre bleibt die Zukunft der Tull-Villa am Phoenix-See also ungewiss, ein Denkmal für unausgeschöpfte Potenziale und unvollendete Projekte.