Dortmund braucht dringend Fachkräfte „Ohne Zuwanderung wird es nicht gehen“

Dortmund braucht Fachkräfte: „Ohne Zuwanderung wird es nicht gehen“
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Irgendwann nach vielen Diagrammen und noch mehr Zahlen zur Entwicklung des Arbeitsmarktes im vergangenen Jahr 2022 zeigt Heike Bettermann, Chefin der Arbeitsagentur Dortmund, eine Grafik mit nur einer einzigen Kurve und zwei Zahlen: „Minus 5,4 Prozent bis zum Jahr 2050“ steht darüber.

Bis 2050 werden nach Berechnungen des Statistischen Landesamtes NRW 5,4 Prozent weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 67 Jahren in Dortmund leben als heute. „Schon bis 2038 werden es 26.000 Menschen weniger sein“, sagt Heike Bettermann. Angesichts der Tatsache, dass schon heute Fachkräfte fehlen, Handel, Handwerk, Gastronomie und Gesundheitswesen händeringend Mitarbeiter und Auszubildende suchen, ist für sie klar: „Ohne Zuwanderung werden wir die Arbeitskräftenachfrage nicht befriedigen können.“ Sie kündigt an: „Wir werden in diesem Jahr noch stärker die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland angehen.“

Gleichzeitig soll auch mehr getan werden, um das Potenzial der arbeitsuchenden Menschen oder Jugendlichen ohne Ausbildung hier vor Ort zu heben. „Wir müssen und wollen mehr in die Menschen investieren, in ihre Qualifizierung und Weiterbildung. Jeder Einzelne ist wichtig, benötigt werden alle“, sagt Heike Bettermann.

Arbeitsmarkt blieb stabil

Als Chefin der Arbeitsagentur hat sie das von Krisen geprägte Jahr 2022 in all seinen wirtschaftlichen Facetten erlebt. „Der Arbeitsmarkt ist stabil geblieben, die Beschäftigung ist gegenüber dem Vorjahr erneut angestiegen“, so Heike Bettermann. Ein Krisensymptom aber ist für sie deutlich erkennbar: „Der Bestand an offenen Stellen ist 2022 spürbar gestiegen. Dies ist ein Indiz dafür, dass sich Stellenbesetzungsverfahren verlängern und erschweren. Für viele Stellen fehlen passende Bewerber. Und Unternehmen sind in der Krise vorsichtiger und hoffen, einen noch passenderen Bewerber zu finden.“

Letzteres bestätigt der Präsident der Handwerkskammer Dortmund, Berthold Schröder. „Angesichts der unvorhersehbaren wirtschaftlichen Entwicklungen sind die Betriebe verunsichert und blicken deutlich pessimistischer als vor einem Jahr in die Zukunft. Die Fachkräftegewinnung gestaltet sich schwierig“, sagt er.

Berthold Schröder, Präsident der Handwerkskammer Dortmund, stellt fest, dass viele Betriebe derzeit verunsichert sind und deutlich pessimistischer in die Zukunft blicken als vor einem Jahr. „Auch die Fachkräftegewinnung gestaltet sich weiter schwierig“, sagt er.
Berthold Schröder, Präsident der Handwerkskammer Dortmund, stellt fest, dass viele Betriebe derzeit verunsichert sind und deutlich pessimistischer in die Zukunft blicken als vor einem Jahr. „Auch die Fachkräftegewinnung gestaltet sich weiter schwierig“, sagt er. © HWK/Marcel Kusch

Etliche Handwerksbetriebe haben es vielleicht schon aufgegeben, gute neue Mitarbeiter zu finden. Heike Bettermann stellt jedenfalls fest, dass im Bereich Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik der Bestand an offenen Stellen mit am stärksten zurück ging. Am stärksten wuchs 2022 die Nachfrage nach Arbeitskräften in den Berufsgruppen Lagerwirtschaft, Gesundheits- und Krankenpflege, Altenpflege sowie im Verkauf.

Motivierte Azubis fehlen

„Selbst in Krisenzeiten“, sagt beispielsweise Thomas Schäfer, Geschäftsführer des Handelsverbandes NRW Westfalen-Münsterland, „ist die Ausbildungsbereitschaft der Handelsunternehmen ungebrochen. In den beiden Kernberufen Kaufleute im Einzelhandel und Verkäuferin und Verkäufer werden jährlich rund zehn Prozent aller Ausbildungsverträge geschlossen. Gleichwohl gelingt es dem Handel nicht mehr ohne weiteres, motivierte Auszubildende zu gewinnen und alle offenen Stellen zu besetzen.“

Dabei sieht sich der Einzelhandel als attraktiver Ausbilder und Arbeitgeber. „Der Handel bietet jungen Beschäftigten mit seinen zwei- und dreijährigen Ausbildungen, den Abiturientenprogrammen und dualen Studiengängen ein besonders abwechslungsreiches Angebot und hervorragende Zukunftschancen,“ erläutert Thomas Schäfer, „trotzdem ist er auf Unterstützung von Schulen und Politik angewiesen, um die Chancen einer dualen Ausbildung besser zu kommunizieren.“

Friseurmeisterin Giuliana Koke, Geschäftsführerin des Dortmunder Salons Hair, wünscht sich für 2023, dass bei jungen Menschen mehr Interesse an ihrem Beruf geweckt werden kann.
Friseurmeisterin Giuliana Koke, Geschäftsführerin des Dortmunder Salons Hair, wünscht sich für 2023, dass bei jungen Menschen mehr Interesse an ihrem Beruf geweckt werden kann. © Koke

Mit Giuliana Koke hofft eine Friseurmeisterin 2023 auch für ihre Branche auf genau diese Image-Verbesserung. „Es wäre schön, wenn der Beruf des Friseurs / der Friseurin in der Gesellschaft mehr Anerkennung erfährt. Dies müsste in den Schulen transparenter gemacht und der Beruf den Schülerinnen und Schülern schmackhafter gemacht werden“, sagt die Geschäftsführerin des Salons Hair am Hohen Wall 15.

Lob für Bürgergeld-Reform

So sehr die einen Arbeitskräfte suchen, so schwer bleibt es für die Arbeitsvermittler um Heike Bettermann und auch Dr. Regine Schmalhorst, die das Jobcenter Dortmund leitet, die Arbeitsuchenden in Jobs zu bringen. „Es gibt rund 34.000 Arbeitslose in der Stadt. Es sind aber nur 10.000 offene Stellen gemeldet. Deshalb kann kein Ausgleich stattfinden. Und von den 10.000 offenen Stellen sind zwei Drittel Fachkräftestellen. Wir brauchen aber auch die einfachen Jobs, die Helferstellen“, sagt Regine Schmalhorst angesichts von aktuell 16.000 Langzeitarbeitslosen, von denen 70 Prozent keinen Schulabschluss haben.

Große Hoffnung setzt die scheidende Jobcenter-Chefin, die zum 1. Februar nach Nürnberg wechselt, auf das Bürgergeld. Das Wort dazu überlässt sie gern schon ihrem Nachfolger Marcus Weichert. Der sagt: „2023 wird geprägt sein durch die Umsetzung des Bürgergeldes. Wir begrüßen, dass durch die neuen Regelungen die dauerhafte Integration in Arbeit und die Verbesserung der Arbeitsmarktchancen durch Weiterbildung stärker in den Fokus gerückt werden. Das Thema Qualifizierung hat – gerade auch im Kontext des Fachkräftemangels in vielen Branchen – eine hohe Priorität für unsere Arbeit.“

So notwendig und hilfreich die Bürgergeld-Reform auch sein mag, ein Allheilmittel ist sie für den Arbeitsmarkt nicht. Bis 2038, daran erinnert die in die Presseinformationen der Arbeitsagentur aufgenommene Grafik noch einmal, wird es in Dortmund 26.000 erwerbsfähige Menschen weniger geben. „Der Fachkräftemangel“, sagt Heike Bettermann, „wird nicht nur in diesem Jahr ein großes Thema bleiben, er wird das Thema der nächsten Jahre sein.“

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