Das Bild zeigt eine schmale asphaltierte Straße vor einer Kuppe. Im Hintergrund ein wolkenloser Himmel. Links am Straßenrand steht ein Schaf. Es schaut zur Straße. Dort ist auf dem Schutzstreifen ein Radfahrer unterwegs. Jeans, blaue Kapuzenjacke. „Das bin ich“, sagt Dirk Lehmhaus, „im Urlaub auf Texel.“
Dirks Ehefrau Manuela hat das Bild gemacht – kein Schnappschuss. „Ich habe das Motiv so kommen sehen“, erzählt sie. Also hielt sie an, griff nach der Spiegelreflexkamera und drückte ab. Nun hängt der Fotodruck auf einer gewiss einen Meter breiten Leinwand bei Familie Lehmhaus im Esszimmer. Es ist Hintergrund, Kulisse.
Und Spiegel. Ein Spiegel von Leben und Leidenschaft des 62-Jährigen – von Naturverbundenheit und Tierliebe, vom Reiseziel Niederlande, vom Radfahren. Natur und Dirk Lehmhaus: eine mittlerweile Jahrzehnte lange Symbiose, beruflich wie privat, der Übergang fließend.
Spuren in Dortmunds Natur
Der Landschaftsgärtner ist Projekt- und Bauleiter im Grünflächenamt der Stadt Dortmund. Kaum ein Dortmunder Stadtteil, in dem er in seiner beruflichen Karriere keine Spuren hinterlassen hat. „Als ich kürzlich mit meiner Frau im Rombergpark spazieren gegangen bin, habe ich ihr noch die Treppe gezeigt, die ich als junger Gärtner gebaut habe“, erzählt er lachend.
„Gerade habe ich als Bauleiter den Bananenradweg gemacht.“ Parks. Spielplätze, wie den erneuerten in der Mengeder Heide. Das ist das Terrain von Dirk Lehmhaus. „Es ist eine unheimliche Bereicherung meines Lebens, wenn ich Projekte sehe, an denen war ich beteiligt war, oder habe Ideen ´reinfließen lassen.“
„Nebenbei“, sagt er, betreue er seit mehr als zehn Jahren eine große Gruppe Langzeitarbeitsloser, die beim Beschäftigungsträger Grünbau angestellt sind. Sie arbeiten unter Anleitung an besonderen Projekten. Aktuell werten sie das Bodendenkmal Haus Mengede auf, öffnen das eingezäunte Areal mit der Burgruine für Spaziergänger und Radwanderer. Ein Digitalprojekt des Heimatvereins erlaubt dann das dreidimensionale Erleben der Mengeder Geschichte.

„Die Arbeit mit den Langzeitarbeitslosen ist richtig klasse“, erzählt Dirk Lehmhaus. „Da kann ich auch ein bisschen was vorarbeiten und selber tun. Bei der Stadt arbeite ich ja nicht mehr handwerklich.“ Abwechslung zu Schreibtisch und Projektleitung gibt es nach Dienstschluss, wenn noch lange nicht Feierabend ist.
„Komme ich nach Hause, ziehe ich mich direkt um.“ Vor fast 30 Jahren kaufte die Familie eine alte landwirtschaftliche Hofstelle an der Altmengeder Straße. Drei Jahre baute Dirk Lehmhaus mit seinem Vater, Bruder und vielen Freunden das denkmalgeschützte Fachwerkhaus aus dem Jahr 1861 um.
Als Familie Lehmhaus das Haus kauft, wird zeitgleich das weitläufige Areal vor der Haustür zum Naturschutzgebiet Im Siesack. In Fahrradurlauben in den Niederlanden lernte Dirk Lehmhaus Ende der 1990 Jahre Beweidungsprojekte kennen. „Die Holländer haben dort mit Pferden, Esel, Rindern und Schafen die Landschaft gepflegt.“
Anders vor der Haustür: Bei seinen Spaziergängen erlebt Dirk Lehmhaus den Siesack als Hundewiese. „Das hatte für mich nix mit Naturschutz zu tun“, sagt er. Aber das in den Niederlanden Gesehene verfängt. Der Naturliebhaber kämpft, brennt für seine Idee, überzeugt das Umweltamt. Nach eineinhalb Jahren kommen die ersten Heckrinder ins 170 Hektar große Naturschutzgebiet.

„Ich empfinde es als Privileg, heute oben auf der Ellinghauser Halde zu stehen, zu sehen, wie sich das Gelände und die Natur entwickeln, wenn der Mensch außen vor ist“, sagt Lehmhaus. Er hat indes auch gelernt, wie zäh Verwaltungsprozesse und wie beharrlich Bedenkenträger sein können. Trotz einer guten Idee.
Die nächste kommt ihm danach auf besagter Halde. „Bei irgendeiner Aktion habe ich gesehen, da fliegt ein Storch“, erzählt der Naturfreund. Mit einer kleinen Gruppe vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu) baut er ein Storchennest, das die Männer 2012 auf einem Pfahl in zwölf Metern Höhe auf die Weide im Naturschutzgebiet setzen.
Diesmal erlebt Dirk Lehmhaus keine Bedenken oder Widerstände. Aber sehr viele Leute, die ihn belächeln. „Sie haben immer mal wieder süffisant gelächelt und gefragt, ob das denn noch mal was wird mit den Störchen.“ Die innere Genugtuung dann 2023: Erstmals brütet ein Paar in dem Nest. Zwei Weißstörche kommen zur Welt – die erste erfolgreiche Brut in Dortmund überhaupt.
Zweiter Storchenhorst
„Jetzt sind sie wieder da und es wird wahrscheinlich die dritte Brut hier geben.“ Es ist spürbar, wie sehr sich Dirk Lehmhaus darüber freut. Er will nun einen zweiten Storchenhorst bauen – auf einer etwas abgelegenen Fläche hinter seinem Haus. Die alte landwirtschaftliche Hofstelle bietet ausreichend Platz.
Der Garten ist eine Visitenkarte des Gartenbaumeisters und Eigentümers. Schafe hält Dirk Lehmhaus nur noch zwei. Zwischenzeitlich waren es mal mehr als 100. Viel Arbeit, viel Zeit. Aber nicht nur deswegen gab er die Schafzucht auf: „Ich habe die Schafe letztendlich auch wegen der Frage abgegeben, mit welchem Recht ziehst du hier Lämmer groß und lässt sie nachher schlachten?“ Naturschutz aus Überzeugung.
Dabei sind die Grenzen zwischen beruflichem und privatem Engagement fließend. Manche Projekte sind durchaus im wörtlichen Sinn naheliegend. Dirk Lehmhaus‘ Expertise ist eng mit dem Mengeder Heimatwald verbunden – einmal mehr, nachdem der inzwischen aufgelöste Trägerverein die Obhut an das Grünflächenamt übergeben hat. Und Dirk Lehmhaus ist Initiator der zahlreichen Streuobstwiesen in Schwieringhausen.

Das alles kostet neben Arbeit und Einsatz auch Zeit. Zeit, die für andere Dinge fehlt – wie das Kutschenfahren. Und Zeit, die „je älter ich bin, kostbarer wird“, betont der 62-Jährige. Diese Zeit nimmt er sich für die Familie. Vorne im Fachwerkbau ist ihr Refugium: Dirk und Ehefrau Manuela leben im Erdgeschoss des Haupthauses, sein Bruder oben im ersten Stock, Vater Karl im rückwärtigen Anbau.
Vor dem Bild im Esszimmer steht eine lange Tafel, an der gewiss zwölf Personen Platz haben. „Weihnachten sitzt die ganze Familie hier“, erzählt Dirk Lehmann. Dazu zählen neben den Mitbewohnern auch die Kinder Anna (29) und Moritz (27).
Ehefrau Manuela sieht sich im Garten „mehr so als ausführendes Organ“, sagt sie. „Ich bin eher der Typ zum Dekorieren und den Eingangsbereich schön machen.“
Das zeigt sich im Esszimmer: Tischsets, Kissen, Deko harmonieren mit der Tonalität ihres Fotos von Texel.

Holland soll in zwei Jahren häufiger das Ziel von Fahrradurlauben sein. Dann geht Dirk Lehmhaus in den Ruhestand. „Ich denke, dass das dann alles ein bisschen entspannter abläuft“, sagt er. „Ich habe so viele Ideen, was noch gemacht und umgebaut werden muss.“
Mit Beginn des Ruhestands findet 2027 die Internationale Gartenausstellung statt. Dirk Lehmhaus lässt seinen Blick über den Garten schweifen. „Mein Garten“ heißt die Mittmachplattform der IGA. „Da werde ich irgendetwas machen“, sagt Dirk Lehmhaus. „Wir haben hinten ja die restaurierte Scheune, da ist viel Platz für Besucher.“ Er lächelt verschmitzt.
Ein Leben für die Natur, den Natur- und Klimaschutz: Dirk Lehmhaus‘ ehrenamtliches Engagement ehrt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande. Vorgeschlagen hat ihn übrigens sein Geschichtslehrer aus dem 5./6. Schuljahr. Jahrzehnte hatten sie sich nicht gesehen – bis zu einer Haldenführung mit Blick auf den Siesack, die Dirk Lehmhaus leitete. „Und ich glaube, er hat auch Bäume im Heimatwald gepflanzt.“