Dilemma wegen sexueller Identität Schüler verzichtet auf Klassenfahrt an Schule in Unna

Dilemma wegen sexueller Identität: Schüler verzichtet auf Klassenfahrt
Lesezeit

Seit der 5. Klasse ist Dario Gabriel Cortes Salazar bereits Schüler am Ernst-Barlach-Gymnasium in Unna, obwohl er selbst aus Dortmund kommt. Er lebt offen homosexuell und frei von Geschlechternormen, was bei einigen Menschen in seinem schulischen Umfeld für Unmut sorgt.

An Anfeindungen und Beleidigungen habe sich der 16-Jährige traurigerweise gewöhnt, aber besonders auf Klassenfahrten bekomme er zu spüren, dass er nicht dazu gehöre: „Vor der letzten Klassenfahrt haben die anderen Jungen darüber diskutiert, wer mit mir auf ein Zimmer geht, weil mich ja irgendjemand abkriegen muss“, erzählt Dario. „Auf dem Zimmer habe ich dann immer angeboten, beim Kochen oder Putzen zu helfen, aber sie haben mich halt immer weggeschickt und wollten mich nicht dabei haben.“

Das Gefühl von Ausgrenzung möchte er bei der nächsten Klassenfahrt nach Wien nicht noch einmal empfinden. Der 16-Jährige wünscht sich, mit seinen Freundinnen auf einem Zimmer zu übernachten: „Mit den Mädchen teile ich einfach viel mehr Interessen als mit den Jungs. Man geht eben normalerweise mit Freunden auf ein Zimmer, erlebt die Fahrt gemeinsam und unterhält sich noch, wenn abends das Licht aus ist.“

Eine gemeinsame Übernachtung ist für die Freunde auch nichts Neues. „Wir haben schon sehr oft alle zusammen übernachtet und das war jedes Mal lustig: an Halloween, Karneval, zu einem Geburtstag oder einfach so“, erzählt Dario Gabriel Cortes Salazar. Daher haben die Mädchen und ihre Eltern auch schriftlich bestätigt, dass sie mit einem gemeinsamen Zimmer einverstanden sind.

Dario Gabriel Cortes Salazar steht vor seiner Puppensammlung. Eine Puppe hält er in die Kamera.
Puppen zu sammeln, ist eine von Darios Leidenschaften. © Udo Hennes

Schulleitung trifft abschließende Entscheidung

Dass Dario auf der Klassenfahrt auf einem Mädchenzimmer übernachtet, kommt für die Schulleitung des Ernst-Barlach-Gymnasiums jedoch nicht infrage. Da es keine gesetzliche Regelung zur Unterbringung auf Klassenfahrten gibt, hatte sich Schulleiter Ulrich Schmitz im Vorfeld an die Bezirksregierung in Arnsberg gewandt.

Die Bezirksregierung Arnsberg teilte mit: „Die möglichen Konsequenzen einer gemeinsamen Übernachtung sind so wenig abschätzbar, dass in der Verantwortung gegenüber allen Beteiligten eine andere Entscheidung nicht sinnvoll ist.“ Sie habe „den Schulleiter fachlich und rechtlich beraten, da die Schule in dieser Situation eine abschließende Entscheidung treffen muss.“

Gegen die Empfehlung der Bezirksregierung möchte sich Schulleiter Schmitz nicht wenden. Vor allem die Aspekte Sicherheit und Gleichbehandlung seien für seine Entscheidung maßgeblich gewesen: „Bei den möglichen Konsequenzen einer gemeinsamen Übernachtung ist tatsächlich an eine Schwangerschaft gedacht“, erläutert Schmitz. „Der Wunsch nach gemischtgeschlechtlicher Unterbringung müsste auch weiteren Jugendlichen gewährt werden, die sich ‚unwohl‘ fühlen oder die z.B. mit dem Freund oder der Freundin zusammen übernachten wollen.“

Der Schulleiter habe daher die Buchung eines Einzelzimmers für Dario vorgeschlagen und mit Blick auf die zusätzlichen Kosten eine finanzielle Unterstützung des Fördervereins der Schule in Aussicht gestellt.

Dario Gabriel Cortes Salazar zeigt zwei seiner Kleidungsstücke.
Dario kleidet sich frei von Geschlechternormen, was bei manchen Menschen für Unmut sorgt. © Udo Hennes

Geschlecht sei entscheidend, nicht die sexuelle Orientierung

Nicht nur Dario, sondern auch seine Eltern sind mit diesem Vorschlag nicht einverstanden. „Für mich ist das Diskriminierung. Alle sind dann mit den Freunden abends zusammen und er hängt dann in Einzelhaft“, sagt Antonio Cortes Delgado, Vater von Dario. „Um die Förderung des Einzelzimmers müssten wir uns auch selbst kümmern.“

Dass nach vielen gemeinsamen Übernachtungen unter den Freunden nun ausgerechnet auf der Klassenfahrt eine Schwangerschaft entstehen solle, trifft bei Darios Eltern ebenfalls auf Unverständnis - auch, weil Dario homosexuell ist.

Schulleiter Ulrich Schmitz erläutert: „Das Kriterium der Zimmerzusammensetzung ist - wie auch z.B. in den Umkleiden des Sportunterrichts - das jeweilige Geschlecht, nicht die sexuelle Orientierung.“ Demnach wäre es gleichgeschlechtlichen Paaren gestattet, auf der Klassenfahrt ein Zimmer zu teilen.

Da weder Ausgrenzung noch Isolation für Dario Gabriel Cortes Salazar eine gute Aussicht bietet, hat sich der Schüler entschlossen, auf die Klassenfahrt zu verzichten. Über Darios Situation berichtete der WDR bereits am 6. Februar 2024.

Seither traten überwiegend positive Reaktionen zutage.

„Nach dem Beitrag haben mich viele Schüler, hauptsächlich Schülerinnen angesprochen oder mir schöne Worte geschrieben, mit denen ich normalerweise nicht viel zu tun habe. Freunde erzählten, dass sie im Deutschkurs eine Debatte über mich hatten“, erzählt der 16-Jährige. „Viele sind anscheinend auf meiner Seite und fanden auch, dass das Einzelzimmer gar keine Lösung ist.“

Unter Schülern des Ernst-Barlach-Gymnasiums sollen nun sogar Unterschriften für Dario Gabriel Cortes Salazar gesammelt werden. Darios Beitrag habe ihnen für das Thema Mobbing die Augen geöffnet.