„Wer inmitten der wieder steigenden Inflation nicht auf frisches Obst und Gemüse verzichten will, für den hat Aldi Süd gute Nachrichten“, beginnt eine Aldi-Pressemitteilung vom 10. Januar 2025. „Ab sofort reduziert der Discounter Grundnahrungsmittel wie Kartoffeln oder Äpfel um bis zu 30 Prozent.“ Und verteidigt eigenen Angaben zufolge „wieder einmal die Preisführerschaft im Lebensmitteleinzelhandel“.
In Verpackungseinheit und Euro heißt das: Der 2,5-Kilo-Beutel festkochende Kartoffeln kostet bis zum 1. Februar 2025 statt 1,99 Euro nur noch 1,39 Euro. Das sind 56 Cent pro Kilo.
Netto steht dem in nichts nach: Im Prospekt für die Woche vom 13. bis 18. Januar preiste der Discounter den Vier-Kilo-Beutel für 2,20 Euro an. Das ist mit 55 Cent/Kilo noch einen Cent preiswerter als Aldi Süd. Aldi Nord bietet festkochende Kartoffeln sogar schon für 50 Cent pro Kilo im Fünf-Kilo-Netz an.
Wow! Ist der Handel wirklich so spendabel? Oder der Preisdruck auf die Erzeuger so groß, dass neue Bauernproteste folgen müssten? In der Tat mutet ein Kilopreis von unter 60 Cent günstig an – vor allem bei all denjenigen Kunden, die die „Mondpreise“ im ersten Halbjahr 2024 noch vor Augen haben.

Kartoffelanbau auf 14 Hektar
All das ist Anlass genug für einen Besuch beim Erzeuger. Cornelius Hubbert ist Landwirt in dritter Generation in Dortmund-Mengede. 120 Hektar bewirtschaftet der 48-Jährige vom Hof an der Strünkedestraße aus – neben Kartoffeln auch Zuckerrüben, Weizen, Gerste, Roggen und Mais.
Es ist Donnerstagnachmittag (16.1.2025). In der Kartoffelscheune des bäuerlichen Anwesens zwischen Dortmund und Castrop-Rauxel (Ickern) brennt fahles Licht. Riesige Kisten stehen in Reih und Glied und mehrstöckig gestapelt auf der mehr als 300 Quadratmeter großen Fläche. „Hubbert‘s Kartoffeln“ ist auf den Holzleisten aufgedruckt. Die Spalten zwischen den Leisten sorgen für Durchlüftung. Daneben ein weiteres Label: „Made in France“. Was nicht falsch zu verstehen ist. Auf 14 Hektar baut Cornelius Hubbert auf Äckern im Raum Mengede und in Castrop-Rauxel Kartoffeln an.
Der Hersteller der Kisten aber hat seinen Sitz in Frankreich. „Die werden in Einzelteilen geliefert und wir nageln sie zusammen“, erzählt Hubbert. „Wenn ich 100 Kisten bestelle, bedruckt der Hersteller sie mit meinem Namen.“ Er lacht – schon ein wenig stolz.
Weiter hinten in der Scheune stehen Paletten mit Kartoffeln in Säcken und zwei offene Anhänger voller Erdäpfel. Es duftet nach Erde. Die Kartoffeln sind ungewaschen – wichtig für die Lagerung. „Vier bis fünf Grad sind dafür ideal“, sagt der Mengeder Landwirt. Rund 300 Tonnen ist sein durchschnittlicher Jahresertrag.
Auf dem Tisch der Hofküche liegt das Landwirtschaftliche Wochenblatt. „Kartoffelmarkt startet fester“, ist ein Marktkommentar der aktuellen Ausgabe überschrieben. Inhaltlich geht es um die Größe der Anbauflächen im vergangenen Jahr, die Verbrauchernachfrage zu den Feiertagen und zu Jahresbeginn. „Das Speisekartoffelangebot bleibt bedarfsdeckend“, heißt es.
Speisekartoffeln unterscheiden sich von Industriekartoffeln, die zum Beispiel zu Pommes Frites oder Kartoffelchips verarbeitet werden. Cornelius Hubbert baut nur „Speiseware, die die Leute verzehren können“ an. Die Sorte Belana gedeihe besser auf eher lehmhaltigen feuchten Böden, die Sorte Wega eher auf sandigen Böden. Der Kunde erwarte eine tiefgelbe Fleischfarbe mit festkochenden Eigenschaften – kurzum: „eine ansprechende Speisekartoffel mit Geschmack“.

Die Industrie verwende andere Sorten. „Eine Chipskartoffel muss bei 180 Grad ein besonderes Verhalten aufzeigen“, sagt er. Die Verarbeitung spiele aber auch bei seinen Kunden eine Rolle. „Mittlerweile fragen viele, ob sie unsere Kartoffeln in der Heißluftfritteuse zubereiten können“, erzählt er. „Das gab es früher nicht so.“ Belana und Wega eignen sich dafür.
Für Cornelius Hubbert ist der Austausch mit den Kunden wichtig. Denn er ist Direktvermarkter. Er verkauft seine Kartoffeln über die Verkaufshütte an der Strünkedestraße „an viele Stammkunden“ und kleine Wiederverkäufer. Einige Restaurants aus der Umgebung beziehen ihre Erdäpfel ebenfalls von seinem Hof an der Stadtgrenze.
Weite Fruchtfolge
„Ich bin kein Jammerbauer“, sagt er. Dabei hat der Ortslandwirt der Landwirtschaftskammer für den Dortmunder Nordwesten durchaus Verständnis für die Unzufriedenheit seiner Kollegen und die Bauernproteste Anfang 2024. Ein Grund für seine eigene Zufriedenheit liegt gewiss auch in der Vertriebsart der Kartoffeln.
„Wir kommen aus guten Jahren“, sagt er. Und meint den Marktpreis. Kartoffeln waren drei Jahre lang relativ teuer. Trockenheit folgten Ernteausfälle durch Nässe. Krautfäule machte sich breit. „Durch sie hatten wir große Probleme.“ Den Pilzbefall erkennen die Landwirte an den sich braun verfärbenden Blättern des Laubs.
„Da hilft es dann nur, die Kartoffeln aus dem Boden zu holen und auch benachbarte Bereiche umzupflügen“, erklärt Cornelius Hubbert. Die Kartoffel trage die Krankheit in sich. Ohne schnelles Handeln breite sich der Pilz explosionsartig aus und könne zu einem Totalausfall führen.
Saisonübergreifend helfe eine weite Fruchtfolge gegen die Ausbreitung des Pilzes. Nach einem Jahr Kartoffeln baut der Mengeder Bauer auf dem gleichen Acker zunächst Weizen, dann Gerste und danach Rüben an. Im Jahr vor einem neuerlichen Kartoffelanbau folgt Ölrettich als Zwischenfrucht.
Damit reichern sich die Nährstoffe für ein gutes Gedeihen der Erdäpfel im Boden an. Der Pilz baue sich ab. Wichtig ist dem studierten Landwirt zudem ein möglichst minimaler Einsatz an Pflanzenschutzmitteln. „Es ist genug Fläche da“, erklärt Hubbert mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit.
Die Erntemenge stieg in Deutschland im Jahr 2024 auf 12,7 Millionen Tonnen – 9 Prozent mehr als im Vorjahr, hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft basierend auf Daten des Statistischen Bundesamts errechnet. Das ist der höchste Ertrag in den vergangenen zehn Jahren.
Mit einem Selbstversorgungsgrad von 140 Prozent gehen 40 Prozent der geernteten Kartoffeln in den Export, erklärt Cornelius Hubbert. Nach Niedersachsen ist Nordrhein-Westfalen das Bundesland mit der zweitgrößten Anbaufläche.

Cornelius Hubbert engagiert für das Pflanzen und die Ernte in Frühjahr und Herbst Lohnunternehmen. Die Anschaffung der dafür notwendigen Landmaschinen rechne sich betriebswirtschaftlich nicht, erklärt er. Das Pflügen und Glattziehen der Äcker sowie das Reinigen und Sortieren der Kartoffelernte ist dagegen Familiensache.
Sohn Tom und sein Freund Laurenz sind bei unserem Besuch ebenfalls auf dem Hof. Tom will später in die Fußstapfen des Vaters treten. „Man ist selber Chef“, erklärt der Zwölfjährige selbstbewusst. „Im Sommer draußen zu sein, macht Spaß.“ Dann kurve er auch schon mit dem Mähdrescher über Papas Felder. Spaß macht dem Siebtklässler des Netter Heinrich-Heine-Gymnasiums auch das Kartoffelsortieren nach der Ernte, erzählt er.

Cornelius Hubbert macht einen zufriedenen Eindruck. „Die Preise sind ganz auskömmlich“, sagt er. „Wir sind ein bisschen gesegnet durch die Selbstvermarktung.“ Damit entzieht er sich dem Preisdruck der großen Händler und des Zwischenhandels. Und der ist nach seinen Schilderungen enorm. Üblicherweise würden Zwischenhändler etwa die Hälfte des Verbraucher-Kaufpreises an die Erzeuger zahlen.
Gängige Praxis sei es zudem, dass Zwischenhändler die Qualität der gelieferten Ware bemängeln. Einmal an sie ausgeliefert, sei das kaum zu überprüfen. Die Konsequenz sei, dass sich der Verkaufspreis für den Erzeuger noch einmal halbiere. Durch die Direktvermarktung entzieht sich Cornelius Hubbert dieser Praxis – muss dafür aber kleinteilig den Absatz organisieren. „Unsere Kunden sind treu“, sagt er.
Vor der Verkaufsbude hält ein Auto. Ein junger Mann steigt aus, öffnet den Kofferraum, geht in das Blockhaus und greift nach einem 10-Kilo-Sack Kartoffeln. 5 Euro wirft er in die Geldkassette. Ein Kilopreis von 50 Cent. So preiswert wie Discounterware im Wochenangebot – aber aus regionalem Anbau, mit Qualitätsversprechen und einem fairen Ertrag für den Landwirt