Dortmund als digitale Großstadt Blamable Quote bei Dienstleistungen, Glasfaserausbau läuft

Dortmund als digitale Großstadt: Blamable Quote bei Dienstleistungen, Glasfaserausbau läuft
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Als im September 2020 ein neuer Oberbürgermeister für Dortmund gewählt wurde, trommelte Thomas Westphal (SPD) mit dem Schlagwort „Digitalisierung“ um Wählerstimmen. Sein Ziel sei es, Dortmund zur „digitalen Großstadt“ zu machen, verkündete er.

Fast vier Jahre später ist die Stadt noch immer ein sehr großes Stück von diesem Ziel entfernt. Und da, wo etwas vorangekommen ist, gibt es durchaus unterschiedliche Sichtweisen darüber, wer das denn nun vorangebracht hat und ob sich da der Oberbürgermeister nicht mit fremden Federn schmückt. Einige Blicke im Detail.

Stau in Dortmund
Lange Staus durch schlechtes Management von Baustellen sorgen seit Jahren für Unmut bei Autofahrerinnen und -fahrern. Durch ein digitales Management sollte alles besser werden. Doch die Beurteilungen über den Erfolg gehen auseinander. © Stephan Schuetze

Ziel: Intelligenter Verkehrsfluss

Westphal versprach einen „intelligent gesteuerten Verkehrsfluss“ in Dortmund durch ein neues Verkehrsleitsystem. In der City ist das inzwischen installiert. Rund um die Westfalenhalle allerdings, wo es nach wie vor regelmäßig zu einem mittleren Verkehrschaos kommt, lässt das neue Leitsystem noch immer auf sich warten.

Die CDU kritisiert an dieser Stelle, dass hier auf die noch aus dem Jahr 2019 stammende Initiative „Smart City Dortmund“ zurückgegriffen werde. Das gelte auch für die begonnene Umstellung auf durch Künstliche Intelligenz gesteuerte Ampeln sowie die Umstellung auf intelligent gesteuerte Straßenbeleuchtung. Alles in allem würden hier „die Ergebnisse der vergangenen Jahre genutzt, während wenig Neues hinzukommt“, bemängelt die CDU.

Ergebnis: Nach unserer Einschätzung sind 35 Prozent des Ziels erreicht.

Ziel: Besseres Management der Baustellen

Ein ständiges Ärgernis in Dortmund ist seit vielen, vielen Jahren nicht nur der desolate Zustand vieler Straßen, sondern auch das aus Sicht der Bevölkerung oftmals miserable Baustellenmanagement. In den Augen der SPD und des Oberbürgermeisters hat es hier „deutliche Verbesserungen zur Koordinierung von Baustellen“ gegeben. Die CDU legt Wert auf die Feststellung, dass die Straßenbauoffensive der Verwaltung nur ihrem „massiven Einsatz“ zu verdanken sei.

Ob sich tatsächlich im Baustellenmanagement viel verbessert hat, darüber ließe sich streiten. Offenkundig ist, dass es nach wie vor massive Klagen aus der Bevölkerung über das Baustellenmanagement der Stadt gibt.

Auf der anderen Seite ist es selbstverständlich, dass sich marode Straßen nicht ohne Baustellen sanieren lassen. Gerade deshalb ist ein gutes Management umso wichtiger. In der Planung und Koordination der Baustellen gibt es sicherlich noch deutlich Luft nach oben.

Ergebnis: Nach unserer Einschätzung sind 50 Prozent des Ziels erreicht.

Ziel: Digitalisierung der Bürgerdienste

Rund 220 Anträge zu Verwaltungsdienstleistungen sind inzwischen online freigeschaltet, teilt die Stadt mit. Aktuell arbeite man, so Stadtsprecher Christian Stein, daran, 25 Projekte gleichzeitig online zu stellen. Ziel sei es, die 25 Projekte vom Antrag des Bürgers bis zur Bearbeitung im Rathaus tatsächlich komplett zu digitalisieren, soweit das möglich sei.

Von diesen 220 Vorgängen sind nach Auskunft von Stein bisher vier komplett digitalisiert, fünf weitere befänden sich in der Vorbereitung dazu. Das heißt: 1,82 Prozent der Anträge sind vollständig digitalisiert, die anderen sind es nicht. In Bearbeitung zur vollständigen Digitalisierung sind 2,27 weitere Prozent.

Mit anderen Worten: In 98,18 Prozent aller Fälle (demnächst werden es „nur noch“ 95,91 Prozent sein), in denen man online einen Antrag stellen kann, muss der Bürger oder Sachbearbeiter doch noch etwas ausdrucken. Diese Art der unvollständigen Digitalisierung beschleunigt und vereinfacht die Prozesse häufig nicht, im Einzelfall verzögert sie die Prozesse sogar und erfordert einen größeren Aufwand.

In der Einschätzung von Pressereferent Stein ist das aus Sicht der Bürger „überhaupt kein Nachteil“: „Denn sie können 220 Leistungen online beantragen, unabhängig davon, ob der interne Prozess schon durchgängig digital ist“, sagt Stein und fährt fort: „Innerhalb der Verwaltung müssen evtl. Daten aus einem in ein anderes Verfahren kopiert werden“. Dass das Arbeitszeit und damit am Ende Steuergeld kostet, das die Bürgerinnen und Bürger aufbringen müssen, sagt er nicht.

Bürger warten in der Berswordthalle in einer Schlange darauf, dass sie zu den Bürgerdiensten im Stadthaus können. Das Bild stammt aus dem Jahr 2018.
Bürger warten in der Berswordthalle in einer Schlange darauf, dass sie zu den Bürgerdiensten im Stadthaus können. Das Bild stammt aus dem Jahr 2018. © Dieter Menne (A)

Übrigens: Die beiden in Dortmund am meisten gestellten Anträge an die Stadtverwaltung sind zum einen Kfz-Zulassungen (An-, Ab- und Ummeldungen). 2023 gab es insgesamt 134.223 solcher Kfz-Angelegenheiten. Davon wurden lediglich 2256 online erledigt, also 1,7 Prozent. Im laufenden Jahr 2024 gab es bis Ende August 75.036 Vorgänge, davon 8102 online. Das entspricht einem Prozentsatz von 10,8 Prozent.

Unterm Strich bleibt es dabei: Von seinem im Wahlkampf versprochenen Ziel, das Leben durch digitale Bürgerdienste in Dortmund einfacher zu machen, ist Thomas Westphal noch meilenweit entfernt.

Aktuell hat Westphal erst 1,82 Prozent dieser Aufgabe erfüllt, denn jeder Vorgang, bei dem an irgendeinem Punkt noch Drucker und Papier benötigt wird, ist keine echte Digitalisierung. Und der Wert von 1,82 Prozent ist ein maximaler Höchstwert, denn er bezieht sich lediglich auf die 220 bisher online für Bürger verfügbaren Prozesse.

Das Online-Zugangs-Gesetz, so Stein, sehe insgesamt 575 zu digitalisierende „Leistungsbündel“ vor. Legt man diese Zahl als Basis zugrunde, bedeuten die vier bereits komplett und die fünf in naher Zukunft digitalisierten Prozesse in Dortmund (insgesamt also neun), dass in Dortmund eine Quote aktuell von 0,7 Prozent und demnächst von 1,57 Prozent erreicht ist.

Die weitere Digitalisierung der städtischen Dienstleistungen werde vor allem durch zwei Faktoren mitbestimmt, erläutert Stein. Erstens gelte das Prinzip „Einer für alle“. Das heißt: Für eine konkrete Aufgabe entwickelt eine Behörde einen digitalen Prozess und den können dann alle anderen Behörden übernehmen. Nicht jede Behörde erfindet das Rad neu. Das ist sicherlich sinnvoll, allerdings ist Dortmund damit auch an vielen Punkten von anderen abhängig.

Zweitens: Anders als bei der Veröffentlichung des Online-Zugangs-Gesetzes geht es mittlerweile nicht mehr darum, möglichst viele Anträge online zu schalten. Das hatte nämlich teils die bekannten absurden Folgen: Bürger konnten einen Antrag zwar stellen, die Bearbeitung in der Verwaltung aber musste weiter teilweise oder ganz analog erfolgen, da die Verwaltungs-Software nicht mit der Bürger-Software kompatibel war. Jetzt soll grundsätzlich ein Service erst dann online angeboten werden, wenn der gesamte Verwaltungsprozess digital abgewickelt werden kann.

Zudem müsse man berücksichtigen, dass eine vollständige Digitalisierung in bestimmten Prozessen schlicht nicht möglich sei, sagt Stein. So könne man Briefwahlunterlagen zwar online beantragen, der Versand aber müsse zwingend per Post erfolgen.

Ergebnis: Geht man davon aus, dass „digitale Bürgerdienste“ bereits erreicht sind, wenn Bürger einen Antrag online stellen können – ohne Rücksicht darauf, was danach mit dem Antrag geschieht – ist das Ziel zu 38,3 Prozent erreicht (220 von 575 Themen). Wertet man etwas erst dann als digitalisiert, wenn ein Vorgang komplett papierlos abgewickelt werden kann, sind erst 1,82 Prozent des Ziels erreicht.

Ziel: Glasfaser für 50 Prozent der Haushalte bis 2025

Der versprochene Ausbau der digitalen Infrastruktur durch Glasfaser für private Haushalte, die Wirtschaft und die öffentlichen Einrichtungen schreitet voran, wenn er auch noch lange nicht abgeschlossenen ist. 2025 sollen laut OB Westphal 50 Prozent der rund 312.000 Haushalte der Stadt einen Glasfaseranschluss haben.

Das Kompetenzzentrum Gigabit.NRW weist eine IST-Glasfaserversorgung für Dortmund Ende 2023 von 33,8 Prozent aus. Das entspricht einer Zielerreichung von 67,6 Prozent.

Für den Glasfaserausbau hat die Stadt 97 Mio. Euro investiert und 48,5 Mio. Euro als Zuschuss vom Bund erhalten. Es gibt allerdings für den Breitbandausbau zusätzliche Zuschüsse des Landes.

Die CDU beansprucht auch hier die gedankliche Urheberschaft für sich: „Grundlage aller Digitalisierungsprozesse ist das von der CDU-Fraktion initiierte Memorandum für Digitalisierung 2020-2025.“

Ergebnis: Bisher sind 67,6 Prozent des angestrebten Glasfaserausbaus verwirklicht

Ziel: Etablierung einer Dortmund App

Für ganz normale Menschen sind nicht die großen Projekte, sondern vor allem die kleinen Aufgaben des Alltags bei der Frage entscheidend, als wie digital eine Stadt empfunden wird.

Die Stadt hat auf ihrer Dortmund-App und in ihrem Internetauftritt zwar eine Fülle von Informationen – vor allem auch über die Informationspflicht einer Behörde hinausgehende Nachrichten – versammelt, entscheidende Verwaltungsinfos selbst fehlen allerdings weiterhin. Beispiel: Müllabfuhr. Wer eine größere Tonne bestellen oder eine Sperrmüllabfuhr beantragen will, der kann das nicht direkt über die Dortmund-App erledigen, sondern wird von dort auf die Seiten der EDG geleitet.

Den Grund erläutert Stadtsprecherin Katrin Pinetzki auf Anfrage so: „Zu Beginn der Entwicklung der Dortmund-App wurden Gespräche mit der EDG geführt, um das volle Leistungsrepertoire einzubinden. Leider waren zu diesem Zeitpunkt bereits Systeme im Einsatz, die eine Einbindung in die App nicht ermöglichen. Lediglich die Abfrage des Abfallkalenders hat eine offene Schnittstelle. Sofern die Systeme künftig offene Schnittstellen anbieten, beabsichtigen wir, diese Funktionen zeitnah zu implementieren.“

Klingt sehr technisch, aber wenig erfreulich für die Bürger dieser Stadt. Es bleibt ein wenig umständlich. Das kann man allerdings auch anders bewerten wie beispielsweise Alexandra Kopetzki, die Leiterin der Verbraucherzentrale Dortmund, die sich für uns die Dortmund-App angesehen hat.

„Aus meiner Sicht ist die App der Stadt eine angenehme und gute Dienstleistung“, sagt Alexandra Kopetzki. „Es ist eine datensparsame App, die auf den ersten Blick für Bürgerinnen und Bürger einen guten Service anbietet.“

Dass in der Dortmund-App eine Müllabfuhr-Anbindung fehlt, bewertet der Bochumer Sozialwissenschaftler und Verwaltungs-Experte Prof. Jörg Bogumil so: „Da ist jetzt Dortmund kein herausragendes, negatives Beispiel. Sowas finden sie in jeder Kommune.“ Wobei eine solche Einschätzung das Ergebnis auch nicht besser macht.

Ergebnis: Unserer Einschätzung nach ist das Ziel zu 90 Prozent erreicht.

Das sagen die Grünen, FDP und Bürgerliste

Die Grünen hielten sich auf unsere Anfrage hin mit einer ins Detail gehenden Beantwortung diverser Fragen zur Digitalisierung zurück. Grundsätzlich, so argumentieren sie, sei in Dortmund in den vergangenen Jahren nur das wirklich umgesetzt worden, was Grüne und CDU in einer auf Projekte bezogenen Partnerschaft beschlossen hätten. In dieser Projektpartnerschaft habe man inzwischen mehr als 250 gemeinsame Ziele verabredet.

„Einige davon decken sich mit Zielsetzungen des Oberbürgermeisters, die dadurch eine politische Mehrheit erhalten. Andere decken sich nicht, finden aber regelmäßig eine politische Mehrheit in Zusammenarbeit mit anderen demokratischen Fraktionen“, schreiben die Grünen. Der Oberbürgermeister kommuniziere seine Ziele dagegen oft gar nicht oder nur unzureichend und könne sie schon aus diesem Grund oft nicht umsetzen.

Michael Kauch, Vorsitzender der Ratsfraktion von FDP und Bürgerliste, lobte in seinem äußerst knappen Statement zu unserer detaillierten Anfrage Fortschritte in der Digitalisierung, kritisiert aber zugleich etwa das Baustellenmanagement als eine „Katastrophe“. Gleiches gelte auch für „alle Verkehrsprojekte, die nichts mit Radwegen zu tun haben“.

Das Ergebnis

Einiges ist geschehen, einiges in der Umsetzung und vieles wartet noch. Aus der Sicht von Prof. Bogumil haben viele Verwaltungen in Deutschland grundsätzlich einen entscheidenden Fehler gemacht.

Im Bemühen, möglichst schnell möglichst viele Dienstleistungen für Bürgerinnen und Bürger online anbieten zu können, habe man den entscheidenden Punkt nicht beachtet. Man habe zwar die Online-Seiten für die Bürger an den Start gebracht. Die dahinter liegende Software vertrage sich oft allerdings überhaupt nicht mit der Software, mit der die Menschen in den Verwaltungen die Online-Eingaben der Bürger bearbeiten müssten – mit absurden Folgen, wie Prof. Bogumil erläutert. Man hätte beides gleichzeitig realisieren müssen, sagt er. Nur dann sei Digitalisierung sinnvoll – und selbst das nicht überall.

Im Übrigen erstellt Bitkom, der Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche, jährlich eine Digital-Rangliste der deutschen Großstädte. Dabei ist Dortmund im Mitte September für 2024 veröffentlichten „Smart City Index“ um vier Plätze auf den 22. Platz abgerutscht. Am besten schneidet München ab. Die Nachbarstadt Bochum ist um sieben Plätze auf Platz vier gestiegen.

Auf dem Weg zur digitalen Großstadt, die Thomas Westphal versprochen hat, wirkt vieles im Moment noch sehr bruchstückhaft. Dabei ist eines auch klar: Nicht in allen Fällen trägt dafür die Stadt die Verantwortung, sondern auch andere Verwaltungen in Bund und Land.

Und hier geht es zur ganzen Serie „Westphals Ziele“.