Dortmunder sprengt Obergeschoss von Reihenhaus Karin E. stirbt 2017 qualvoll unter Trümmern

Bei einer Explosion lebendig begraben: Karin E. starb qualvoll unter Trümmern
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Eine gewaltige Explosion erschüttert eine Nachbarschaft in Dortmund. In der Teutonenstraße im Stadtteil Hörde ist das komplette Obergeschoss eines Reihenwohnhauses gesprengt worden. Wie durch ein Wunder haben die meisten Hausbewohner überlebt – alle bis auf Karin E., die in ihrem Bett unter Trümmerstücken begraben wurde und qualvoll erstickt ist.

Die Explosion war kein Unfall, wie sich später herausstellte. Stefan T., ebenfalls Hausbewohner, hat die Gasexplosion bewusst ausgelöst. Er galt schon im Vorfeld in der Nachbarschaft als sehr auffällig, Nachbarn beschwerten sich häufig bei der Polizei. So lange, bis man ihm zum 31. März 2017 die Wohnung gekündigt hatte. An diesem Tag flog das Mehrfamilienhaus in die Luft.

Der Tag der Tat

Die Explosion in der Teutonenstraße ereignete sich gegen 9 Uhr morgens. Die meisten Nachbarn waren schon bei der Arbeit. Eine Anwohnerin ist der Sprengung entkommen, weil sie gerade den Müll herausbrachte. Trümmerstücke des Obergeschosses flogen bis zu 60 Meter weit, die Mauern der angrenzenden Häuser waren stark beschädigt. Der Knall war so laut, dass eine Frau aus der Nachbarschaft später sagen sollte, sie dachten an einen Flugzeugabsturz.

Stefan T. wurde wegen Mordes, versuchten Mordes und Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion angeklagt (Archivbild).
Stefan T. wurde wegen Mordes, versuchten Mordes und Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion angeklagt (Archivbild). © Archiv

Schnell waren Polizei und Feuerwehr vor Ort. Ins Gebäude konnten sie aber nicht. Zu unsicher. Es blieb nur, von außen zu schauen, wie es den Anwohnern geht und zu prüfen, wie man die Unfallstelle, die sich später als Tatort herausstellen sollte, sichern kann.

Die Einsatzkräfte konnten mithilfe der Anwohner und Angehörigen auch in kurzer Zeit herausfinden, dass die meisten Bewohner in Sicherheit sind. Bei zweien war der Zustand kritisch: bei Karin E. und bei Stefan T. - dem Täter, wie sich später herausstellen sollte.

Er torkelte mit massiven Verbrennungen aus der Ruine heraus und wurde direkt dem Rettungsdienst übergeben. Durch seine Tat soll er an diesem Tag etwa 65 Prozent seiner Haut verloren haben – monatelang musste er in einer Spezialklinik behandelt werden.

Wie geht es Karin E.?

Zum Zeitpunkt der Explosion war es noch nicht klar, jedoch stellte sich später heraus, dass Karin E. ein grauenvolles Schicksal widerfuhr. Nach der Explosion, bevor die Feuerwehr ins Gebäude konnte, war noch unklar, ob sich E. im Haus befinde. Ihr Freund, Norbert P., der als Feuerwehrmann zum Haus bestellt wurde, hatte die schlimme Vermutung, sie könne sich im Bett befinden, unter Trümmerteilen. Denn am Vortag hatte sie Nachtschicht.



Das Krankenhaus, in dem Karin E. als Pflegekraft arbeitete, teilte mit, dass sie ihren Dienst normal angetreten und beendet hatte.

Nachrichten und Anrufe an E. gingen durch, die Nachrichten auf Whatsapp hatten sogar blaue Häkchen. Sie wurden also gelesen - doch niemand antwortete. Es kam ein schrecklicher Verdacht auf, der später in großen Teilen bestätigt wurde: Karin E. war lebendig begraben, konnte vermutlich auf ihr Handy schauen, sah die Nachrichten sogar, war aber wegen der Trümmer nicht in der Lage zu antworten. Und die Feuerwehr konnte nichts tun.

Ohne Sicherung des Gebäudes durch THW und Einsatzkräfte konnte niemand das Haus betreten. Angehörige wie Einsatzkräfte mussten neben dem Gebäude stehen, in dem Karin E. langsam und qualvoll verstarb. Als die Stelle einen Tag nach der Tat endlich abgesichert war, sahen die Retter: Karin E. lag tatsächlich in ihrem Bett. Sie hatte kaum Verletzungen, doch ein großes Trümmerstück lag auf ihrem Torso. Sie war erstickt.

Der irre Plan des Stefan T.

Obwohl man zuerst dachte, das Ganze sei ein tragischer Unfall gewesen, stellte sich im Laufe der Untersuchungen heraus, dass die Explosion mutwillig herbeigeführt wurde. Während der Täter Stefan T. noch in Lebensgefahr schwebte und in einer Klinik für Verbrennungsopfer behandelt wurde, stellten Sachverständige in der Ruine Spuren sicher.

Was ihnen dabei zuerst ins Auge fiel, war ein durch Muskelkraft verbogenes Gasrohr. Gutachter kamen schnell zu dem Schluss, dass das kein Zufall war, sondern Absicht. Durch Rekonstruktion der Abläufe fand man annäherungsweise heraus, dass der Täter durch dieses Rohr die eigene Küche über drei Stunden mit Gas geflutet haben musste.

Diese drei Stunden muss Stefan T. abgewartet haben. Am Ende war der Raum so voll mit Gas, dass ein einziger Funke die Explosion auslösen konnte. Mit gewaltigen Auswirkungen. Der Täter selbst muss sich, das machten Experten an seinen Verbrennungen fest, direkt im Zentrum der Explosion aufgehalten haben. Nach der Explosion berichten Zeugen, soll er noch gerufen haben: „Ich hab es euch ja gesagt, das habt ihr jetzt davon.“

Täter schon lange auffällig

Der Zeitpunkt der Tat war auch keinesfalls Zufall. Es war der Tag, an dem Stefan T. hätte ausziehen müssen. Das hatten die Mitmieter des Hauses in der Teutonensstraße erwirkt. „An dem Tag, an dem T. eingezogen ist, war Schluss mit der Ruhe“, formulierte es damals einer der Nachbarn.

Stefan T. soll dauernd damit aufgefallen sein, dass er in der Wohnung randaliert habe, er habe zudem Nachbarn bedroht und beleidigt. Die Polizei habe immer gesagt, ‚er tue ja nichts‘. Die Beamten konnten damals noch nicht wissen, wie falsch sie damit gelegen hatten. Die anderen Mieter entschieden sich, Eigentümer GWS, die Wohnungsgenossenschaft GWS Dortmund Süd, einzuschalten und zu drohen: „Er oder wir“. Die GWS setzte dem Mann die Pistole auf die Brust: Kündigung zu Ende März 2017.

Stefan T. gilt als schuldunfähig

Stefan T. wurde wegen Mordes, versuchten Mordes und Herbeiführung einer Explosion angeklagt. Als es am Jahresende 2017 zur Anhörung kam, stellte sich schnell heraus, dass Stefan T. massive psychische Probleme hatte. Seine Krankengeschichte umfasste 20 Jahre unterschiedlichster therapeutischer Behandlung – auch stationär. Die vom Gericht bestellten Psychiater fällten für die schwere Explosion ein eindeutiges Urteil: Stefan T. war schuldunfähig.

Zur Tat und zu seinem Motiv äußerte er sich nicht – weil er nicht konnte. Er habe keine Erinnerung an den Tag oder den Tag davor. Unabhängige Gutachter hielten das für glaubhaft, da T. massive Verletzungen erlitten hatte.

Mit den Urteilen des Psychiaters kam eine Gefängnisstrafe nicht mehr infrage. Er befindet sich seit dem Prozess in einer psychiatrischen Einrichtung, denn obwohl er als schuldunfähig galt, wurde doch eindeutig festgestellt, dass von ihm eine große Gefahr für sich und andere ausgehe. In der Einrichtung ist er bis heute und befindet sich in Behandlung.

Ist dieses Urteil in Anbetracht des schlimmen Todes von Karin E. gerecht? Eine Frage, die auch ihr damaliger Freund aufwarf. Er hatte schon am ersten Verhandlungstag in der Kaiserstraße am Landgericht Dortmund eine Mahnwache für seine verstorbene Freundin durchgeführt.

Viele Menschen sammelten sich dort, hielten Kerzen und Herzen mit dem Namen des Opfers in den Händen. „Gerechtigkeit?“, soll damals ihr Freund gesagt haben, „Wie soll es da Gerechtigkeit geben? Kein Urteil bringt meine Freundin zurück. Ich möchte jetzt nur noch, dass Karin nicht in Vergessenheit gerät.“

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich Mitte August 2024.